Haar:Sinfonische Gefühlsbäder

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Spielt den Solopart in Tschaikowskys Violinkonzert: Daniel Nodel vom Symphonieorchester des BR. (Foto: Veranstalter)

Ensemble Haar präsentiert Werke der Romantik

Von Udo Watter, Haar

Dass das Klassik-Publikum gerne etwas steif und mit weihevollem Blick den dargebotenen Melodien lauscht, ist ein Klischee, welches nicht immer ganz von der Hand zu weisen ist. Ob solch bildungsbürgerlicher Kunstandacht indes nur äußerlich inszeniert oder wirklich von innerer Ergriffenheit geprägt ist, macht freilich einen großen Unterschied.

Wer das sinfonische Sommerkonzert des Ensembles Haar am 30. Juni besucht, sollte jedenfalls auf ein Programm eingestellt sein, das emotional tief aufwühlend sein dürfte - da wäre etwa Pjotr Tschaikowskys Violinkonzert in D-Dur, das Georg Freitag vom Ensemble Haar treffend als "ein großes Gefühlsbad" bezeichnet. Obwohl zunächst von einigen Kritikern abgelehnt - unter anderem attestiert der berühmt-berüchtigte Wiener Kritiker Eduard Hanslick dem Stück "die brutale und traurige Lustigkeit eines russischen Kirchweihfestes", wurde es zu einem der erfolgreichsten Werke des großen russischen Komponisten. "Ein komponierter Gefühlskosmos erster Güte", erklärt Freitag. Tschaikowsky schrieb das Konzert in nur drei Wochen 1878 in dem Weinort Clarens am Genfer See, wo er sich nach Depressionen und einem Nervenzusammenbruch erholte, der vermutlich mit der gescheiterten kurzen Ehe mit seiner Studentin Antonia Miljukova und seiner unterdrückten Homosexualität zusammenhing. Schaffenskraft und Lebensfreude waren zu dem Zeitpunkt wiedergekehrt - und nach seiner Rückkehr nach Moskau vollendete er das Werk. Nadeschda von Meck, Tschaikowskys Mäzenin, formulierte zur "Canzonetta", dem langsamen Satz: "Wie viel Poesie, welche Sehnsucht ... in diesen geheimnisvollen Tönen...". Als Solist in Haar agiert Daniel Nodel, erster Geiger beim BR-Symphonieorchester.

Das Publikum darf sich im Bürgersaal auf weitere große romantische Werke freuen: Zu Beginn wird Felix Mendelssohn-Bartholdys Konzertouvertüre "Das Märchen von der schönen Melusine" erklingen. Das Motiv der Verbindung eines menschlichen Wesens mit einer mythologischen Figur hat eine lange Tradition. Im Mittelalter gab es diverse Varianten des Motivs, eines war stets wesentlich: Der menschliche Partner durfte seine aus dem Geisterreich stammende Geliebte - Nixe, Nymphe oder Meerjungfrau - nicht in ihrer wahren Gestalt sehen; setzte er sich darüber hinweg, war das Glück dahin. Mendelssohn hatte 1833 in Berlin die Oper gesehen und schrieb an seine Schwester Fanny: "Die Ouvertüre...missfiel mir ganz apart...da bekam ich Lust, auch eine Ouvertüre zu machen, eine, die es mehr inwendig hätte". Das ist ihm nach Freitags Ansicht wunderbar gelungen: "Ein hochemotionales Werk mit wunderbaren Melodien voll Sehnsucht, die mit der harten Wirklichkeit konfrontiert wird."

Nach Tschaikowkys Violinkonzert wird das Ensemble unter Leitung von Winfried Grabe im zweiten Teil des Konzerts noch Antonin Dvořáks Sinfonie Nr.8 aufführen - die neben seiner neunten Sinfonie "Aus der neuen Welt" wohl meistgespielte Komposition des tschechischen Tondichters ist. Sie gilt als ein Werk voll Optimismus, lebt von schönen Kantilenen und raffinierten kompositorischen Einfälle. Das Ensemble Haar, das in der Mehrheit aus Laien besteht, hat einige Mühe und Probenzeit auf sich genommen, um "diese Schönheit und Leichtigkeit im Orchester zu erreichen", wie Freitag verrät. Man darf gespannt sein, welch hohe Gefühle das Orchester bei den geneigten Zuhörern erwecken wird.

Karten für das Konzert am 30. Juni, Beginn 19 Uhr, im Haarer Bürgersaal sind online unter www.ensemblehaar.de erhältlich.

© SZ vom 08.06.2019 - Rechte am Artikel können Sie hier erwerben.
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