Corona-Krise:Grenzen der Digitalisierung

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In der Wohnungsnotfallhilfe fehlt die persönliche Betreuung

Von Claudia Wessel, Landkreis

Jeden Monat fuhren Mitarbeiter der Wohnungsnotfallhilfe, die von der Arbeiterwohlfahrt (Awo) angeboten wird, zu einer 54-jährigen Frau, die unter der Messiekrankheit leidet. "Wir hatten dann einen Bus dabei und haben gemeinsam mit der Frau überlegt, von was sie sich trennen kann", sagt Stefan Wallner, der Leiter Nothilfe. Diese Betreuung liegt durch die Corona-Krise auf Eis, ebenso wie viele andere, und Rückschläge sind zu erwarten. Die Frau könnte also in der Zeit, in der persönliche Treffen nun unmöglich sind, wieder einiges ansammeln. "Die Geschäfte sind ja geöffnet", so Wallner. Die Messiekrankheit ist vielfältig. "Es gibt Menschen, die sammeln leere Duschgeldosen."

Doch ganz allein gelassen wird die Betroffene doch nicht. Die Berater der Wohnungsnotfallhilfe haben all ihren Erfindungsgeist aufgeboten und halten die Kontakte nun auf andere Weise aufrecht - was allerdings nur eine Notlösung sein kann, wie Wallner durchblicken lässt. So etwa werden Behördenbriefe, die die Klienten nicht verstehen, am Briefkasten hinterlegt und von Beratern abgeholt, kurze Gespräche gibt es über den Balkon oder lange Telefonate. Die meisten Klienten hätten keine digitale Technik zur Verfügung - und selbst wenn jemand Skype nutzen kann: "Der Mensch öffnet sich nicht am Bildschirm", sagt Wallner. "Die Digitalisierung hat ihre Grenzen. Jetzt wird richtig deutlich, wie wertvoll persönliche Begleitung ist." Die menschliche Nähe ist sowohl für die Klienten wichtig als auch für die Sozialpädagogen, die Mimik und Ausstrahlung beurteilen können. "Ein Mann hat einmal zu mir gesagt, er sei kein Alkoholiker. Dabei habe ich es deutlich gerochen", nennt Wallner ein Beispiel.

Trotzdem möchte er betonen, dass die Wohnungsnotfallhilfe für ihre Klienten und für neue Hilfesuchende da ist. "Wir geben alles, um Beziehungen aufrecht zu erhalten", so Wallner. Die Zahl der Anrufe sei auch in den vergangenen beiden Wochen stark gestiegen. Zu den Wohnungsproblemen kommen die durch die Krise ausgelösten Ängste um die finanzielle Absicherung und um die eigene Gesundheit.

Ein Problem ist auch das Ausfüllen von Anträgen, etwa für Arbeitslosengeld und andere Hilfen, berichtet Tanja Fees, Koordinatorin der Obdachlosenberatung der Awo im Landkreis. "Sonst haben wir die Anträge zusammen ausgefüllt, jetzt fülle ich sie soweit wie möglich aus und klebe Zettelchen an die Stellen, wo noch etwas fehlt." Dann wird alles mit der Post geschickt. Trotzdem geht vieles schief, es wird an der falschen Stelle unterschrieben oder es fehlen Angaben. Wer Whatsapp hat, kann sich mit Fotos behelfen, wobei der Datenschutz dabei ein großes Fragezeichen ist.

Der Jahresbericht 2019, dessen Fertigstellung von der Corona-Krise überlagert wurde, liegt nun auch vor. 344 Menschen wurden im Landkreis obdachlos und mussten untergebracht werden, davon 86 Kinder. Zwangsräumungen seien zwar derzeit ausgesetzt, so Wallner, doch sei auch diese Pause nicht unbedingt förderlich für die Klienten. Denn in der Beratung geht es immer darum, diese Maßnahme doch noch zu verhindern, indem die Schulden in Raten bezahlt werden oder das "Mietverhalten", das dazu geführt hat, geändert wird. Letzteres können etwa Konflikte mit Nachbarn sein, sagt Wallner. Auch solche Situationen würden sicher durch die Corona-Krise nicht besser, in der auch noch Ängste vor gegenseitiger Ansteckung dazu kämen. Die Awo-Berater hoffen, bald wieder persönlichen Kontakt zu den Klienten pflegen zu können.

© SZ vom 08.04.2020 - Rechte am Artikel können Sie hier erwerben.
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