Frauenärztin angeklagt:Zu spät für Abtreibung

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Schwere Vorwürfe: Ein junges Ehepaar hat eine Frauenärztin verklagt, weil sie die Schwangerschaft nicht rechtzeitig erkannt hatte. Der Mutter blieb keine Chance, das Kind abzutreiben.

E. Müller-Jentsch

Ein junges Elternpaar steht am Mittwoch vor einem Sitzungssaal im Münchner Landgericht. Mutter und Vater halten wechselweise ihren kleinen Sohn auf dem Arm, lachen mit dem Buben und herzen ihn. Dann geben sie das Kind in die Obhut der Oma, gehen in den Gerichtssaal und erklären dort ihren kleinen Tom (Name geändert) buchstäblich zum Schadensfall. Sie haben die Frauenärztin verklagt: Die habe die Schwangerschaft nicht rechtzeitig erkannt - "deshalb hatte ich keine Chance mehr, das Kind abtreiben zu lassen", bedauert die junge Mutter. Unter dem Strich verlangen die beiden als finanziellen Ausgleich dafür rund 120.000 Euro.

Schwangerschaft zu spät festgestellt: Jetzt steht die Frauenärztin vor Gericht. (Foto: i.Stock)

Genau vor fünf Jahren war die damals gerade erst 16-jährige Münchnerin zu ihrer Frauenärztin gegangen. Ihre Periode war überfällig. Sie habe befürchtet, schwanger zu sein, sagte sie nun vor der Arzthaftungskammer. Die Ärztin habe sie per Ultraschall untersucht, aber bei der ausdrücklichen Nachfrage nach einem Schwangerschaftstest den Kopf geschüttelt: Das sei nicht nötig. Vielmehr habe sie Medikamente gegen eine Infektion verschrieben.

Die Schwangerschaft wurde erst einige Wochen später bei einer anderen Gynäkologin festgestellt: zu spät für eine Abtreibung - der Eingriff muss innerhalb von zwölf Wochen nach der Empfängnis stattfinden. Warum sie nicht selbst in der Apotheke einen Schwangerschaftstest gekauft habe, wollte das Gericht wissen. "Der kostet um die 30 Euro, das konnten wir uns absolut nicht leisten", lautete die Antwort.

Natürlich versuchte die 9.Kammer zunächst, diverse Widersprüche in der Aussage der jungen Mutter und der ärztlichen Dokumentation zu klären. Doch dann kamen die Richter, alle drei selbst Väter, zum wesentlichen Punkt: Was hätte die damals noch Jugendliche getan, wenn ihr die Schwangerschaft frühzeitig bekannt geworden wäre?

"Ich hätte das Kind nicht bekommen wollen", versicherte sie jetzt. "Ich wollte damals mit meinem Vater zum Urlaub in die Türkei fliegen - es kam einfach unpassend", sagte sie. "Außerdem hatte ich gerade erst eine Ausbildung als Kosmetikerin angefangen." Aber jetzt sei sie doch auch wieder schwanger, fragte der Richter mit Blick auf den Babybauch der Klägerin. "Das ist eine andere Situation", meinte die Frau. "Jetzt habe ich ja schon ein Kind und bin auch mit dessen Vater zusammen." Vom Vater ihres ersten Kindes hatte sie sich dagegen schon getrennt, bevor sie etwas von der Schwangerschaft gewusst habe. 200 Euro Unterhalt im Monat verlangt sie nun von der Ärztin für ihren Tom.

Denselben Betrag will auch der ebenfalls klagende gleichaltrige junge Mann, der erst nach einem Gentest die Vaterschaft anerkannt hatte und deshalb nun unterhaltspflichtig ist. Von dem ersten Verdacht, dass sie schwanger sein könnte, habe ihn seine damalige Freundin per SMS auf der Schulabschlussfahrt informiert. Und viel später, als er gerade bei seiner Oma zum Mittagessen war, habe ihn die "Ex" auf dem Handy angerufen: "Hallo Papa." Erst glaubte er sich veräppelt, sei dann aber bei einem Zusammentreffen per aktuellem Ultraschallbild mit der Realität konfrontiert worden. Derzeit sei er Koch-Azubi, habe kaum Geld.

Würden die beiden mit ihren Forderungen Erfolg haben, müsste die Ärztin rund 25 Jahre zahlen. Doch das Gericht machte den jungen Eltern wenig Hoffnung: "Ich würde im Moment nicht all zu viel Geld auf die Klage setzen", sagte der Vorsitzende. Die größte Hürde sei es, den ernsthaften Willen zur Abtreibung nachzuweisen.

Dabei würde auch eine Rolle spielen, wie die vorgeschriebene Beratung damals abgelaufen wäre und auch, wie viele Frauen sich nach einer solchen Beratung für den Schwangerschaftsabbruch entscheiden. "Wenn wir den Willen der Klägerin zur Abtreibung nicht glauben, wird die Klage abgewiesen", sagte der Vorsitzende.

Dann schlug er aber vor, mit einer freiwilligen Zahlung von 12.000 Euro den Fall aus der Welt zu schaffen. "Geld, das für die Ausbildung des Kindes gut angelegt werden sollte." Eltern und Ärztin bekamen Bedenkzeit, sollten sie dann den Vergleich ablehnen, geht der Prozess im September mit der Beauftragung eines Gutachters weiter.

© SZ vom 15.07.2010 - Rechte am Artikel können Sie hier erwerben.
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