Kunstturnen:Applaus beim Abgang

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"Er ist einer der deutschen Hoffnungsträger, klar, dass er sich präsentieren muss": Felix Remuta schraubt sich gerade auf eine neue Wahrnehmungsebene. (Foto: Claus Schunk)

Von der Isar an die Saar: Felix Remuta nutzt den TSV Unterhaching als Sprungbrett in die Bundesliga - so wie vor ihm die Olympia-Teilnehmer Marcel Nguyen und Lukas Dauser, deren Spuren der 18-Jährige folgt

Von Andreas Liebmann, Unterhaching

Knapp eine Million Einwohner, Tendenz sinkend. Dreimal so viele wie Island immerhin, aber doch recht mickrig. Das Saarland ist das kleinste der deutschen Flächenländer und kann jeden Zuzug gebrauchen, schon deshalb würde Felix Remuta sicher mit offenen Armen empfangen werden, zöge er tatsächlich dorthin. Doch so weit ist es nicht. Freudig empfangen wird der 18-Jährige allerdings trotzdem - weil er ein sehr begabter Turner ist. Und nun feststeht, dass er künftig für die TG Saar startet. Das hilft der Bevölkerungsstatistik des Landes wenig, wohl aber dem dreimaligen deutschen Mannschaftsmeister. Remuta ist nach Marcel Nguyen und Lukas Dauser das nächste riesen Talent des TSV Unterhaching, das dessen Zweitliga-Turngemeinschaft Exquisa Oberbayern verlässt, um sich einem Erstligisten anzuschließen.

Von fünf der acht Erstligaklubs hatte Remuta Angebote vorliegen, berichtet er. "Es war relativ klar, dass ich wechseln würde, und viele Junioren auf dieser Ebene gibt es nicht. Jeder kann Nachwuchs gebrauchen", erklärt er. Die TG Saar habe früh ihr Interesse bekundet, außerdem habe er einige gute Freunde im Team des Vorjahreszweiten: "Das passt menschlich gut." Thorsten Michels, der Vorsitzende der TG Saar, sieht das ähnlich: "Felix ist ein überdurchschnittliches Talent, wir wollten ihn vor einem Jahr schon verpflichten. Das ist für uns ein super Griff." Die TG hat viel vor mit dem jungen Allrounder. "Er soll langfristig eine Säule bei uns werden", sagt Michels. Routinier Eugen Spiridonov ist 34, er werde bald kürzertreten, für die Zeit nach dem Team-Europameister von 2010 baut die TG Saar auf Remuta.

Tatsächlich habe er vor ein, zwei Jahren sogar den Plan verfolgt, ins Saarland umzuziehen und dort zu studieren, erzählt Remuta, doch daraus werde erst mal nichts. Ein Studium werde vorerst nicht mit dem Sport vereinbar sein, hat er erkannt. Erst einmal wolle er sich zwei, drei Jahre voll auf Leistungssport konzentrieren, erklärt er, vielleicht einen Weg einschlagen wie Nguyen und Dauser: Der eine besitzt schon zwei olympische Medaillen, der andere hat sich an diesem Wochenende in Frankfurt sein Ticket nach Rio de Janeiro gesichert. Vor allem am Barren sei auch Dauser inzwischen "zu einem ernst zu nehmenden Medaillenaspiranten gereift", urteilt Hachings Abteilungsleiter Oskar Paulicks, die Zweifachnominierung sei nach Nguyens zwei Silbermedaillen aus London "der größte Erfolg in der Vereinsgeschichte".

Remuta, kurze blonde Haare, mehrmaliger deutscher Jugendmeister und Preisträger der SZ-Talentiade von 2013, ist von solchen Erfolgen noch ein Stückchen entfernt. In der zweiten Bundesliga Süd war er als einer der Jüngsten zugleich einer der erfolgreichsten Scorer. Er erreichte bei den Junioren-Europameisterschaften in Bern vor einigen Wochen zwei Gerätefinals, wurde Siebter und Fünfter an Boden und Sprung. Und schaffte all das parallel zu seinem Endspurt am Lise-Meitner-Gymnasium, wo er sein Abitur bestand, ungefährdet, mit einem Schnitt von 2,8. "Er hatte ein absolutes Mammutprogramm zu absolvieren", lobt Abteilungsleiter Paulicks.

Remuta weiß nun nicht genau, wie es im Team Oberbayern ohne ihn weitergeht: "Die Suche nach Ersatz läuft, glaube ich, die wollten sich schon wieder verstärken." Genauere Informationen habe er nicht: "Ich war ja drei, vier Monate nicht zu Hause." Mit "zu Hause" meint er die heimische Sporthalle, wo er fast nie gemeinsam mit den Teamkollegen trainieren konnte. Erst war da die Qualifikation zur Junioren-EM, dann die einmonatige EM-Vorbereitung, zwei Wochen Abiturprüfungen, nebenher nahm er an jeder Menge Wettkämpfen teil. Bei den deutschen Jugendmeisterschaften Anfang Juli in Wernau spürte Remuta dann, was er alles geleistet hat. "Es war eine lange Saison, in der ich mich vielleicht doch ein bisschen übernommen habe", sagt er. Bei einem Flugteil fiel er vom Reck, ein Sprung missglückte, an den Ringen lief es nicht, und die Schulter schmerzte. "Vieles fiel nicht mehr so einfach wie am Anfang der Saison. Am zweiten Tag habe ich lauter kleine Fehler gemacht, die nicht hätten sein müssen." Am Ende des Mehrkampfs haderte er mit Rang fünf. Bei den Gerätefinals am dritten Tag holte er allerdings noch einmal alles aus sich heraus, wurde deutscher Meister am Boden und Reck und holte Silber am Sprung. "Damit war ich relativ zufrieden", bilanziert Remuta. Dennoch habe er vor allem diese "Endlich-fertig-werden-Stimmung" gespürt. Der Urlaub nahte.

Nach dem Schulabschluss hat Felix Remuta einige aufregende Dinge gemacht, "Kino, Freibad, mit Freunden chillen" - Zeitvertreib, der für andere Teenager normal ist, für ihn aber etwas Seltenes, Wertvolles. Er weiß noch nicht, wie es nun weitergeht. Er könnte bei der Polizei oder der Bundeswehr in einer Sportfördergruppe anfangen, ein Freiwilliges Soziales Jahr in München einlegen. Auch ob er in die Nähe eines Stützpunkts zieht, wie der Deutsche Turnerbund das eigentlich vorsieht, stehe "alles noch in den Sternen". Einige Wochen werde er es jetzt ruhig angehen lassen, und dann versuchen, nach seinem letzten Juniorenjahr den Sprung zu den Männern zu vollenden - wo auch immer. "Ich will mich da etablieren", sagt er. In der Liga werde er bei der TG Saar viele Einsätze bekommen.

In Unterhaching ist ihm niemand gram. "Er ist einer der deutschen Hoffnungsträger, klar, dass er sich präsentieren muss", sagt Oskar Paulicks. Für das Team Oberbayern sei Remuta nicht gleichwertig zu ersetzen, es sei auch kein externer Zugang in Sicht. Remuta selbst will noch eine Abschiedsparty schmeißen, jetzt, wo er gerade etwas Zeit hat. Und bei Wettkämpfen wird er ja weiter für den TSV Unterhaching antreten, genau wie Nguyen und Dauser.

© SZ vom 12.07.2016 - Rechte am Artikel können Sie hier erwerben.
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