Flüchtlinge in Keferloh:Erste Hilfe

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Schnell handelten die Ehrenamtlichen und bereiteten für die Flüchtlinge Essen zu. (Foto: Claus Schunk)

Viele Ehrenamtliche haben die Erstaufnahmeeinrichtung in Keferloh in Rekordzeit hergerichtet. Bei einem Besuch fordert Landrat Christoph Göbel, die Flüchtlinge schnellstmöglich in festen Unterkünften unterzubringen. Wie das gehen könnte, ist unklar.

Von Martin Mühlfenzl, Keferloh

Ivan Lendl, der große tschechisch-amerikanische Tennisspieler, trainierte hier einst auf den Plätzen des Tenniscenters Keferloh unter den Augen begeisterter Grasbrunner Buben für seine acht Grand-Slam-Siege. Die Anlage selbst brachte es in den Achtzigerjahren als größte ihrer Art zu einem Eintrag ins Guinnessbuch der Rekorde. Das ist die große Vergangenheit des Tenniscenters. Die Gegenwart ist eine gänzlich andere.

Landrat Christoph Göbel (CSU), der das Areal per Dekret für Flüchtlinge geöffnet hat, macht sich am Mittwoch selbst ein Bild von der aktuellen Lage in dem Tenniscenter. Gemeinsam mit dem CSU-Bundestagsabgeordneten Florian Hahn und Johannes Bußjäger, dem Kommandanten der Grasbrunner Freiwilligen Feuerwehr, geht Göbel das Areal ab, begutachtet jede einzelne der zehn Hallen, grüßt freundlich, schüttelt Hände und sucht das Gespräch mit den vielen Freiwilligen und Ehrenamtlichen.

Nur wenige Meter entfernt fährt ein silberner Reisebus vor; ein paar Minuten zuvor hat ein baugleiches gelbes Modell das Gelände verlassen. Die Türen des neu ankommenden Busses öffnen sich und es steigen etwa 30 Menschen aus; viele junge Männer mit müden Blicken, aber auch ganze Familien, Frauen mit Kindern. Sie alle kommen aus München und sind in den vergangenen 24 Stunden mit dem Zug aus Budapest in der Landeshauptstadt gestrandet.

Der Landrat ist voll des Lobes für die Helfer

Das Tenniscenter ist seit Dienstagabend eine Erstaufnahmeeinrichtung der Regierung von Oberbayern. In einer Nacht-und-Nebel-Aktion haben mehr als 100 Freiwillige von zehn umliegenden Feuerwehren (von Planegg über Ottobrunn bis Grasbrunn und Haar), des Technischen Hilfswerks, ABC-Zuges und des Roten Kreuzes die Hallen in provisorische Unterkünfte verwandelt. Der Landkreis organisierte das Catering und einen Ordnungsdienst. "Das musste alles unglaublich schnell gehen - und es ist unbeschreiblich, welche Leistungen hier durch die ganzen Ehrenamtlichen erbracht werden", sagt Landrat Göbel, und er wird diesen Satz bei seinem Rundgang noch einige Male wiederholen.

Als Göbel der stellvertretenden Regierungspräsidentin von Oberbayern, Maria Els, am Dienstagvormittag das Angebot machte, das Tenniscenter in eine Erstaufnahmeeinrichtung umzuwandeln, war von mehreren Tagen die Rede. "Ein bis drei Tage", lautete die Botschaft aus dem Landratsamt; "zwei bis vier", gab Grasbrunns Bürgermeister Klaus Korneder (SPD) seine Informationen weiter. So lang, respektive kurz, sollten hier Flüchtlinge aufgenommen, registriert und dann auf feste Unterkünfte verteilt werden. Ob dieser Zeitplan zu halten ist? "Ich weiß es nicht", sagt Göbel. "Es ist momentan nicht kalkulierbar. Wir alle kennen die Bilder aus Budapest."

Die ehemalige Tennisanlage dient nun als Erstaufnahmeeinrichtung für Flüchtlinge. (Foto: Claus Schunk)

Die Menschen, die mit Bussen nach Keferloh gefahren werden, haben diese Bilder noch im Kopf. Sie haben aber auch erlebt, mit welcher Herzlichkeit die Münchner sie am Hauptbahnhof in Empfang genommen und sich um sie gekümmert haben. Der Landkreis München ist es nun, der ihnen in den ersten Tagen zumindest ein Dach über dem Kopf bietet. Ein morsches und marodes zwar, aber immerhin ein Dach. Denn die Hallen haben nichts mehr mit Ivan Lendls Trainingsstätte gemein; sie waren in den vergangenen Jahren dem Verfall ausgesetzt. In einer Sporthalle liegt noch der Abzieher für das Tennisfeld in einer Ecke; in einer anderen präsentiert sich ein Golfschläger als Überbleibsel des kurzen Indoor-Golf-Booms. "Es ist ein Wahnsinn", sagt der Bundestagsabgeordnete Florian Hahn. "Aber alles ist besser, als auf dem Bahnsteig oder vor dem Hauptbahnhof schlafen zu müssen."

Der Abgeordnete Florian Hahn, Feuerwehrkommandant Johannes Bußjäger und Landrat Christoph Göbel (von links) begutachteten die Unterkunft. (Foto: Martin Mühlfenzl)

Vor den ersten beiden der zehn Hallen, die sich wie kleine Flughafenhangars aneinander reihen, haben Feuerwehrkommandant Johannes Bußjäger und seine Kollegen einen Container und zwei Zelte mit sechs Duschen aufgestellt; neun hätten insgesamt Platz: "Die werden wir auch brauchen", sagt Bußjäger. "Aber wenn es noch mehr Menschen werden, müssen weitere Container her." Insgesamt 700 Menschen können in Keferloh untergebracht werden.

In jeder Halle gab es nur eine Steckdose

Es ist ein gigantischer Aufwand, den die Feuerwehrler sowie die Mitarbeiter des THW und des ABC-Zuges leisten. In jeder der Hallen, in der mittlerweile bis zu 70 Schlafplätze eingerichtet worden sind, gab es nur eine Steckdose. "Das wäre so nicht gegangen. Also haben unsere Techniker das übernommen", sagt Feuerwehrkommandant Bußjäger. Er selbst habe sich momentan frei gegeben: "Das geht als Selbstsändiger. Wir müssen hier schon aus Brandschutzgründen 24 Stunden am Tag am Ort sein." Das beeindruckt auch Landrat Göbel: "Es zeigt sich hier, zu was das Ehrenamt in der Lage ist."

Auf die Mithilfe der Ehrenamtlichen wird der Landkreis in den kommenden Wochen und Monaten verstärkt angewiesen sein. Denn nahezu beiläufig korrigiert Göbel bei seinem Rundgang die Zahl der zu erwartenden Flüchtlingen auf 6000 bis Jahresende; erst in der vergangenen Woche hatte das Landratsamt die Prognose auf etwas mehr als 5300 angehoben.

"Wir werden unsere Flüchtlingspolitik grundlegend überdenken müssen. Die große Herausforderung ist, allen Menschen eine würdige Unterkunft zu bieten", sagt Göbel - und blickt in einer der Hallen auf zerschlissene Teppiche und Löcher in den Wänden. "Das kann es nicht sein", sagt der Landrat. "Wir müssen zusehen, dass wir die Menschen so schnell wie möglich von hier weg und in feste Unterkünfte bringen."

In Keferloh zeigt sich, unter welchem Druck die Politik steht. Eine vergammelte Tennisanlage wird zu einer provisorischen Aufnahmeeinrichtung, weil die Millionenstadt München dem Ansturm nicht mehr Herr wird. Landrat Göbel weiß um den Einsatz der Ehrenamtlichen, lobt am Beispiel der stellvertretenden Regierungspräsidentin aber auch die Arbeit der Politiker im Kreis und im Bezirk Oberbayern: "Maria Els hat die letzten Nächte nicht viel geschlafen - von Dienstag auf Mittwoch gar nicht." Dass der Landkreis bei der Bewältigung des Flüchtlingsstroms nicht allein gelassen werden darf, weiß auch der Bundespolitiker Hahn - er will die Problematik mit Kanzlerin Angela Merkel bei deren Besuch am Freitag in Garching erörtern.

Solche Gespräche braucht es - wie auch die zupackenden Hände der Ehrenamtlichen um den Feuerwehrkommandanten Johannes Bußjäger. Sie tragen dazu bei, dass auf einer Anlage mit großer Vergangenheit viele Menschen von einer besseren Zukunft träumen dürfen.

© SZ vom 03.09.2015 - Rechte am Artikel können Sie hier erwerben.
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