Kurzkritik:Fortschrittsglaube

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Kabarettist Philip Weber stellt sein neues Programm vor

Von Oliver Hochkeppel, München

In der Biologie gilt: Je größer der Gen-Pool, desto besser die Chance auf evolutionären Erfolg. Im Kabarett dagegen kann eine große thematische Bandbreite ein Programm auch schnell zur Nummernrevue zerfasern lassen. Deshalb ist Philip Weber eine Ausnahmeerscheinung der Szene, womit wir wieder bei der Biologie wären. Die hat Weber ebenso studiert wie Chemie, Medizin, Geschichte, Psychologie und Germanistik; er hat Sachbücher über Ernährung und Kochen geschrieben, und bei ihm findet all das souverän zusammen, auch in seinem neuen, in der Lach- und Schießgesellschaft vorgestelltes Programm "KI - Künstliche Idioten". Das obendrein auch politisch und manchmal sogar philosophisch wird.

Der menschliche Fortschritt ist das Thema, zu dem er einleitend fünf "Webersche Gesetze" aufstellt, von "Fortschritt ist weder gut noch schlecht, sondern nur ein Prozess der Veränderung" über "Fortschritt passiert, wenn der Mensch das Stadium der Unwissenheit verlässt und ins Stadium der Ignoranz eintritt" bis zu: "Der Mensch erschafft Kultur, und Kultur erschafft den Menschen". Von der Vorlesung ("im zweiten Teil kann jederzeit abgefragt werden") geht es aber ganz schnell zur Praxis der Technologiefeindlichkeit wie des blinden Fortschrittsglaubens. Das Abstrakte erdet Weber mit saftigen Geschichten aus dem heimatlichen Odenwald, das Wissenschaftliche mit der Rahmenhandlung eines befreundeten Ehepaares mit Selbstoptimierungswahn, alles andere mit einem Witz- und Pointen-Tsunami.

Natürlich passiert all das wieder im gestreckten Galopp und mit der gewohnten, sich an den eigenen Entdeckungen erfreuenden Hibbeligkeit. Wenn man dann beim alles zusammenfassenden, sechsten Weberschen Gesetz angelangt ist, ist man körperlich (wegen des dauernden Lachens) und geistig (wegen des dauernden Denkens) so glücklich erschöpft wie bei wenigen anderen Kabarettisten. (Bis Samstag ausverkauft, weitere Vorstellungen am 9. und 16. Juni).

© SZ vom 28.02.2020 - Rechte am Artikel können Sie hier erwerben.
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