Adventskalender für gute Werke:Der Schein kann trügen

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Arme gibt es auch in der wohlhabenden Gemeinde Grünwald. Die Nachbarschaftshilfe kümmert sich um sie

Von Claudia Wessel, Grünwald

"Ach, Reichtum", sagt Pfarrer Christian Stalter, "das ist auch so 'ne Sache." Ganz klar, dass man in der als wohlhabend bekannten Gemeinde beim Thema Armut erst einmal nachhakt. Ob es die überhaupt gibt, wo hier doch so viele reich sind. Stalter, Pfarrer der evangelischen Thomasgemeinde und Vorstand der Nachbarschaftshilfe, hat jedoch schon oft erlebt, wie schnell der Abstieg von "reich" zu "kurz vor der Bezugsberechtigung zur Tafel" gehen kann, nicht zuletzt bei Frauen.

Manche waren einst gut aussehend und erfolgreich, stellten die typische Klischee-Grünwalderin dar. "Das sind oft Frauen, die einen älteren wohlhabenden Mann heirateten und dann nach einigen Jahrzehnten ausgetauscht wurden." Oft hätten sie einen Ehevertrag gehabt, bekämen daher dann zwar eine Abfindung, doch auch die halte nicht ewig. Er kennt eine Fall einer heute 70-Jährigen, die nach der Scheidung als Kosmetikverkäuferin in Kaufhäusern arbeitete. In ihrem heutigen Alter aber werde sie nicht mehr vermittelt, ihre Rente sei minimal, sie lebe in einer kleinen Mietwohnung. "Der Freundeskreis ist weggebrochen, nachdem sie nicht mehr mithalten konnte." Hilfe anzunehmen falle diesen Frauen oft schwer. "Die Frauenarmut ist ein besonderes Thema", so Stalter.

Ursula Halbich (links) und Ruth Walter von der Nachbarschaftshilfe holen das Essen in der Parkresidenz Helmine Held ab. (Foto: Claus Schunk)

Natürlich aber gibt es auch Männerarmut in Grünwald, die meist von einer sehr niedrigen Rente herrührt. Und mit der Armut geht oft die Einsamkeit einher. Stalter erwähnt einen 90-jährigen Mann. "Sein einziger Kontakt zur Außenwelt ist es, sich täglich etwas zu essen zu holen."

Andere können oft schon in jüngerem Alter nicht einmal mehr das, sie bekommen Essen auf Rädern. 35 Empfänger gibt es zurzeit. Den Anbieter hat die Nachbarschaftshilfe kürzlich erst gewechselt, die seniorengerechten Mahlzeiten kommen jetzt aus der Küche der Parkresidenz Helmine Held. "Sie kochen frisch und bio und mit Zutaten aus der Region", erzählt Stalter.

Etwa 70 Personen sind essensberechtigt bei der Grünwalder Tafel, die ebenfalls zur Nachbarschaftshilfe gehört. Hierzu gehören sehr viele Rentner. Doch auch wer noch genügend Geld für Essen hat, kann Probleme haben. Wer sich etwa noch alleine zu Hause versorgen, aber nicht mehr Auto fahren kann, muss zum Einkaufen gefahren werden. Auch hauswirtschaftliche Hilfen vermittelt die Nachbarschaftshilfe und es gibt eine psychosoziale Beratung.

Die 1977 gegründete Einrichtung, die somit in diesem Jahr 40 Jahre alt wird, kümmert sich aber nicht nur um Arme und Alte, sondern auch um den Nachwuchs. So etwa gestaltet sie gemeinsam mit dem Freizeitpark das Ferienprogramm der Gemeinde, sie stellt die Schulweghelfer und bietet Kinderbetreuung durch Tageseltern und in Großtagespflegen. Entstanden ist die Nachbarschaftshilfe seinerzeit aus einer Initiative engagierter Gemeindemitglieder der katholischen Pfarrei Maria Königin und der evangelisch-lutherischen Thomasgemeinde.

Zielsetzung der Gründer war, älteren oder hilfsbedürftigen Mitbürgern in Grünwald mit dem Essen auf Rädern und bei der Bewältigung alltäglicher Probleme zur Seite zu stehen. Sie sollen so lange wie möglich in ihren eigenen vier Wänden bleiben können. Heute wird die Nachbarschaftshilfe von den drei christlichen Kirchengemeinden in Grünwald, den katholischen Pfarreien Maria Königin sowie St. Peter und Paul und der Thomasgemeinde, von der politischen Gemeinde und von wohltätigen Vereinen und Stiftungen sowie persönlichen Spendern unterstützt. Sie hat zurzeit 223 Mitglieder und 100 ehrenamtliche Helfer.

Für die Zukunft hat der neue Vorstand, zu dem auch Christian Stalter gehört, viele Pläne. So etwa möchte man "generationenübergreifendes Lernen" anbieten, also alte und junge Menschen zusammenbringen, wozu sich das neue Haus der Begegnung sehr gut anbietet. Ein Musiknachmittag mit jungen Menschen oder ein Erzählcafé, in dem Senioren vielleicht Schülern aus ihrem Leben erzählen, kann sich Stalter vorstellen. Ein weiteres Ziel der Nachbarschaftshilfe ist es, die ehrenamtlichen Helfer durch fest angestellte Kräfte zu entlasten. "Das Ehrenamt wird immer schwieriger", hat Stalter erfahren. "Den gelangweilten Senior, der nichts mehr zu tun hat, gibt es nicht mehr."

Die jüngeren Rentner seien selbst so viel unterwegs, dass sie kein Ehrenamt ausüben möchten. 80-Jährige dagegen könnten es nicht mehr. Die Nachbarschaftshilfe möchte daher neue Kräfte einstellen. Zum einen möchte sie langfristig eine Stelle für das Essen auf Rädern schaffen, zum anderen für Begleit- und Versorgungsdienste, wofür der Bedarf stark ansteige.

Hilfe brauchen in Grünwald beispielsweise oft sogar Menschen, die in einer Eigentumswohnung leben. "Es gibt einige, die zwar die Wohnung haben, aber kein eigenes Einkommen. Sie könnten die Wohnung zwar verkaufen, wüssten dann aber nicht wohin." Es ist eben so eine Sache mit dem Reichtum in Grünwald und manches ist in Wirklichkeit anders, als es auf den ersten Blick aussieht.

© SZ vom 12.12.2017 - Rechte am Artikel können Sie hier erwerben.
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