Gemeindearchivarin:Auf Schatzsuche in Aying

Lesezeit: 3 min

Franziska Ahlborn ist seit 2009 Archivarin in Aying. (Foto: Claus Schunk)

Franziska Ahlborn leitet das Gemeindearchiv von Aying. Gemeinsam mit Bürgermeister Eichler stöbert die Münchnerin Zeugnisse der Ortsgeschichte auf, die in Kellern der Alteingesessenen schlummern.

Von Michael Morosow, Aying

Im laufenden Jahr blickt die Gemeinde Aying zwei Mal weit zurück in ihre Geschichte: Die Kirche Sankt Nikolaus im Ortsteil Peiß wird 650 Jahre alt und der urkundlich erstmals am 6. März 791 erwähnte Ort Eiinga feiert sein 1225-jähriges Bestehen. Zu beiden Anlässen sind Ausstellungen mit Vorträgen geplant. Es gibt also viel zu tun für Franziska Ahlborn, das lebende Gedächtnis der Gemeinde. Die 44-jährige Münchnerin ist seit 2009 die Archivarin des 4500-Seelen-Dorfes, ihr Reich besteht aus einem Büro im Rathaus und einem Magazin im Speicher des Bürgerhauses.

Zeugnisse aus allen Epochen der Ortsgeschichte

Hier lagern Zeugnisse aus allen Epochen der Ortsgeschichte, zum großen Teil thematisch wie chronologisch archiviert. Zum Teil aber auch noch gar nicht gesichtet und in "Schatzkisten" verstaut, die zu öffnen jedem Historiker eine Freude sein muss. Es war der Wunsch von Bürgermeister Johann Eichler, dass sich endlich jemand mit Fachkompetenz der Ayinger Historie annimmt. "Denn unsere Geschichte schreiben wir", lautet ein oft zitierter Spruch Eichlers, den die Mutter dreier Kinder als eine Art Leitmotiv betrachtet. Zuerst auf 450-Euro-Basis, seit 2014 als Festangestellte mit einer Drei-Tage-Woche

Der Bürgermeister und seine Archivarin teilen neben ihrem Interesse für die Ortsgeschichte auch eine Angst - dass interessante Schriftstücke und Fotografien aus der jüngeren Ortsgeschichte auf dem Müll landen statt im Archiv. Jedes Mal wenn ein Totenglöcklein bimmelt in einem der 19 Ortsteile, sieht Ahlborn vor ihrem geistigen Auge die Hinterbliebenen, die das alte Graffel des Verblichenen in die Mülltüte packen. Nun ist die Historikerin zwar gut gelitten im Ort, aber sie weiß auch: "Die Ayinger sind ein eigener Menschenschlag, die sind noch nicht verstädtert." Und sie geben vor allem ihre alten Fotos nicht einfach so aus der Hand. Noch dazu einer jungen Frau, die ihnen ja die Bilder vielleicht nur "abluchsen" will, wie Ahlborn es formuliert.

Der Bürgermeister gibt Tipps, wo was zu holen ist

Umso dankbarer ist sie dafür, dass Bürgermeister Eichler ihr Tipps gibt und auch die ein oder andere Türe öffnen kann. So etwa die von Erfried Smija, der in Aying, vor allem im Ortsteil Helfendorf bekannt ist wie ein bunter Hund unter anderem als Musiker, Trachtler und Redenschreiber. "Der hat was", riet ihr der Bürgermeister, und bevor Smija 2012 von Aying wegzog, bekam Ahlborn reichlich Material von ihm, und auf Anfrage verfasste er dann auch gleich seine Memoiren. Die Archivarin las die 200 Seiten Lebenserinnerungen des Helfendorfers seit den 1940er-Jahren Korrektur, 2014 erschienen die Memoiren unter dem Titel. "Was fällt mir denn ein?!"

Weihnachten 1945
:Und Frieden auf Erden

Der erste Heiligabend nach Ende des Zweiten Weltkriegs: Zeitzeugen aus Aying erinnern sich an ausgebombte Münchner, die zum Betteln auf die Bauernhöfe kamen. Und an Blut- und Leberwürste nach der Christmette.

Von Michael Morosow

"Ich bin zurückhaltend, warte, bis die Leute zu mir kommen, ich will niemandem etwas abschwätzen", beschreibt Franziska Ahlborn ihren Umgang mit den älteren Zeitzeugen und ergänzt: "Dazu braucht man einen langen Atem, und den hab' ich." Ihr unaufdringliches Vorgehen führte schon mehrere Male zum Erfolg. So etwa vor zwei Jahren, nachdem der alte Ortschronist Maximilian Köchl gestorben war: "Seine Söhne haben mir vier Kisten gebracht." Auch den Tipp, dass bei Johann Esterl aus Heimathofen etwas zu holen sei, bekam sie vom Bürgermeister. "Der hat einige Schätze bei sich, geh hin", soll ihr Akquise-Helfer Eichler geraten haben.

Eine Kiste voller Fotos ist wie ein Hauptgewinn

Aber da war sie dann wieder, die Scheu der jungen Münchnerin vor dem anderen Menschenschlag. "Ich geh da nicht hin, der lacht mich ja aus, denn erstens bin ich keine Ayingerin und zweitens zu jung", habe sie Eichler geantwortet. Inzwischen ist Esterl zu ihr gekommen, mit einer Kiste voller Fotoalben. Und seine Lebensgeschichte schreibt er auch gerade. Ewig schade findet die Historikerin, dass der Helfendorfer Hobby-Ortschronist Josef Oswald 2015 gestorben ist, ehe er zusammen mit anderen Heimatforschern die Helfendorfer Geschichte niederschreiben konnte. Eine Chronik für Aying existiert bereits, nicht aber eine für das ehemals eigenständige Helfendorf, von dem dafür noch alle Verwaltungsakten vorhanden sind, während die Peißer und Ayinger kurz vor dem Einmarsch der Amerikaner 1945 ihre Akten verbrannten.

Als ein "ganz großes Schmuckstück" bezeichnet sie das alte Schularchiv, das ihr vor Jahren der ehemalige Rektor der Grundschule überlassen hat - mit Zeugnissen bis ins Jahr 1806 zurück. Beim Sichten historischer Akten kommt ihr zugute, dass sie dank ihres Doppelstudiums "Neue Geschichte und Mittelalter", je zur Hälfte in Tübingen und Aix-en-Provence in Frankreich absolviert, alte Schriften lesen gelernt hat. "Es schlummert noch was im Archiv", glaubt sie. Ihr nächstes große Vorhaben? 2022 feiert Helfendorf 1300-Jahrfeier. Bis dahin soll die Helfendorfer Chronik ("das große Ziel des Bürgermeisters") stehen. Es gibt also noch viele Schatzkisten zu öffnen.

© SZ vom 26.01.2016 - Rechte am Artikel können Sie hier erwerben.
Zur SZ-Startseite

Lesen Sie mehr zum Thema

Jetzt entdecken

Gutscheine: