Erinnerungskultur:Unvergessene Gräuel

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Zum Jahrestag des ersten Transports von Patienten in Tötungsanstalten sprach der Buchautor Bernhard Richarz in Haar. (Foto: Angelika Bardehle)

Bei einer Gedenkveranstaltung erinnern der Bezirk und das Isar-Amper-Klinikum in Haar an die Patientenmorde während der NS-Zeit. Autor Bernhard Richarz ruft in seiner Ansprache zum Kampf gegen Ausgrenzung auf

Von Bernhard Lohr, Haar

Der Bezirk Oberbayern und das Isar-Amper-Klinikum in Haar haben am Donnerstag mit einer Gedenkveranstaltung an den Transport von 25 Patienten in eine Tötungsanstalt am 18. Januar 1940 erinnert. Es war der deutschlandweit erste Transport dieser Art und markierte den Auftakt der sogenannten Aktion "T 4", bei der während der NS-Zeit von Anfang 1940 bis August 1941 von Berlin aus gesteuert Patienten erfasst und gezielt in den Tod geschickt wurden. Mehr als 2000 Psychiatriepatienten der Anstalt Haar-Eglfing fielen dem zum Opfer, Hunderte weitere starben später in der Anstalt durch Medikamente oder in Hungerhäusern.

An diesem Abend stand Bernhard Richarz vor den etwa hundert Gästen, darunter auch Angehörige von Opfern, im Haus drei des Isar-Amper-Klinikums. Der Autor des Buchs "Heilen, pflegen, töten", eines Standardwerks zu den sogenannten Euthanasie-Morden in Haar-Eglfing, blickte auf die NS-Zeit zurück und auch auf seine Jahre als Assistenzarzt am Bezirkskrankenhaus von 1987 bis 1990. Damals habe große "Unruhe" am Krankenhaus und ein Klima des Neubeginns geherrscht, sagte er. Junge Ärzte und Pfleger stellten drängende Fragen nach der Vergangenheit und trafen dabei noch auf Patienten, die die NS-Zeit überlebt hatten, sowie auf manchen Mitarbeiter, der an Gräuel nicht erinnert werden wollte. Erstmals wurde 1990 des 18. Januars gedacht, 50 Jahre nach dem ersten Patiententransport. Man hatte sogar den Bundespräsidenten eingeladen.

Doch der sagte ab. Nun, am 78. Jahrestag, bekräftigte Bezirkstagspräsident Josef Mederer (CSU) den Willen des Trägers der Bezirkskliniken, das Andenken an die Ermordeten "in Würde aufrecht zu erhalten". Und er kündigte das nächste Buch zum Thema an. So soll im Sommer "das Münchner Gedenkbuch der Euthanasieopfer" erscheinen. Ergänzend dazu lege der Bezirk ein Oberbayern-Buch auf, sagte er, um auch den Opfern außerhalb der Region München Namen zu geben. Nur mit klarem Blick auf die Vergangenheit sei eine am Menschen orientierte Psychiatrie zu entwickeln.

Der Bezirk hat deshalb unter Leitung des Ärztlichen Direktors am Isar-Amper-Klinikum, Peter Brieger, eine Arbeitsgruppe NS-Erinnerungskultur ins Leben gerufen. Mederer sagte, diese arbeite an Kriterien, woran erinnert werden solle, in welcher Form und wie man Mitarbeiter erreichen könne. Bis Ende 2018 sollen erste Ergebnisse dem Bezirkstag vorgelegt werden. Obwohl viel geschehen sei, fehle eine "umfassende Erinnerungskultur". Aufbauen kann man freilich auf etwas. Brieger hat einiges neu justiert und den ersten Klinikdirektor nach dem Krieg, Gerhard Schmidt, rehabilitiert, der in dem Buch "Selektion in der Heilanstalt" die Zustände in der Einrichtung dokumentierte. Nun gab auf Briegers Einladung Richarz mit der Autorität des historisch Kundigen Hinweise, wie Vergangenheitsbewältigung gelingen kann. Er berichtete, wie er 1990 bei der Aufklärung Neuland betrat. Er fuhr mit Freunden in die Tötungsanstalt Hartheim bei Linz und war in dem Raum, in dem die Patienten vergast wurden. "Ich glaube, es war der erste Besuch von Ärzten aus dem Bezirkskrankenhaus." Richarz sagte, Recherchen hätten gezeigt, dass sich Anstalts-Personal in der NS-Zeit dem verbrecherischen Handeln habe entziehen können. Er empfahl zugleich eine differenzierte Sicht auf die Verantwortlichen als Menschen ihrer Zeit. Selbst ein Anstaltsdirektor wie Hermann Pfannmüller, der Schuld auf sich geladen habe, sei überzeugt gewesen, als Arzt das Richtige zu tun. Richarz rief dazu auf, Ausgrenzung zu bekämpfen. Die Denkmuster von damals existierten auch heute.

Am Ende der Gedenkveranstaltung, an der auch die gesamte Führungsspitze der Kliniken des Bezirks, Bürgermeisterin Gabriele Müller und Gemeinderäte teilnahmen, wurden die Namen der 25 Männer verlesen, die vor 78 Jahren als erste in den Tod in die Anstalt nach Grafeneck bei Münsingen geschickt wurden. Anschließend wurde ein Kranz niedergelegt.

© SZ vom 20.01.2018 - Rechte am Artikel können Sie hier erwerben.
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