Erlebnis Christbaumschlagen:Sägensreiche Weihnachtszeit

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Karawanen von Autos mit Dachständer fahren raus nach Aying. In Blindham dreht sich derzeit alles um den Christbaum. Mama, Papa und Kind stürmen in den Wald von Josef Sedlmair.

Von Michael Morosow, Aying

"Selbst ist die Frau", ruft Denise Deinert in den Wald hinein und sägt sich einen Weihnachtsbaum. Eine Nordmanntanne ist es, gerade gewachsen wie die Messlatte, an der später der Preis abgelesen wird. Die Frau aus Bad Feilnbach hat den Weg bis zur Christbaumkultur nach Blindham wie jedes Jahr in Kauf genommen, "weil es hier wirklich schöne Bäume gibt", wie sie sagt. Nun gut, bei ihrer Sägetechnik ist noch ein wenig Luft nach oben: "Der schaut ja aus, als ob ihn ein Biber abgebissen hat", witzelt Josef Sedlmair, Besitzer des Bergtierparks Blindham und der etwas höher gelegenen Baumschule für Christbäume. Ein kleiner Korrekturschnitt, und schon ist das schöne Stück durch den Netztrichter gezogen und schreitet auf der Schulter der glücklichen Käuferin seiner Bestimmung entgegen.

Tausende Nordmanntannen, Rotfichten, Blaufichten und auch wenige Kiefern stehen hier auf acht Hektar Fläche in Reih und Glied. Jungpflanzen, nicht viel höher als ein Christbaumständer, viele Tausend "erntereife" Exemplare zum Preis von 18 Euro pro Meter, aber auch hoch gewachsene Bäume, wie eine Elf-Meter-Tanne, die Seldmair heuer an den Mesner der Münchner Heiliggeist-Kirche am Viktualienmarkt verkauft hat. Gepflanzt wurde diese Nordmanntanne von Josef Sedlmair senior, der 1986 die ersten Samen säte für ein inzwischen florierendes Saisongeschäft und heute seinem Sohn zur Seite steht, wenn Karawanen von Autos mit Münchner Kennzeichen und Dachständer vorfahren und zumeist Eltern mit Kindern mit der Säge in den Christbaumwald stürmen.

Josef Sedlmair sen. mit Blaufichte. (Foto: Claus Schunk)

In der Weihnachtsbaumbranche hat man das ganze Jahr über zu tun

Den meisten ist die Adresse geläufig, waren sie doch schon irgendwann einmal auf Streicheltour im Bergtierpark, dem zweiten Standbein der Sedlmairs, das seit dem Start des Christbaumverkaufs am Totensonntag ein wenig hinterherhinkt, was die Besucherzahlen anbelangt. Jetzt ist halt die Zeit für Christbäume, oder, wie Josef Sedlmair sagt: "Generell läuft es mit dem Christbaumverkauf nach Weihnachten schlecht." In den Tagen nach der Bescherung, so ist er sich sicher, werde dafür wieder der Tierpark überrannt.

Wer nun freilich denkt, die Arbeit der Sedlmair-Truppe, zu der auch der 23-jährige Jakob Huber, ein gelernter Landbau-Techniker, gehört, sei zeitlich begrenzt auf die Adventszeit, der irrt gewaltig. In der Weihnachtsbaumbranche hat man das ganze Jahr über zu tun mit Hege und Pflege. Die Nordmanntannen der georgischen Marke Ambrolauri hat Josef Sedlmair von der Baumschule Mailand in Dänemark bezogen, als vierjährige Pflänzchen, die er von einer Pflanzmaschine im Abstand von 1,25 Meter in die Erde setzen lässt, wo sie weitere sieben Jahre Zeit zum Wachsen haben. Die hübsche Nordmanntanne, die Denise Deinert für sich ausgesucht hat, wurde als Vierjährige im Jahr 2010 in den Blindhamer Boden gesetzt.

Der einen Tanne oder Fichte muss er mit der Top-Stopp-Zange zu Leibe rücken. Mit diesem Werkzeug schneidet er am oberen Drittel der Pflanze eine kreisrunde Rille in die Rinde, quasi um dem Baum in der oberen Region den Saft abzudrehen. "Sonst wird die Spitze viel zu lang", erklärt der Geschäftsmann. Christbaumspitzen, so erfährt man, sollten zwischen 25 und 35 Zentimeter lang sein, auf keinem Fall höher.

Bei anderen Bäumen muss er im Sommer eine Stumpfbeschneidung vornehmen, das heißt, die bodennahen Zweige entfernen, damit die Käufer im Winter die Säge ansetzen können. Hier ein Zweigerl weg, dort ein Ast gestutzt, "jeder Fehlwuchs wird korrigiert", sagt Sedlmair junior. Und wenn die Bäume zu dicht stehen, wird rigoros ausgedünnt. Ist ein Waldstück abgeerntet, durchpflügt ein 360 PS starker Bulldog die Reihen auf einer Tiefe von 25 Zentimetern und schreddert das Wurzelwerk, damit neue Jungpflanzen gesetzt werden können.

Viele Familien suchen stundenlang nach dem richtigen Baum

An diesem Wochenende sah man in Blindham wieder einmal vor lauter Menschen den Wald nicht mehr. Erfahrene Kunden nehmen Handschuhe mit, nicht nur der spitzen Nadeln, auch der Kälte wegen. Aufwärmen können sie sich an Wochenenden mit Glühwein, Jagertee, Kinderpunsch und warmen Würstln. "Die Leute wollen selber schneiden, das ist auch ein Showeffekt für die Kinder", glaubt Sedl- mair. Freilich treibe es viele Kunden auch einfach nur deshalb zu ihm, weil sie naturverbunden seien. Manche Familien suchten stundenlang nach dem schönsten Christbaum, die Kinder hätten dabei die größte Gaudi. Die richtige Wahl scheint für einige Familien gar nicht so einfach zu sein: "Da kann es schon sein, dass der eine einen schönen Baum festhält, während die anderen nach einem noch schöneren schauen."

Weil Erfahrung klug macht, hat Josef Sedlmair zwei Serviceangebote abgeschafft. So sucht er nicht mehr für seine Kunden Bäume aus. "Wenn ich ihn schneide, gefällt er ihnen nicht, und wenn sie dann selbst einen aussuchen, wundere ich mich." Auch das Reservieren von Christbäumen hat er schnell wieder eingestellt, "weil es nur Ärger gibt". Wenn er einen Baum mit Bändern oder Zettel als reserviert kennzeichne, "dann wird der garantiert von einem anderen abgeschnitten", sagt Sedlmair. Ein Kunde sei einmal am Heiligen Abend mit der Säge zu seinem reservierten Baum gegangen. "Der hat fast geweint, als er nur noch den Stumpf sah."

© SZ vom 19.12.2016 - Rechte am Artikel können Sie hier erwerben.
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