Gemeindefinanzen:Arm, aber happy

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Die Bäume wachsen in Neuried nicht in den Himmel. (Foto: Catherina Hess)

Im Gegensatz zu Gräfelfing und Grünwald kann Neuried seinen Bürgern nicht alle Wünsche erfüllen. Sparen muss aber nichts Schlechtes sein, so die Meinung im Rathaus. Manchmal verhindert es auch Unnötiges.

Von Annette Jäger

Ob jemand arm oder reich ist, zeigt sich manchmal an Kleinigkeiten. Zum Beispiel an ein paar Blumenkübeln. Oder genauer: An der Frage, ob man sie sich leisten kann. Im Bauausschuss von Neuried diskutierten die Gemeinderäte etwa neulich, ob eine Balkonbepflanzung am neuen Rathaus samt Bewässerungssystem für 13 000 Euro wirklich nötig ist. Die Debatte war recht ausführlich und symptomatisch für die Gemeinde im Münchner Westen. Denn am Ende entschieden sich die Mitglieder des Ausschusses dagegen. Man will sich überlegen, ob es nicht eine Begrünung vor dem Rathaus genauso tut. Die würde vom Regen gegossen, das ist preiswerter. Die Neurieder müssen sparen, genaugenommen müssen sie so gut wie jeden Euro umdrehen. Das ist schon fast immer so. Und das ist nicht immer nur von Nachteil.

Neuried und Gräfelfing - das finanzielle Gefälle zwischen den beiden Nachbargemeinden im Würmtal könnte größer kaum sein. Während das große und wohlhabende Gräfelfing mit 260 Millionen Euro an Rücklagen ins neue Haushaltsjahr startet, musste das kleine und ärmere Neuried im vergangenen Jahr darum ringen, überhaupt einen ausgeglichenen Haushalt hinzukriegen. Es fehlten zu Beginn der Haushaltsberatungen 1,8 Millionen Euro in der Kasse, um alle Ausgaben zu decken.

"Wir haben das Sparen gelernt": SPD-Bürgermeister Harald Zipfel. (Foto: Claus Schunk)

Die Gräfelfinger können es sich leisten, in zwei öffentlichen Gemeinderatssitzungen durch den Haushalt zu preschen und Großinvestitionen in Bauprojekte zu beschließen. In Neuried gehen die Gemeinderäte Posten für Posten jeder geplanten Ausgabe durch und hinterfragen sie. In der ersten Haushaltssitzung hat das allein für die Mittelanforderungen des Bauamtes zweieinhalb Stunden gedauert. Dabei wurde auch über Ausgaben für eine Gestaltung des großen Platzes hinter dem alten Rathaus in der Ortsmitte diskutiert. Es ging letztlich um 5000 Euro, die man sich leisten will, um mehr Aufenthaltsqualität zu erreichen, unter anderem durch eine Parkbank.

"Wir haben das Sparen gelernt", sagt Bürgermeister Harald Zipfel (SPD). Die angespannte Finanzlage begleitet die Neurieder schließlich seit vielen Jahren. Im reichen Münchner Speckgürtel eher die Ausnahme und im Vergleich etwa zu Gräfelfing, aber auch zu Grünwald und Unterföhring, die zum Teil Hunderte Millionen auf der hohen Kante haben, eine ganz andere Welt.

"Sparen ist nichts Schlechtes", sagt Michael Zimmermann, der Fraktionssprecher der CSU. Man schaut zwei Mal hin, ob eine Ausgabe sinnvoll und notwendig ist. Die Neurieder machen das inzwischen akribisch. Für die Kosten einer Ladestation für einen Elektrobus etwa, den der Landkreis betreiben will, wollte die Gemeinde nicht aufkommen. Das Tanken an der Tankstelle müsste die Gemeinde für andere Busse schließlich auch nicht bezahlen, argumentierte der Gemeinderat. Jetzt übernimmt tatsächlich der Landkreis die Kosten. "Manchmal muss man hartnäckig sein", sagt Zimmermann.

Rückgrat zeigen, wenn es ums Sparen geht, hat sich in den Augen der Neurieder Gemeinderäte auch bei der Entscheidung über mobile Luftfiltergeräte für Klassenzimmer bewiesen. Das Gremium hat sich dagegen entschieden, die Geräte anzuschaffen. Das war durchaus mutig, denn Eltern fordern sie zuweilen vehement. Studien über die Wirkung der Anlagen, die Coronaviren aus der Luft filtern sollen, überzeugten die Gemeinderäte jedoch nicht. Mancherorts wurden solche Geräte schon ausrangiert in Kellern gesehen. Bis heute ist ihre Wirksamkeit umstritten. Und auch wenn Eltern in Neuried anderer Meinung sind: Der Gemeinderat fühlt sich bestätigt, die richtig Entscheidung getroffen zu haben. Stattdessen investiert die Gemeinde nun in festverbaute Luftfilter für einige im Sommer überhitzte Klassenräume, weil diese zusätzlich auch eine Kühlfunktion haben. "Es geht nicht nur darum, was man sich leisten kann, sondern auch, was nachhaltig ist", sagt Bürgermeister Zipfel.

Umzug statt Neubau: Die Gemeinde Neuried verlegt ihr Rathaus komplett in ein Bürogebäude im Gewerbegebiet. (Foto: Catherina Hess)

Eine nachhaltige Entscheidung war für ihn auch der mehrheitliche Beschluss des Gemeinderats im vergangenen Jahr, kein neues Rathaus in der Ortsmitte zu bauen. Stattdessen hat die Gemeinde das Bürogebäude im Gewerbegebiet, in dem Teile der Verwaltung bereits untergebracht sind, gekauft. "Es gibt kein Holz, es gibt wenig Stahl und wenig verfügbare Arbeitskräfte aufgrund der Corona-Pandemie", sagt Zipfel. Das neue Rathaus hätte nie im geplanten Zeitraum und auch nicht zu den veranschlagten Kosten gebaut werden können. "Das war sicher eine nachhaltige Entscheidung." Die Baukosten galoppieren jedenfalls nicht davon. Das sehen allerdings nicht alle im Gemeinderat so wie der Bürgermeister. Michael Zimmermann (CSU) hält den Kaufpreis des Bürogebäudes für zu hoch angesetzt und auch in das Bestandsgebäude müsse investiert werden.

Die Debatte zum Rathaus macht deutlich, dass der Wille zum Sparen zwar fraktionsübergreifend ist, sich aber nicht immer alle einig sind, wo und in welchem Umfang gespart werden soll. Für Robert Hrasky (Bündnis Zukunft Neuried/BZN), der hinter der Rathaus-Entscheidung steht und sich selbst als einen "Mahner" empfindet, wenn es um Geldausgeben geht, gibt es einen klaren Grundsatz: Alles, wofür eigentlich der Gesetzgeber zuständig ist, sollte die Kommune nicht automatisch bezahlen. Dazu gehören zum Beispiel Tablets für die Grundschulkinder, die der Neurieder Gemeinderat nicht finanzieren wird.

Die Herausforderung sei, die Waage zu halten, sagt Dritter Bürgermeister Dieter Maier von den Grünen

Das Sparen lässt sich nicht nur schönreden. Es birgt auch ein Risiko, meint Dieter Maier, Dritter Bürgermeister (Grüne). Nämlich das Risiko, Aufgaben, die eine Gemeinde zu leisten hat, nicht mehr erfüllen zu können. So musste beispielsweise die seit Jahren geplante Verkehrsberuhigung der Ortsmitte viermal zurückgestellt werden, nötige Sanierungen der gemeindlichen Liegenschaft ebenso wie Straßenbaumaßnahmen. Je länger man warte, desto teurer werde es. "Die Waage zu halten", sei beim Sparen die Herausforderung, meint Maier - abwägen zwischen Wunschkonzert und Pflichtprogramm und dabei immer kreative Lösungen im Blick haben. Um etwa den Sanierungsbedarf der gemeindlichen Liegenschaften festzustellen, hat die Gemeinde keinen kostspieligen Auftrag an einen externen Dienstleister vergeben, sondern mit einer Hochschule zusammengearbeitet, die daraus kleine Forschungsprojekte gemacht hat.

Solches Ringen um die Finanzen kennen die wohlhabenden Landkreisgemeinden wie Gräfelfing, Grünwald oder auch Unterföhring nicht. Immer wieder werden hier Rekordhaushalte aufgestellt, Gewerbesteuereinnahmen sprudelten bislang. Doch viel Geld macht auch viel Arbeit. In der Gemeinde Gräfelfing arbeitet die Verwaltung "deutlich am Anschlag", hatte Bürgermeister Peter Köstler (CSU) zuletzt betont. Die Großprojekte müssen auch abgewickelt werden. Obendrein kann sich das Blatt wenden. Wie schnell das gehen kann, zeigt sich in der Gemeinde Unterföhring. Jahrelang wurde großzügig investiert und auch für die Zukunft sind zahlreiche Projekte vorgesehen, unter anderem soll ein Rathaus in rundum nachhaltigem ökologischem Standard für geschätzte 50 Millionen Euro entstehen. Doch jetzt müssen die Unterföhringer die Bremse ziehen. Die Investitionen lassen die Rücklagen zusammenschrumpfen, Gemeinderäte haben zuletzt zu mehr Umsicht beim Geldausgeben gemahnt und der geplante neue Sportpark für 100 Millionen Euro wurde angesichts steigender Baukosten und einer seit der Pandemie unsicheren Finanzlage gestrichen.

Schon vielfältig genutzt: erst als Schule, dann als Rathaus, jetzt als Bauamt. (Foto: Catherina Hess)

In Neuried gibt es hingegen gerade mal gute Nachrichten. Mit einem überraschenden Plus von rund 15 Millionen Euro bei den Gewerbesteuereinnahmen gehen die Gemeinderäte in die nächste Runde der Haushaltsdebatte am kommenden Dienstag. Die Neurieder spielen bei dem Posten sonst in einer anderen Liga. Gerechnet haben sie mit rund fünf Millionen Euro an Einnahmen. Für Bürgermeister Harald Zipfel bringt es "etwas Entspannung", aber er zweifelt noch an der Verlässlichkeit der Zahlen. Noch sei die Summe ein vorläufiges Ergebnis und unklar ist auch, ob das ein Ausrutscher ist oder ein Trend. Am Sparmodus ändere es jedenfalls nichts. "Wir diskutieren weiter."

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