Freilaufende Hunde:Jagdszenen beim Spaziergang

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Gassigehen in der Fröttmaninger Heide. (Foto: Alessandra Schellnegger)

In Wäldern und Naturschutzgebieten kommen sich Erholungssuchende und Wildtiere immer häufiger in die Quere. Die Leidtragenden sind Rehe, Hasen und Wiesenbrüter - vor allem wenn Hunde von der Leine gelassen werden. Die Zahl der Unfälle hat sich in fünf Jahren verdoppelt.

Von Iris Hilberth, Anna Majid und Gudrun Passarge

Das Reh als Wildtier des Jahres 2019 ist durchaus ein Sympathieträger: grazil, scheu und - spätestens seit Bambi - niedlich, auch wenn der Disneyheld ein Hirsch ist. Noch ist das Reh nicht vom Aussterben bedroht, aber in der immer enger werdenden Kulturlandschaft schwinden seine Lebensräume. Selbst in einem Naturschutzgebiet wie dem Mallertshofer Holz bei Garching mit seinen Heideflächen hat es kein ungestörtes Refugium mehr. Gleich zwei Rehe seien hier im Januar Hunden zum Opfer gefallen, berichtet Tobias Maier, Gebietsbetreuer der Heideflächen nördlich von München.

Wiesen, offene Gehölzgruppen an aufgelösten Waldrändern - das Gebiet im Malltershofer Holz lädt viele Spaziergänger ein. Es ist aber auch ein idealer Lebensraum für die Rehe, wie Maier sagt. Sie fressen gerne die Kräuter auf den Wiesen und lassen sich am Waldesrand zum Wiederkäuen und Schlafen nieder. Im Idealfall wenigstens. Denn in der Praxis müssen sich die Tiere immer weiter in den Wald zurückziehen. Als Fluchttiere versuchten sie, stets Abstand zu den Menschen zu halten, erklärt der Gebietsbetreuer. Mit ihrem feinen Geruchssinn könnten die Wildtiere Menschen auf eine Entfernung von 300 Metern ausmachen.

Doch auch Hunde verfügen über einen exzellenten Geruchssinn und nicht selten kommt der Jagdtrieb durch, wenn sie eine Fährte aufnehmen. Wenn der Hundehalter sein Tier nicht zurückpfeifen kann, ist es für manches Reh zu spät. Das gilt nicht nur in den Heidegebieten nördlich von München, sondern auch in den Wäldern. Die Frequentierung der Forstgebiete nehme stetig zu, sagt Egbert Urbach vom Bayerischen Jagdverband (BJV) in Feldkirchen. Und viele Hundebesitzer ließen ihre vierbeinigen Begleiter "gedankenlos" herumtoben. Dabei stecke in jedem Hund ein "Raubtier". Die Rehe suchten die Nähe zur Stadt, berichtet Alexander Schmitt-Geiger, Vorsitzender des Vereins zur Erhaltung und Pflege des Perlacher/Grünwalder Forstes. Denn Rehe seien schlau. Sie hätten gelernt, dass in Stadtnähe weniger gejagt werde als in den beruhigten Gebieten im Inneren des Waldes. Doch wo Menschen sind, lauerten für die Tiere eben andere Gefahren.

Jäger haben das Recht, auf Hunde zu schießen

Aber nicht nur Rehe gehören zu den Opfern, wenn Hunde außer Kontrolle geraten, sondern auch Hasen und Wiesenbrüter, darunter die bedrohte Feldlerche, die schon jetzt auf den Wiesen zu finden ist. Gebietsbetreuer Maier berichtet sogar von versprengten und getöteten Schafen, Lämmchen oder Ziegen in der Heide. Urbach fordert daher: "Hunde sollten auf den Wegen bleiben." Auch im Interesse der Vierbeiner und ihrer Besitzer selbst: Bei einem Zusammenstoß mit Wildschweinen könne es für Hunde und ihre Halter gefährlich werden. Zudem haben Jäger im Rahmen des Jagdschutzes das Recht, auf Hunde zu schießen, die Wild nachstellen.

Laut Landratsamt hat sich die Anzahl der Unfälle, bei denen Tiere durch Hunde verletzt wurden, zwischen 2014 und 2018 mehr als verdoppelt: von neun auf 19 Fälle. Thomas Schreder, der Pressesprecher des Jagdverbands, geht von einer viel höheren Zahl aus. Viele Fälle würden gar nicht gemeldet. Eine weitere Folge freilaufender Hunde: Wild werde aufgeschreckt und auf Straßen getrieben, warnt Schreder.

Naturschutzgebiete seien in erster Linie zum Schutz von Pflanzen und Tierwelt da, betont Gebietsbetreuer Maier. Wenn Hunde frei herumliefen, fühlten sich die Rehe bedroht und zögen sich in den Wald zurück. Das hat Folgen. Denn dort fräßen sie die jungen Knospen an den Bäumen, zum Leidwesen der Förster. Müssten die Tiere ständig auf der Hut sein, könne das auch dazu führen, dass sie zu wenig Futter bekommen, weil sie keine Zeit mehr haben, in Ruhe zu äsen. So hätten manche Rehkitze im Mallertshofer Holz vor dem Winter weniger als zehn Kilogramm gewogen. Dieses Gewicht gilt als Mindestmarke, um gut über den Winter zu kommen. Der Mensch, so Maier, solle sich zwar erholen können, aber nur auf ausgewiesenen Wegen. Hunde gehörten auf jeden Fall an die Leine.

Doch auf der beliebten Strecke zwischen Parkplatz und Mallertshofer See begegneten ihm immer wieder mal Leute, die ihren Hund frei laufen ließen. Er versuche dann um Verständnis zu werben und hofft, dass es sich herumspricht. Er setzt auf Einsicht. Von den Bußgeldern in Höhe von 40 Euro hält er dagegen weniger.

Die Population der Feldlerche ist zurückgegangen

Auch der Landschaftspark Unterhaching auf dem ehemaligen Militärflugplatz ist ein beliebtes Gebiet zum Gassigehen. Die Gemeinde hat nichts dagegen, solange Tier und Herrchen auf den Wegen bleiben und der Hund an der Leine geführt wird. Sie hat sogar am Nordrand die Möglichkeit geschaffen, auf der sogenannten Hundemeile die Tiere frei laufen zu lassen. Auf der großen Wiese südlich der Landebahn hingegen gilt striktes Betretungsverbot. Denn hier brütet die Feldlerche. Der Bestand des gefährdeten Vogels des Jahres 2019 nimmt seit Jahren kontinuierlich ab. Im Landschaftspark findet die Lerche, was sie braucht: offene Gebiete mit niedriger, lockerer Vegetation und wenigen Gehölzen. Als das Gebiet noch eingezäunt war und nicht zur Freizeitgestaltung genutzt wurde, war die Population noch weitaus größer, weiß man beim Bund Naturschutz. "Damals waren es 36 Brutpaare, heute sind es noch acht", sagt Gertraud Schubert von der Ortsgruppe.

Vor allem die frei laufenden Hunde, die trotz des Verbots über die Wiesen rennen, sind neben den hier aktiven Kitesurfern das Problem. Zwar ist regelmäßig ein privater Sicherheitsdienst im Auftrag der Gemeinde unterwegs, der auch kontrollieren soll, ob der Leinenzwang eingehalten wird. Probleme gibt es aber immer wieder, weiß man im Rathaus. "Frei laufende Hunde sind immer ein Thema", sagt Rathaussprecher Simon Hötzl.

Martin Hänsel vom Bund Naturschutz sieht auch andere Nutzergruppen in der Verantwortung. Gerade in Naturschutzgebieten gebe es klare Regeln. "Leider halten sich viele Leute nicht daran", sagt Hänsel. Grund sei ein Kommunikationsproblem: "Es gibt wenige Infotafeln, oft sind sie zudem beschädigt", bestätigt Hänsel.

Damit der respektvolle Umgang miteinander in Zukunft besser funktioniert, lädt Gebietsbetreuer Tobias Maier Spaziergänger und Hundebesitzer für diesen Samstag zu einer Gesprächsrunde im Heidehaus in der Fröttmaninger Heide ein, bei der sie ihre Erlebnisse berichten können.

© SZ vom 23.03.2019 - Rechte am Artikel können Sie hier erwerben.
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