Bahnunterführung in Haar:Der Stillstand geht vorbei

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Die Bauarbeiten stehen tatsächlich kurz vor der Fertigstellung. Der einstige Schandfleck wurde sogar mit einem Fliesen-Kunstwerk aufgehübscht. Noch wichtiger wäre aber ein funktionierender Aufzug

Von Bernhard Lohr, Haar

Von der Decke hängen noch Kabel und vorläufig leuchten provisorisch installierte Lampen die Bahnsteigunterführung in Haar aus. Doch gemessen an dem Weg, den die Gemeinde bei deren Umgestaltung zurückgelegt hat, dürften sich viele Haarer fühlen, als stünden sie nach einem Hürdenlauf einen Meter vor der Ziellinie. Ungezählte Hindernisse waren zu überwinden, bis am Nordzugang die Rampe und im Süden die Treppe neu gebaut und viele Verbesserungen umgesetzt waren. Die letzten Meter bewältigte der Künstler Jochen Scheithauer, der der "Horrorröhre", wie er sie in Erinnerung hat, jetzt ein neues Gesicht verliehen hat.

Es ist also nach Jahren erstmals der Moment erreicht, an dem sich die Haarer ein Gesamtbild von ihrem neuen Bahnhof machen können. Das Urteil, das sich unter anderem auf Facebook abbildet, fällt bisher gemischt aus. Nicht nur, dass der Aufzug auf der Südseite schon wieder defekt ist. Auch mit der Farbgestaltung in Gelb und Grün sowie mit dem Fliesen-Kunstwerk an sich hat mancher ein Problem, auch der verschmutzte Boden stößt auf Kritik.

Doch es ist eben auch noch nicht alles fertig. Die richtige Beleuchtung steht aus, auch sollen noch Edelstahlelemente an manchen Stellen installiert werden. Und wieso der Boden immer wieder schnell verdreckt, das hat der Künstler Jochen Scheithauer während seiner Arbeit in den vergangenen Wochen selbst beobachten können: Das sei schlicht das Ergebnis des "To-go-Konsums", sagt er. Keine fünf Minuten vergingen, ohne dass jemand seinen Kaffee verschüttet.

Ausgehend vom Haarer Logo mit dem großen "H" hat der Künstler Jochen Scheithauer die Bahnsteigunterführung grafisch gestaltet. (Foto: Claus Schunk)

Die Bemühungen, den Bahnhof aufzuwerten, reichen bis ins vergangene Jahrhundert zurück. Schon im Jahr 1997, beklagte Bürgermeister Helmut Dworzak (SPD) zehn Jahre später, habe die Gemeinde mit ihren Appellen an die Deutsche Bahn, den "Schandfleck" zu beseitigen, kein Gehör gefunden. Bewegung gab es erst, als die Gemeinde anbot, auf eigene Kosten zu bauen. Und so beauftragte das Rathaus Planer und legte Millionenbeträge für die Sanierung des Bahnsteigzugangs zurück, den man wegen dessen Bedeutung als fußläufige Verbindung von Eglfing und Haar-Mitte dringend aufgehübscht und barrierefrei gestaltet sehen wollte. Bis der Bau begann, war Dworzak nicht mehr im Amt. Und wenn bis heute viele beklagen, dass alles lange dauert und nicht so ausfällt, wie sich mancher das vorstellt, dann hatte das meist mit dem schwierigen Verhältnis zwischen Rathaus und Deutscher Bahn zu tun. Die Gemeinde konnte nie einfach loslegen. Die Bahn hatte das letzte Wort.

Bei seiner Arbeit im August erlebte der Münchner Künstler Scheithauer die ganze Tragik, die dieses Projekt umweht. Der Aufzug, der allein in die Zuständigkeit der Bahn fällt und nach Monaten Stillstand erst seit kurzem ging, fiel nach einer Panne erneut aus - eine Frau war stundenlang eingesperrt. Seitdem sind Rollstuhlfahrer, Eltern mit Kinderwagen oder Senioren wieder darauf angewiesen, dass ihnen jemand die Treppe hinaufhilft. Scheithauer selbst packte während seiner Arbeit immer wieder an. "Das war in der Zeit meine häufigste Pausentätigkeit", sagt der 71-Jährige, "Rollatoren hinauftragen."

Der Münchner Künstler Jochen Scheithauer musste nach Vorgaben der Bahn viele Kompromisse eingehen. (Foto: privat)

Den Zuschlag für die künstlerische Gestaltung der Unterführung hat Scheithauer einer dieser Possen zu verdanken, die sich zwischen Rathaus und Deutscher Bahn abspielten. Die Gemeinde hatte in Gabriele Ende-Pichler eine Künstlerin aus Haar, die mit von hinten beleuchteten Glasplatten und einer hellen, frischen Gestaltung der Wände den Durchgang aufwerten wollte. Doch die Bahn lehnte das Konzept schließlich aus technischen Gründen ab, weil etwa der Durchgang verengt worden wäre. Scheithauer gewann dann einen nach Vorgaben der Bahn ausgeschriebenen Kunstwettbewerb und musste in der Folge wegen feuchter Wände und Übergängen zu den Treppen und Aufzügen weitere Kompromisse eingehen.

Bei einem Treffen in einer Münchner Wohnung in Neuhausen zeigt sich, dass die Haarer Baustelle für Scheithauer eine besondere Erfahrung war. Wie ein Architekt hat er im Gang seiner Wohnung einen Aufriss der Unterführung hängen. Alles musste exakt geplant und wie genehmigt umgesetzt werden. Scheithauers grafische Idee war, das in Grün, Gelb und Weiß gehaltene Logo der Gemeinde mit dem großen "H" in dessen Einzelteile zu zerlegen und davon ausgehend geometrisch Neues zu konstruieren. Dass sich dieser Sinn Passanten nicht von selbst erschließt, ist Scheithauer dabei klar.

Frei war er in seiner Arbeit nicht. Es wurden Fliesen verwendet, die die Bahn abbreißen kann, wenn sie an die Wände muss. Von seinem ursprünglichen Konzept musste Scheithauer noch Abstriche machen, weil die Sorge aufkam, die Wände könnten Graffiti-Künstler zum Loslegen animieren. So reduzierte Scheithauer sein schon auf wenige Linien und Farben beschränkten Entwurf weiter. Er sagt rückblickend, ein künstlerisch ansprechend gestalteter Durchgang sei wichtig. Aber unverzichtbar sei ein funktionierender Aufzug, ein barrierefreier Zugang zu den Zügen. Ein "Haupterlebnis" sei für ihn gewesen, zu sehen, wie das Rathaus bei dem Projekt um jeden Schritt nach vorne gekämpft habe.

© SZ vom 02.10.2019 - Rechte am Artikel können Sie hier erwerben.
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