Stadtplanung:"Die vielen Autos sind kacke"

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In den Workshops wurden die Feldkirchnerinnen und Feldkirchner nach Altersgruppen eingeteilt. Es gab je einen für Kinder, Senioren und Erwachsene. (Foto: Claus Schunk)

Die Bewohner Feldkirchens dürfen ihre Ideen zur Ortsentwicklung einbringen. Bei den Workshops für Senioren und Kinder zeigt sich trotz des Altersunterschieds eine Gemeinsamkeit, die selbst den Bürgermeister überrascht.

Von Luisa Wick, Feldkirchen

Das Luftbild aus dem Jahr 1958 zeigt ein deutlich größeres Siedlungsgebiet als noch 1860. Außerdem ist der Heimstettener See zu sehen, der sich weitere 32 Jahre später als ausgebautes Erholungsgebiet zeigt. Eine Zeitreise durch Feldkirchen: So begannen die Ortsentwicklungsworkshops, zu denen Bürgermeister Andreas Janson (UWV) vergangene Woche eingeladen hatte. Aufgeteilt in drei Gruppen - Senioren, Kinder und Jugend, Erwachsene - sollte erarbeitet werden, wie Feldkirchen in Zukunft aussehen könnte. Dass die ältesten Gemeindemitglieder den Auftakt der Workshops bildeten, scheint naheliegend. Schließlich begann alles mit einem Seniorenheim.

Ein Blick zurück: Im Sommer vor zwei Jahren erfuhren die Feldkirchner, dass an der Münchner Straße 22 ein Seniorenheim geplant wird. Die Kritik an den Plänen war groß. Einigkeit bestand lediglich darüber, dass man ein Seniorenheim im Ort brauche. Kritisiert wurden vor allem der massive Baukörper und die kleinen Zimmer, außerdem gab es Zweifel an der Integrität der Investoren. Die Kritiker schlossen sich zur Bürgerinitiative "Pro Feldkirchen" zusammen und erreichten Änderungen am Bebauungsplan. Der zweite Entwurf unter neuem Architekten stieß im Oktober 2022 auf weit weniger Kritik.

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Das Projekt verdeutlichte, dass die Feldkirchnerinnen und Feldkirchner sich Transparenz und Mitspracherecht wünschen, wenn es um die Entwicklung ihres Ortes geht. Außerdem offenbare es die Dringlichkeit eines Ortsentwicklungsplans, findet Steve Grundmann von der Bürgerinitiative. "Man muss wissen, wie Feldkirchen künftig aussehen soll, bevor man solche Gebäude plant", sagt Grundmann. Nur dann könne man sagen, ob sie sich in das Ortsbild einfügten und ob sie eine Bereicherung für die Bürger darstellten. Beauftragt mit der Erstellung eines solchen Ortsentwicklungsplans wurde Ende 2022 das Münchner Planungsbüro Mahl Gebhard Konzepte. Das Büro entwickelte bereits Konzepte für die Stadt München sowie die Stadt Regensburg.

Ein Ortsentwicklungsplan nehme die räumlichen und sozialen Veränderungen eines Ortes in den Blick, erklärt Katrin Rismont, Landschaftsarchitektin und Partnerin von Mahl Gebhard Konzepte. Ziel sei, einer Gemeinde einen Leitfaden an die Hand zu geben, mit Hilfe dessen sie den Anforderungen der Zukunft gewachsen sei. 18 Senioren hören Rismont aufmerksam zu. Manche machen sich Notizen. Saft und Wasser steht vor ihnen bereit, nur Gläser hat man vergessen. Rismont sagt, sie möchte gemeinsam mit ihnen in die Zukunft schauen. Was wünschen sie sich für ihren Ort? Was erwarten sie? Was stört sie? Die Antworten auf diese Fragen sollten in den Ortsentwicklungsplan einfließen.

Schließlich steht auf elf Zetteln bei der Frage, was die Bürger an Feldkirchen am meisten stört, der Verkehr. Dem Frust wird mit einigen Ausrufezeichen Luft gemacht. Das Verkehrsaufkommen sei zu hoch, mache zu viel Lärm und sei gefährlich. Die Feldkirchner wünschen sich bessere und sicherere Rad- und Gehwege. Außerdem brauche es dringend eine ansprechende Ortsmitte, mehr Grün, das zu Fuß erreichbar sei, und mehr Raum für Begegnungsmöglichkeiten. Auch altersgerechtes Wohnen ist an diesem Tag ein Thema. Die Senioren kritisieren das mangelnde Angebot. Die Möglichkeiten, die es gebe, seien unzureichend. Die Seniorenwohnanlage an der Raiffeisenstraße komme für Ehepaare nicht infrage, für zwei Personen seien die Wohnungen viel zu klein.

Am darauffolgenden Tag nehmen drei Kinder am Workshop teil. Dass es nur drei sind, liegt vermutlich nicht an mangelndem Interesse. Steve Grundmann wies bereits im Vorfeld auf die problematische Terminierung der Workshops hin. Sie in die erste Schulwoche zu legen, sei etwas unglücklich. "Da ist es nicht nur für die Eltern schwierig, die Teilnahme mit den Elternabenden zu jonglieren, auch viele Kinder werden zu der Zeit in der Schule sein", so Grundmann. Seine Theorie bestätigt sich, als kurz vor Ende des Workshops einige Nachzügler eintrudeln. Sie begutachten die Vorarbeit, die die drei bereits geleistet haben.

Mit bunten Plastikbällen, die sie in beschriftete Eimer geworfen haben, zeigen sie, was sie sich für Feldkirchen am meisten wünschen. Die Vorschläge, die auf den Eimern stehen, haben sie zuvor selbst erarbeitet. "Freibad" steht auf einem, "Basketballplatz" auf einem anderen, außerdem gibt es eine "Insel im Heimstettener See", mehr "Schatten" auf dem Sportplatz - und eine "Umfahrungsstraße" zur Auswahl. Letzteres überrascht Bürgermeister Janson: "Dass selbst den Kindern das hohe Verkehrsaufkommen auffällt, hätte ich nicht gedacht", sagt er. Noch überraschender: Der Vorschlag bekommt acht Bälle und liegt damit an dritter Stelle, direkt hinter Freibad und Basketballplatz, die jeweils zehn Bällen bekommen. Ins Gespräch gebracht hat den Verkehr der zehnjährige Lukas. "Die vielen Autos sind kacke", sagt er. Sobald er aus dem Fenster schaue, sehe er Stau. Besonders die vielen Lkw stören ihn. Der achtjährige Jamy stimmt zu. Man müsse bei Rot immer so lange an der Ampel stehen: "Das nervt."

Weil der Heimstettener See so viele Algen hat, steht ein Freibad auf der Wunschliste ganz oben

Für besonders viel Begeisterung sorgt das Freibad. Es müsse aber mindestens einen Zehner-Sprungturm geben, sagt Lukas. "Selbst das in Haar hat nur einen Dreier." Der Heimstettener See ist wegen der vielen Algen bei den Kindern unbeliebt. "Ein Freibad ist natürlich das teuerste, das die Gemeinde machen könnte", dämpft Bürgermeister Janson die Euphorie. Doch wünschen dürfen sich die Kinder an diesem Tag alles. Während die Kinder in Zukunftsfantasien eintauchen, schwelgen die Senioren in Erinnerungen. Birgit Begus erinnert sich an ihre Jugend und an das Kino, dass es damals in Feldkirchen gab: "Ich wünsche es den Familien im Ort, dass sie in einigen Jahren auch so ein Angebot erleben dürfen."

Begus verlässt den Workshop mit einem guten Gefühl. "Es ist ja immer so, dass manche mehr und andere weniger zu sagen haben. Durch die Anleitung und Strukturierung des Workshops habe ich das Gefühl, dass jeder zu Wort kommen konnte", sagt sie. Steve Grundmann hat am Workshop für die Erwachsenen teilgenommen. Sein Fazit fällt etwas differenzierter aus. "Primär bin ich dankbar, dass die Workshops angeboten wurden und damit gezeigt wird, dass Interesse besteht, die Bürger einzubeziehen", sagt er. Die Inhalte seien bisher jedoch sehr abstrakt geblieben. "Ich hoffe, dass wir bald vom Abstrakten ins Konkrete kommen."

Für Stadtplanerin Rismont haben die Workshops vor allem verdeutlicht, dass die Feldkirchner nicht länger in einem Ort leben wollen, der vom Durchgangsverkehr dominiert wird. Außerdem wünschten sie sich eine höhere Aufenthaltsqualität im öffentlichen Raum. Das Planungsbüro werde die genauen Ergebnisse der Workshops nun zusammenfassen und an einem nächsten Termin am 11. November den Feldkirchnern präsentieren. Anschließend werde das Büro in die Leitbildentwicklung gehen.

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