Briten im Landkreis:Very kritisch

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Harry, Alison, Paul, Sue und Eleanor Keeton verdarb der Ausgang des Referendums, mit dem der Brexit Realität wurde, die Laune. (Foto: privat)

Familie Keeton aus Garching sieht durch die Brexit-Entscheidung ihre Existenz in Deutschland bedroht. Sie bemühte sich um die deutsche Staatsbürgerschaft. Die Zahl der Briten, die sich um einen Doppelpass bewerben, hat sich 2016 im Landkreis verfünffacht.

Von Britta Rybicki, Garching

In einem hübschen Haus mitten im Grünen lebt Familie Keeton. Als der Familienvater, Paul Keeton, vor 16 Jahren aus Großbritannien beruflich nach Deutschland versetzt wurde, hieß es für die Fünf: Umzugskartons packen. "Mittlerweile haben wir uns gut eingelebt und fühlen uns wohl hier", sagt Mutter Sue Keeton. Und nicht nur das. Mittlerweile hat die Garchinger Familie außer dem britischen auch einen deutschen Pass, wie viele andere ihrer Landsleute auch.

Bis zur Volksabstimmung im Juni, bei der die Mehrheit der Briten für den Austritt aus der Europäischen Union gestimmt hat, haben die Keetons nie über eine Einbürgerung nachgedacht. Es war nie relevant, meint die älteste Tochter Eleanor und ergänzt: "Ich habe mich, obwohl ich schon so lange hier lebe, immer mehr als Britin gefühlt." Die Medizinstudentin investiert viel Zeit in regelmäßige Telefongespräche, um den engen Kontakt zur Familie im Norden des Vereinigten Königreichs aufrechtzuerhalten. "Außerdem habe ich eine Internationale Schule besucht", sagt die 22-Jährige. Auch dort fand sie viele britische Freunde.

Eigentlich hätte der 23. Juni durchaus ein schöner Tag für die Familie werden können: Sohn Harry bekam sein Abiturzeugnis. Der Ausgang des Referendums, mit dem der Brexit harte Realität wurde, verdarb ihnen die Laune. "Wir hätten uns freuen sollen. Die Stimmung war allerdings nicht zu retten", sagt Eleanor. Anstatt mit Harry auf seinen vorbildlichen Schulabschluss anzustoßen, saßen die Keetons in Garching fassungslos am Küchentisch und gerieten ins Grübeln. "Wir wussten nicht, wie es weitergehen sollte und wollten uns nicht mit den Politikern ins Ungewisse stürzen", sagt Sue Keeton.

Der Einbürgerungsprozess beginnt mit dem Sprachtest

Die Scheidung Großbritanniens von Europa hätte schließlich fatale Folgen für sie. Denn dann würde ihr Anspruch auf die Arbeitnehmerfreizügigkeit erlöschen: Das Recht in jedem beliebigen EU-Land arbeiten zu können. Die mittlere Tochter der Familie, Alison, startete jüngst ihre Ausbildung, die sie dann nicht mehr abschließen könnte. Auch Mutter Keeton müsste ihren Job als Englischlehrerin an den Nagel hängen. Das dauerhafte Aufenthaltsrecht der Familie wäre hinfällig. Von ihrem Leben in Garching müssten sie sich verabschieden. Schnell waren sich die Fünf nach der Brexit-Entscheidung einig: Ihr Leben in Deutschland aufgeben wollten sie nicht. Deswegen beantragten sie den Doppelpass. Vor einigen Wochen erhielt Familie Keeton Post; es ist offiziell: Neuerdings sind sie auch Deutsche. Derzeit dürfen Briten beide Staatsbürgerschaften behalten.

Nicht nur die Familie aus Garching nutzte diese Möglichkeit. Seit dem Referendum ist der deutsche Pass unter Briten heiß begehrt, was sich auch in den Einbürgerungszahlen im Landkreis München niederschlägt: Während im Jahr 2015 gerade einmal 13 Briten einen Einbürgerungsantrag stellten, verfünffachte sich die Zahl im vergangenen Jahr. Auch in diesem Jahr setze sich der Trend fort, sagt Pressesprecherin Franziska Herr vom Landratsamt München. "Die Nachfrage kommt vor allem von Personen, die unentschlossen sind und die Entwicklung des Brexit noch abwarten möchten."

Auch Peter Torkoniak hat sich nach dem Brexit entschieden, er will deutscher Staatsbürger werden. Erst vor wenigen Wochen absolvierte er den Sprachtest an der Volkshochschule Nord, womit sein Einbürgerungsprozess begann. "Ich kann nicht behaupten, dass der Test schwer für mich war", sagt Torkoniak. Mindestens acht Jahre müssen Briten ununterbrochen in Deutschland leben, um die Staatsbürgerschaft beantragen zu können. Der 64- Jährige landete vor 42 Jahren aus Liebe in Bayern. "Dafür werden nationale Grenzen auch mal überwunden", sagt Torkoniak. Er ist bis heute glücklich verheiratet.

"Ich verstehe bis heute nicht, warum ich nicht Brite und Europäer sein kann."

Zurzeit steckt er wieder im Lernstress: Im Frühjahr absolviert er seinen Einbürgerungstest, der Kenntnisse über das deutsche Grundgesetz, über Gesellschaft und Geschichte prüft. Obwohl er darauf wettet, dass selbst seine deutschen Freunde gnadenlos durchfallen würden, sieht er dem Test gelassen entgegen. "Das ist ganz normal: Ich muss erst beweisen, dass ich was kann, bevor ich etwas bekomme", sagt Torkoniak. Über den Brexit, für den jüngst auch das Britische Parlament in großer Mehrheit stimmte und den Weg freimachte, ist der Rentner verärgert. "Ich verstehe bis heute nicht, warum ich neuerdings nicht mehr Brite und Europäer sein darf", sagt Torkoniak. Trotz seiner Enttäuschung über die Mehrheitsentscheidung seine Landsleute, akzeptiert er diese: "Es waren immerhin die Bürger, die demokratisch abgestimmt haben."

"Hauptsache Brite", hieß es, als Bernard Maidment vor 44 Jahren in Deutschland zur Welt kam. Sein Vater ist Brite, seine Mutter Deutsche. Maidment lebt bis heute in Unterhaching, und er blieb ganz im Sinne seines Vaters bis zu seinem Jura-Studium Brite. "Es war schon praktisch, ich musste zum Beispiel nicht zum Bund", sagt Maidment. Während seines Studiums begann er sich für Politik zu interessieren. "Alleine um wählen zu können, wollte ich mich einbürgern lassen", sagt Maidment. Heute darf er nicht nur ein Kreuz auf den Wahlzettel setzen, er bekleidet sogar politische Ämter. Als FDP-Ortsvorsitzender und Gemeinderat in Unterhaching fällt auch die Städtepartnerschaft mit Witney in seinen Verantwortungsbereich.

Der kleine Ort liegt etwa 20 Kilometer von Oxford entfernt, seine Bewohner sprachen sich für einen Verbleib in der EU aus. Die Briten in ihrer Mehrheit sahen das anders. "Beeinflusst hat die politische Entscheidung unser Verhältnis noch nicht - und ich bin mir sicher, dass es dabei bleiben wird", sagt Maidment.

© SZ vom 04.03.2017 - Rechte am Artikel können Sie hier erwerben.
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