Kurzkritik:Aufreibend

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Caner Akdeniz' "Siegfried" im Hoch X

Von Sabine Leucht, München

Dieses Wort mit "post": Plötzlich war es da. Vorher hatte Caner Akdeniz sich für einen in Nürnberg geborenen Türken gehalten. Jetzt war er Postmigrant. Außerdem mussten seine Eltern ihn belogen haben: Gastarbeiter? Von wegen! Immigranten waren sie.

Begriffe, die das eigene Wissen für nichtig erklären; Begriffe, die einen dumm erscheinen lassen; Begriffe wie Minenfelder. Ein falscher Schritt, und du fliegst auf. Als der Facharbeiter mit Hauptschulabschluss auf der Bayerischen Theaterakademie in München landete, gab es noch mehr von ihnen. Und so kam der Tag, an dem er sich dabei zusehen sah, "wie andere Leute versuchten, mit Theorien die Welt zu erklären", und er beschloss, außer seinem Namen nichts zu sagen: "Vielleicht komm ich ja mystisch rüber?"

Die Zeiten sind vorbei. Inzwischen steht der junge Regisseur auf der Bühne des Hoch X und erzählt wie einer, der kein Schauspieler ist, aber einen Plan hat. Er will sich abhärten. Dafür lässt er sich Fragen stellen (die er nicht beantworten kann) und vom Publikum beschimpfen. Zweiteres funktioniert bescheiden. "Kanake", schlägt er vor. "Fettsack"? Zurück kommt "Dödel". Ob das dabei hilft, so unverletzbar wie Siegfried zu werden? Denn darauf ist Akdeniz' Freie-Szene-Debüt "Siegfried" vermeintlich aus. Dafür stellt er sich auf einen Sockel aus Styropor, steigt mit Feigenblatt in ein Bad und kommt weniger als Identifikationsakrobat wieder heraus denn als der Distanzvermesser, als der er sich bereits 2018 in seiner "Faust"-Annäherung mit türkischem Cast geoutet hat, der sich hörbar angestrengt am deutschen Kulturgut rieb.

Vergleichsweise wenig Reibungsfläche bieten dagegen die auf Stoffbahnen projizierten Siegfried-Verse unterschiedlicher Provenienz. Und als man in deren scheinbar wahlloser Abfolge gerade eine Akzentverschiebung von der bloßen Verehrung zur national(sozial)istischen Vereinnahmung des Helden zu erkennen meint, übernimmt Akdeniz wieder das Ruder. Und das ist gut. Denn wie er seine Geschichte erzählt in dem Bewusstsein, seinen Migrationshintergrund zugleich zu vermarkten wie zu verraten, wirft eine Menge Fragen auf nach dem, was Stärke ist und Integration einem abverlangt.

© SZ vom 09.10.2020 - Rechte am Artikel können Sie hier erwerben.
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