Fachkräfte:Mangel im Wirtschaftswunderland

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Offene Stellen: Die Unternehmen im Landkreis beklagen Ausfälle im zweistelligen Millionenbereich, weil sie wegen fehlender Fachkräfte Aufträge nicht wie gewünscht abarbeiten können. (Foto: Imago)

Den Unternehmen im Landkreis fehlen Zehntausende Arbeitskräfte. Deren Vertreter setzen auf Flexibilität und hoffen auf ein Einwanderungsgesetz. Gewerkschafter pochen auf gute Bezahlung.

Von Martin Mühlfenzl, Kirchheim

Die Mittagspause in der Kantine der Firma Leicher in Kirchheim wird bald zum Erlebnis. Und der Küchenchef zum Entertainer. "Front Cooking" will Firmeninhaber Christoph Leicher seinen Angestellten in der lichtdurchfluteten Betriebsküche künftig anbieten. Seine Mitarbeiter sollen live miterleben, was da Gesundes für sie zubereitet wird.

Und die Attraktivität seines Unternehmens will der Mittelständler damit freilich auch steigern. Denn der Konkurrenzkampf um Fachkräfte tobt in der reichsten Region der Republik. Versucht er, qualifizierte Experten mit erlebnisorientierter Kochkunst anzulocken? "Es kommt auf die Kleinigkeiten an", sagt Leicher und lacht.

Bis zu 40 000 Mitarbeiter fehlen

Die Wirtschaft im Landkreis München boomt, es herrscht Vollbeschäftigung in den 29 Städten und Gemeinden, drei Dax-Unternehmen sind hier zu Hause, zwei im Tec-Dax, neun im C-Dax. Dennoch ist nicht allen Unternehmern zum Lachen zumute, denn den Landkreis und seine Firmen plagt ein ausgesprochener Mangel: der Fachkräftemangel. Mehr als 60 000 qualifizierte Angestellte fehlen in den Landkreisen rund um die Landeshauptstadt, hat die Industrie- und Handelskammer für München und Oberbayern unlängst gemeldet.

Christoph Leicher geht davon aus, dass davon nahezu 30 000 bis 40 000 auf den Landkreis München entfallen. "Der wirtschaftliche Schaden für den Landkreis, davon gehen wir, aus, liegt im zweistelligen Millionenbereich", sagt er. Durch Aufträge, die nicht mehr angenommen und erledigt werden können, weil schlicht die Mitarbeiter fehlen.

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Christoph Leicher, schlichtes weißes Hemd, immer ein Lächeln im Gesicht, sitzt in seiner Kantine. "Sie müssen die Kürbissuppe probieren", sagt er. "Das ist die beste weit und breit." Vielleicht liegt es ja auch an der tatsächlich guten Kantinen-Suppe, dass bei Leicher Engeneering derzeit keine Stelle frei ist. Leicher selbst sagt, dass dies derzeit aber eher Zufall ist; auch sein Unternehmen ist ständig auf der Suche nach hoch qualifizierten Arbeitnehmern, momentan beschäftigt er Mitarbeiter aus 13 Nationen. Allein diese Zahl belegt, wie sich der Arbeitsmarkt im Landkreis München immer weiter internationalisiert. Und flexibilisiert.

Festanstellungen und gute Bezahlung

Simone Burger, Geschäftsführerin des DGB-Kreisverbandes, bildet gewissermaßen den Gegenpol zum Unternehmervertreter Leicher. Wenn der davon spricht, dass die Firmen von Zeitarbeits- und Leiharbeitsmodellen enorm profitieren würden, ist Burger in ihrem Element. "Aus Unternehmersicht ist das verständlich, aber grundsätzlich schädlich", sagt Burger. "Wenn der Fachkräftemangel behoben werden soll, dann müssen die Firmen die Leute fest anstellen und gut bezahlen."

Denn am Ende des Tages, sagt die Gewerkschafterin, gehe es darum, dass sich Menschen das Leben in dieser "unglaublich dynamischen Region" leisten können. "Wohnen, Mieten, Lebenshaltungskosten. Das sind die zentralen Fragen", sagt Burger.

In diesen Punkten ist sich die Gewerkschafterin mit dem Unternehmer, aber auch der Politik einig. Der Fachkräftemangel beschäftigt längst auch die Verwaltungen. Eindrücklich machte Landrat Christoph Göbel (CSU) dies bei den Haushaltsverhandlungen klar, als er mit harten Bandagen und klaren Argumenten um Stellen kämpfte. Auch seine Behörde müsse alles Erdenkliche dafür tun, dass sich die Qualifizierten für eine Laufbahn im öffentlichen Dienst entscheiden; der Landkreis - wie viele Kommunen - leistet seinen Beitrag, indem er seinen nahezu tausend Bediensteten eine Arbeitsmarktzulage zahlt.

Der Landkreis München ist eigentlich eine Art Wirtschaftswunderland - es gibt mehr als 200 000 sozialversicherungspflichtige Jobs. Mehr Menschen pendeln aus der Stadt in den Landkreis als umgekehrt. Eigentlich könnte alles zum Besten stehen. "Das wirkt nur so", sagt Leicher. "Es geht darum, das Volumen zu steigern, das müssen Unternehmen. Und wir müssen die Qualität weiter entwickeln, sonst laufen uns andere den Rang ab." Ausbildung, Mehrsprachigkeit. "Ein Einwanderungsgesetz, das wäre ungeheuer wichtig", sagt Leicher. "Und dass wir die Schutzsuchenden in Arbeit und Ausbildung bringen. Das ist mehr eine Chance als ein Risiko."

Die Politik, da ist er sich sicher, muss die Rahmenbedingungen schaffen: schnelles Internet, verkehrliche Infrastruktur, günstiger Wohnraum. Das sind Bausteine, um die Zukunft der Region zu sichern und die Fachkräfte anzulocken und hier zu behalten, sagt er. Auch mit gutem Essen.

© SZ vom 27.11.2017 - Rechte am Artikel können Sie hier erwerben.
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