Flüchtlinge auf der Bühne:"Die Musik ist ein Geschenk"

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Fünf Flüchtlinge in Haar haben eine Band gegründet. An diesem Freitag spielt die Gruppe hinter der Turnhalle. Ihr zweiter öffentlicher Auftritt könnte jedoch bereits das Abschiedskonzert sein.

Von Christina Hertel, Haar

Hip-Hop-Beat. Man muss mit dem Kopf mitwippen, unwillkürlich. Tommy steht breitbeinig da. Grauer Schal, Baggy-Jeans. In seiner rechten Hand hält er das Mikro, ganz nah an seinem Mund. Der linke Arm ist ausgestreckt, Tommy bewegt ihn im Takt hin und her - so, wie man es aus amerikanischen Musikvideos kennt. Doch Tommy ist weder Amerikaner, noch dreht er hier ein Video. Er ist auch kein reicher Rapper, sondern ein Flüchtling, der in Haar in einer Turnhalle lebt, zusammen mit 60 anderen Menschen aus der ganzen Welt. Gerade steht er im dunklen Keller des Jugendzentrums Route 66 und probt mit seinen Freunden für den nächsten Auftritt.

Tommy, 21, kommt aus Sierra Leone, Westafrika. In seinem Leben hat er viel Schlechtes erlebt, aber darüber will er nicht sprechen. Jetzt ist er hier in Deutschland. Endlich, sagt er.

Geprobt wird immer freitags

Seit einigen Wochen kommt Tommy mit Austin, Bright, Unity und Ero immer freitags in das Jugendzentrum. Sie alle stammen aus Afrika, gemeinsam sind sie eine Band und nennen sich Die Flüchtlinge. Klar - The Refugees gibt es schließlich schon. "Wenn wir mal berühmt werden, soll keiner denken, wir hätten den Namen geklaut", sagt Tommy auf Englisch, obwohl er in den paar Monaten hier schon ein bisschen Deutsch gelernt hat.

Die fünf kennen sich erst seit Anfang Juni. Aber sie sagen, sie seien schon wie eine Familie. An diesem Freitag geben sie von 15 Uhr an ihr zweites Konzert . Es findet hinter jener Turnhalle statt, in der die Haarer Flüchtlinge seit mehreren Monaten übergangsweise untergebracht waren. Für die Band könnte es das Abschiedskonzert sein, alle Asylbewerber müssen bald aus Haar weg in eine feste Unterkunft. Wann genau weiß keiner, wohin auch nicht. Trennt sich die Band dann? "Nein", rufen alle einstimmig, fast empört. Sie haben doch Handys, man kann sich doch besuchen.

Sozialarbeiter Hannes Leitner spielt den Bass

Dass sich die Band gründen konnte, verdanken die Musiker Hannes Leitner. Er ist Sozialarbeiter im Route 66 und arbeitet für den Kreisjugendring München-Land. Als die Flüchtlinge nach Haar kamen, wollte er ihnen eine Beschäftigung anbieten. Er wollte ihnen keinen Alltag zumuten, der nur aus schlafen, essen und warten besteht, ohne Struktur und ohne Privatsphäre. Leitner ist selbst Musiker. In der Band spielt er den Bass. Er hat auch die Beats aufgenommen, die sie vorher mit E-Schlagzeugen eingespielt haben und die jetzt vom Laptop abgespielt werden.

Bevor die fünf jungen Männer in das Jugendzentrum kamen, konnte keiner ein Instrument spielen. Sie haben in der Schule ein bisschen Musik gemacht, aus Spaß, das war's. Jetzt, wo sie hier sind und jeden Tag besser werden, fangen sie an, von einer Karriere als Musiker in Deutschland zu träumen. "Wir könnten groß werden mit etwas mehr Unterstützung", sagt Tommy. Die anderen nicken. "Was mit uns passiert, weiß nur Gott", sagt Unity. Der 19-Jährige sagt diesen Satz so ernst wie einer, der schon alles gesehen hat. Bei den Songs rappt er einige Soloparts. Klar, sagt er, wenn es mit der Musik nicht klappe, würden sie auch sofort andere Jobs machen. "Aber die Musik ist ein Geschenk, das uns keiner nehmen kann."

"Die Leute hier geben ihr Bestes"

Wie genau die fünf nach Haar gelangt sind, wollen sie nicht sagen. "Es ist egal, wo ihr herkommt, jetzt seid ihr da", sagt Leitner, der Sozialarbeiter. Trotzdem ist die Flucht ein Teil von ihnen. Was sie dabei erlebten, hat sie geprägt, verändert. Austin, der Schlagzeuger, erzählt, dass er nie an Gott geglaubt habe. Jetzt aber wisse er, dass "Gott der Beste ist". Weil sie gesund sind - und am Leben.

Auch dem deutschen Staat sind sie dankbar. Deshalb haben sie einen Thank-You-Germany-Song geschrieben. "Die Leute hier geben ihr Bestes", sagt Tommy. Trotzdem beten sie, dass es ihnen bald noch besser geht. Dass sie nicht mehr in einem Flüchtlingslager leben müssen. Dass sie frei sind und wieder ihre eigenen Entscheidungen treffen können.

© SZ vom 25.09.2015 - Rechte am Artikel können Sie hier erwerben.
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