Asylbewerber:Sie schaffen das

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Noch eine Ausnahme: Der Asylbewerber Karin Hasseiini absolviert eine Ausbildung bei einer Firma für Heiz- und Haustechnik in Oberschleißheim. (Foto: Robert Haas)

Flüchtlinge als Lehrlinge sind im Großraum München immer noch eine Ausnahme. Doch IHK, Landratsamt, Caritas und Unternehmer bemühen sich, junge Schutzsuchende in qualifizierende Ausbildungen zu bringen - und damit einen wichtigen Beitrag zur Integration zu leisten

Von Benjamin Köster und Markus Mayr

Michael Chinonso hat das, was Geflüchtete sich wünschen: eine Perspektive. Der Nigerianer hat seit November einen Job im Hotel Meininger an der Hackerbrücke in München. Der 19-Jährige empfängt die Gäste an der Rezeption und bereitet das Frühstück. Noch lebt der junge Mann in der Traglufthalle in Unterhaching. "Doch mein Chef hat vielleicht ein Zimmer für mich", sagt Chinonso auf Englisch. Mehrmals die Woche besucht er einen Deutsch-Sprachkurs. Und vielleicht geht er auch schon bald auf die Berufsschule. Denn sein Chef, erzählt Chinonso, habe ihm Hoffnung auf einen Ausbildungsplatz gemacht. Er läge damit voll auf der Linie des Präsidenten der Industrie- und Handelskammer (IHK) von München und Oberbayern. "Die Integration von Flüchtlingen ist ein Schlüssel zu Lösung des Azubi-Mangels", findet Eberhard Sasse.

Doch bislang ist Chinonso ein Einzelfall. Zwar wirbt die IHK für die Arbeitskraft der Flüchtlinge. Das Landratsamt München erklärt Unternehmern, wie sie Flüchtlinge einstellen können. Doch eine langfristige berufliche Perspektive bekommen nur wenige. Viele Asylbewerber landen derzeit eher in Hilfsjobs als in einer Ausbildung oder einer qualifizierten Anstellung. Das zeigen die Erfahrungen derer, die näher dran sind als IHK und Landratsamt an den Problemen von Asylsuchenden bei der Jobsuche. Wie etwa Aurelia Schülen. Sie will "Angebot und Nachfrage" zusammenbringen, denn daran hapere es derzeit. Zusammen mit zwei Kollegen arbeitet Schülen für die Vermittlungsplattform jobs4refugees.org. Aus der Traglufthalle in Unterhaching heraus suchen sie und ihre Kollegen Jobs für Geflüchtete im Raum München und helfen bei Behördengängen.

Wie Schülen vermittelt auch Claudia Köhler zwischen Job suchenden Flüchtlingen und potenziellen Arbeitgebern. Die Grünen-Fraktionsvorsitzende im Unterhachinger Gemeinderat kooperiert mit Jobs4Refugees. "Wir schanzen uns die Jobs gegenseitig zu", sagt Köhler. "Doch gerade am Anfang läuft das auf Hilfsjobs hinaus." Etwa in der Gastronomie, einer Reinigung oder als Lagerist. Oftmals sei es das Sprachniveau, das den Weg in die Ausbildung oder eine qualifizierte Anstellung verbaue, erklärt Köhler. Für den regulären Besuch in der Berufsschule muss ein ausländischer Azubi Deutsch sprechen und verstehen können. Im Fachjargon heißt das: Niveau B 2. Gerade für Leute, die wenig Bildung mitbringen, sagt Köhler, sei es schwierig, eine Sprache zügig so gut zu erlernen. Es gibt spezielle Klassen an der Berufsschule München-Land, die ausländische Schüler für eine Ausbildung fit machen soll. Doch diese vier Klassen sind mit 80 Schülern voll belegt.

Wenn die sprachlichen Hürden genommen sind, kommen die rechtlichen. Anerkannte Asylbewerber dürfen arbeiten, ohne Einschränkung. Wessen Asylverfahren aber noch läuft oder wer nur im Land geduldet ist, der braucht eine Arbeitserlaubnis. Ob er die bekommt, darüber entscheiden von Fall zu Fall die Ausländerbehörde und das örtliche Arbeitsamt. Menschen wie Schülen und Köhler helfen den Arbeitssuchenden durch diese komplizierten Verfahren. An deren Ende winkt die Arbeitserlaubnis, danach meist der Hilfsjob. Was fehlt, ist die Perspektive.

"Geflüchtete haben nur mit einer echten Ausbildung eine Chance auf Integration", sagt Norbert Huber von der Caritas. Aus diesem Grund versucht der kirchliche Sozialdienst, diese Menschen verstärkt im dualen Ausbildungssystem unterzubringen. Auch müssten ausländische Bildungs- und Berufsabschlüsse schneller anerkannt werden, fordert Huber. "Wenn jemand schon im Pflegebereich tätig war, muss man dem doch ermöglichen, das hier auch zu tun." Das erfordere einiges an Energie, aber: "Wir wollen alles tun, damit die Integration gelingt", so Huber.

Das will auch die bayerische Diakonie. Sie fordert Flüchtlinge über den Bundesfreiwilligendienst in der Flüchtlingshilfe oder in Pflegeeinrichtungen einzusetzen - eine Möglichkeit, die durch das Asylverfahrensbeschleunigungsgesetz des Bundes vergangenen Oktober geschaffen wurde. In der Praxis beschreiten die Sozialverbände im Landkreis aber einen anderen Weg, wie Gerald Jantz, der Leiter der Seniorenwohnanlage der Diakonie in Taufkirchen, berichtet. In der Pflegeeinrichtung haben kürzlich zwei Männer aus Sierra Leone und Nigeria ein Praktikum angetreten. "Sie werden dann zunächst einige Wochen mit einer Mentorin mitlaufen", erklärt Jantz. "Das ist der erste Schritt. Danach sehen wir weiter." Man müsse erst ausloten, in welcher Form die beiden trotz Sprachbarriere in der Pflege eingesetzt werden können. Sprache sei gerade in der Pflege extrem wichtig, so Jantz.

Im Werk von Munich Composites ist Sprache sicherlich nicht so wichtig wie in der Pflege. Die Ottobrunner Firma stellt High-Tech-Carbon-Teile für Fahrräder her. Im Herbst fing dort der erste Flüchtling an, inzwischen sind sie schon zu dritt - vermittelt von Jobs4Refugees. Der kaufmännische Leiter des Betriebs, Martin Stoppel, zieht eine positive Bilanz: "Es läuft sehr gut. Wir sind sehr zufrieden." Die drei Neuen bekommen seinen Angaben zufolge den Mindestlohn. Ihr Vertrag ist auf ein Jahr befristet, so lange gilt ihre Arbeitserlaubnis. Ihr Asylverfahren läuft noch. Die Arbeit der Initiative ist leichter geworden in den vergangenen Monaten, seitdem große Medien über sie berichten. Laut Schülen müssen sie und ihre beiden Kollegen nicht mehr allein auf Stellensuche gehen. Firmen würden sich mit offenen Stellen direkt an die Initiative wenden. Denn die Personalchefs suchen teils händeringend nach fähigen Kräften, wie der Fall Munich Composites zeigt. Vergangenen November hatte deren Geschäftsführer in der ARD-Sendung Monitor moniert, dass Chikezie Anyaehie - so heißt der erste Flüchtling, den die Firma einstellte - seit drei Monaten der erste brauchbare Bewerber gewesen sei, der bei ihnen vorgesprochen habe. Obwohl die Firma dem Geschäftsführer zufolge die Stellenausschreibung auf allen Plattformen veröffentlicht hatte. Anyaehie hat in Nigeria eigentlich Wirtschaft studiert. Dennoch ist er froh, diesen Job jetzt zu haben, obwohl er ihn nicht gelernt hat. "Wenn du arbeitest, hilfst du dir selbst, motivierst dich, fühlst dich lebendig", sagte Anyaehie dem Sender. Seine Arbeit entlohnt die Ottobrunner Firma mit 8,50 Euro pro Stunde - dem Mindestlohn. Andere Unternehmen sind da allerdings nicht so freigiebig. "Es gibt viele Möglichkeiten, den Mindestlohn zu umschiffen", sagt Schülen. In der Gastronomie im Raum München sei dies kein Problem. Doch Firmen, die nicht nur von der Arbeitskraft profitieren, sondern in die Ausbildung ihrer Kandidaten investieren, würden den Mindestlohn eher nicht zahlen. Das ist unter bestimmten Voraussetzungen legal. Denn Praktika von maximal drei Monaten und Ausbildungsverhältnisse müssen nicht mit 8,50 vergütet werden. Neuerdings kommen Stimmen hinzu, die Ausnahmen vom Mindestlohn auf Flüchtlinge noch auszuweiten.

Für die bestmögliche Integration versuchen Schülen und ihre Kollegen, ihre Klienten nach ihren Fertigkeiten "in Jobs für Hochqualifizierte" zu vermitteln. Wer schon was kann, der soll auch dürfen. Und Jobs4Refugees erzielt bisweilen Erfolge: Einen jungen Studenten konnte man an ein Start-up vermitteln, ein IT-Experte landete nach einem Schnupperpraktikum direkt in der Festanstellung und der Unterhachinger Asylbewerber Chinonso arbeitet vielleicht bald als Azubi im Hotel.

© SZ vom 24.02.2016 - Rechte am Artikel können Sie hier erwerben.
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