Kurzkritik:Böses Märchen als Kammerspiel

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Technisch brillant: Die Wiederaufnahme von "Schwanensee" in der Oper

Von Eva-Elisabeth Fischer, München

"Schwanensee" in kleiner Besetzung, das riecht nach Provinz. Davon ist die von Ballettmeister Thomas Mayr hygienisch wasserdicht fürs Bayerische Staatsballett ausgelichtete Corona-Version vor 500 ausgehungerten Ballettfans natürlich weit entfernt. Die spärliche Entourage in John McFarlanes klaustrophobischem Preußenschloss in den bunten Bildern kann man guten Willens als Zeichen dafür deuten, dass die unerbittliche Königin Luise die Zwangsverlobung ihres Sohnes Siegfried nur in kleiner Runde besiegelt sehen will. Schon klar, dass die wunderzarte Lauretta Summerscales als Braut in spe gar nicht begreifen kann, warum sich der Prinz nicht für sie interessiert. Der nämlich geht ziemlich desorientiert mal hierhin, mal dahin und ist dabei noch nicht einmal, wie es Choreograf Ray Barra vorsah, erkennbar in irgendwelche Schwanenträume entrückt. Denn Jinhao Zang begreift seine Prinzenrolle ausschließlich als tänzerischen Bravourakt. Das reicht nicht.

Barras 25 Jahre alte Fassung des bösen Märchens, das hier mit dem Tod des Heiratsunwilligen endet, geht nun nach der Sommerpause als in drei Wochen technisch erregend auf Hochglanz gebürstetes Kammerspiel atemberaubender Bewegungskünstler über die Bühne. Allerdings dargeboten von Protagonisten ganz ohne psychologische Abgründe, die wie schockgefroren agieren. Allen voran Pirouettenwunder Prisca Zeisel: Sie macht kaum einen Unterschied zwischen der sonst barmenden Odette und der eiskalten Odile. In den weißen Bildern, dem Herrschergebiet Rotbarts (Emilio Pavan in Marilyn Manson-Allüre), verzaubern vor allen die vier kleinen Schwäne in ihrer reizend hingetupften Akkuratesse. Die funkelnden Höhepunkte des Abends aber sind bunt - der Pas de six im ersten sowie der Russische Tanz im dritten Bild, von Ballettchef Igor Zelensky bewusst mit Solisten hoch besetzt. Unter ihnen Jonah Cook, der wieder da ist! Als Sahnegupf obenauf macht das Orchester auf Rampenhöhe mit den Tänzern die einzelnen Stimmen im wohlig homogenen Ganzen hörbar.

© SZ vom 11.09.2020 - Rechte am Artikel können Sie hier erwerben.
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