Grünwald:Zerklüftetes Dasein

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Der Bildhauer Andreas Kuhnlein zeigt drei seiner Werke in der Grünwalder Kirche Maria Königin. Die Skulpturen aus Holz entstehen mit Hilfe der Motorsäge, sie stehen für die Vergänglichkeit der Natur

Von Claudia Wessel, Grünwald

Vor 26 Jahren hat der Bildhauer Andreas Kuhnlein seinen Stil entdeckt: die Zerklüftung. "Es war ein Wutanfall, dann hab ich richtig reingefetzt", erzählt er. Heraus kam als erste "zerklüftete" Figur "Der Großinquisitor". Die lebensgroße Skulptur stand mit erhobenen Händen vor einem Altar, auf dem ein menschlicher Kopf lag. Kuhnleins Wutanfall war damit nicht zu Ende. Er bugsierte die Figur in seinen Garten und zündete sie an. "Die hat eine Stunde lang gebrannt", erinnert er sich. Heute steht sie in seinem Atelier, dem ehemaligen Stall in Unterwössen am Chiemsee, "ganz verkohlt", so der Künstler.

Drei Holz-Skulpturen des powervollen Bildhauers stehen vom 1. März an in der katholischen Kirche Maria Königin in Grünwald. Titel der Ausstellung, die mit einer Veranstaltungsreihe einhergeht, ist "Empathie für Gottes Schöpfung".

Dass es in Gottes Schöpfung nicht immer nur friedlich und harmonisch zugeht, hat Kuhnlein in seinem Leben und vor allem auch seinem Berufsleben erfahren. Er war neun Jahre lang beim Bundesgrenzschutz tätig, und das in den 1970er Jahren. "Ich war Streifenführer an der deutschen Grenze, war zwei Jahre in Stuttgart-Stammheim und bei der Demonstration in Brokdorf eingesetzt." Damals habe er "gedanklich große Sympathien" für die Demonstranten gehabt, "aber ich war ja im Dienst". Die Themen Brutalität und Verletzlichkeit für beide Seiten begegneten ihm immer wieder. 1981 schied er aus dem Dienst aus, seit 1983 ist er als Bildhauer tätig. Nebenberuflich war er eine Zeit lang Landwirt, was sein Atelier in einem ehemaligen Stall erklärt.

1983 begann Kuhnlein bereits mit Holzskulpturen, wendete sich dann aber Bronze und Stein zu. "In Bronze und Stein habe ich am liebsten Menschen gemacht, die über 80 Jahre alt waren", sagt er. "Weil man da die Spuren des Lebens sieht." Bei den langen Sitzungen mit seinen Modellen sprach er mit diesen über viele Dinge. "Dabei ist mir bewusst geworden, wie verdammt kurz das Leben ist." Diese Erkenntnis brachte ihn dazu, sich Bronze und Stein wieder abzuwenden und zum Holz zurück zu kehren. Gerade deshalb, weil es die Vergänglichkeit besser symbolisiert. Und weil es den Menschen ähnelt. "Beim Holz kann man an den Ringen das Alter ablesen, beim Menschen an den Spuren in seinem Gesicht. Da kann man rauslesen wie aus einem Tagebuch."

Ein Thema für Kuhnlein ist dabei "die Brutalität der Natur dem Menschen gegenüber", das Verletzliche, das Vergehen. All das kann er am besten durch den Stil der Zerklüftung ausdrücken, findet Kuhnlein. Es sei genau das, was er vor der Entdeckung dieses Stils 14 Jahre lang gesucht habe. Für seine Kunst muss übrigens kein einziger Baum sterben, betont er. "Ich benutze ausschließlich Windwürfe und kranke Bäume, die ich bei Versteigerungen der Forstämter kaufe." Die Stücke müssen allerdings groß sein, denn seine Skulpturen sind lebensgroß und "alle aus einem Stamm, da ist nichts zusammengesetzt", betont er.

Auch bei der Arbeit hat Kuhnlein seinen besonderen Stil. Er benutzt seit 26 Jahren ausschließlich die Motorsäge. Sie ist zwar fünf Kilo schwer, aber nach Kuhnleins Meinung "eine sensible Angelegenheit". Und sie kommt seiner gewissen Ungeduld entgegen: "Da ich ziemlich emotional bin, gefällt es mir, dass ich mit der Motorsäge in ziemlich kurzer Zeit zu einem Ergebnis komme." In der Entstehungsphase wechselt er häufig das Schwert der Motorsäge, es wird immer kürzer, je kleinteiliger die Arbeit wird. Überraschungen gibt es für ihn nicht. Wie die Figur aussehen soll, "das weiß ich vorher bis auf den Finger", versichert er. In Kirchen stellt Andreas Kuhnlein öfters aus, da seine Arbeit mit dem Menschenbild auch zur Religion passe, sagt er. Auch mit Pfarrer Eugen Strasser-Langenfeld vom Pfarrverband Grünwald hat er schon mehrmals zusammen gearbeitet. In Maria Königin werden drei Skulpturen um den Altar herum stehen, nahe an den Besuchern, sie tragen die Titel "Auszeit" (welche der Pfarrverband jedoch in "Gleichgültigkeit" umgetauft hat), "Lichtblick" und "Unterdrücker". Sie werden für Diskussionen sorgen. Kuhnlein ist es wichtig, dass sie Teil des Geschehens sind. "Wir sind alle diese Skulpturen", sagt er und nimmt sich selbst nicht aus. Natürlich gehören zur Schöpfung nicht nur die Menschen, sondern auch die Natur. Die Skulpturen als Menschen aus dem Naturstoff Holz sind somit die perfekte Verbindung.

Die Veranstaltungsreihe beginnt am 1. März mit einem Gottesdienst um 10 Uhr in Maria Königin, Kardinal-Faulhaber-Platz 1, und einem anschließenden Kirchencafé mit Andreas Kuhnlein. Weitere Infos unter www.pfarrverband-gruenwald.de.

© SZ vom 27.02.2020 - Rechte am Artikel können Sie hier erwerben.
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