Kunstprojekt:Münchner Künstler zeichnen Linie in die amerikanische Wüste

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"Wir machen eine Linie und schauen, was dabei herauskommt": Wolfgang Aichner mit seinem Arbeitsgerät in einer Vorab-Illustration. (Foto: GÆG)
  • Die Münchner Künstler Thomas Huber und Wolfgang Aichner wollen mit einem überdimensionierten Stift ein Rechteck in die amerikanische Wüste ziehen.
  • Die beiden dokumentieren die Aktion auch als Film.
  • Auf www.linear2017.org kann man das Projekt in Echtzeit verfolgen.

Von Michael Zirnstein

Je mehr sie den Faden ihrer Idee aufgriffen und kunstvoll weiterspannen, umso besser gefiel ihnen der Ausgangspunkt, oder genauer: die Ausgangslinie. Mehr soll es erst einmal gar nicht sein, was Thomas Huber und Wolfgang Aichner in den amerikanischen Wüstensand ziehen wollen. Eine indianerpfeilgerade Linie. 600 Kilometer lang. Beim dreiwöchigen Marsch biegen sie drei Mal rechts ab, dann sind sie wieder am Ausgangspunkt. Wie das auf einem Satellitenbild aussieht, kann sich nun jeder selber ausmalen. Das Wort "Rechteck" wäre an dieser Stelle schon zu weit gedacht. Das Kunstprojekt soll als Linie starten - und so heißt es auch: "linear".

Eine Linie kann sehr inspirierend sein, wie man spätestens seit den Siebzigerjahren weiß, als der italienische Zeichner Osvaldo Cavandoli in seinen "La Linia"-Cartoon ein zeterndes Männlein aus einem weißen Strich entstehen ließ. Die beiden Münchner Künstler Aichner und Huber, die sich als Duo GÆG nennen (Global Aesthetic Genetics), haben auch ein Männchen im Sinn: Einen Manager-, Politiker- oder Makler-Typen im Businessanzug, der mit einem Kugelschreiber Amerika eine Linie in die Landschaftshaut tätowiert.

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Der silberne Stift ist vier Meter lang, immerhin. Der Prototyp maß zwei Meter mehr, konnte mit einer Stahlkugel Kreidepulver aufmalen und war zur Gewichtsminderung mit Helium befüllt. Zum Einsatz kommen nun zwei schlankere Versionen aus Hartschaum, die eine auf einen Trolley geschnallt für die Ebene und eine "Kampfversion" in einer Art Kraxe für schwieriges Gelände.

Beide hinterlassen mit einem Rädchen an der Spitze nur einen nicht-bleibenden Eindruck auf weichem Grund. "Unsere Spur ist virtuell", sagt Aichner. Den Fortschritt zeigen sie anhand von Daten eines Satelliten-Tracking-Systems in Echtzeit unter www.linear2017.org. Das erinnert an ein früheres Projekt Hubers, als er einen Hunderte Kilometer großen Fußumriss in Islands Hochland latschte.

Dass das Kunst-Projekt ein wenig reduzierter ausfällt, hat mehrere Gründe. Zum einen die Kosten. Seit gut zwei Jahren versuchen die beiden Geld dafür aufzutreiben; an Crowfunding haben sie nach vergeblichen Anläufen zuvor gar nicht erst gedacht - für ihr legendäres rotes Boot, das sie 2011 von Hand über einen 3000 Meter hohen Alpenkamm zur Biennale nach Venedig zerrten, liegt bis heute kein Angebot vor.

Mit Unterstützung des Münchner Kulturreferats, des Atelier-Vermieters der alten Wieder-Fabrik, eines weiteren Mäzens und ihres treuen Kurators Christian Schoen kann die Aktion nun aber steigen - wenn auch ohne weiteren Kameramann. Deswegen wird auf Bildern von "linear" auch nur ein Mann zu sehen sein, der andere muss filmen oder fotografieren.

Wie immer machen GÆG aber aus der Not einen Gag: Ihre Filmdokumentation werden sie als Computerspiel inszenieren, bei der eine göttliche Hand immer einen der beiden auswählt und in den Staub schickt und das Motivations-Level nach Bedarf mit einem Extra hebt: Spritze ins Knie für Huber, Zigarette für Aichner. Der gewünschte Effekt ist eine kunstvolle Verwirrung mit virtueller Ästethik: Machen die das jetzt in Echt? Den GÆG-Projekten zwischen Land-Art, Performance und Alpin-Sport haftete schon immer etwas Absurdes, Irreales an.

Die dritte Reduktion betrifft die Botschaft: Anfangs gab es die Idee für einen virtuellen "State of The Art" in den Vereinigten Staaten, aber da war Donald Trump noch nicht Präsidentschafts-Kandidat; als er gewählt war, kam bald der Wunsch auf, diesem Schachteldenker im eigenen Land Grenzen aufzuzeigen (Linien, die es so da nicht gibt). Mittlerweile halten sie diese Botschaft "nicht mehr für Kunst, sondern für politischen Aktionismus. "Ein direktes Statement zu Trump abzugeben - gerade als Deutsche, die den Ruf haben, Besserwisser zu sein - geht gar nicht", sagt Aichner. Als Künstler wollen sie klar eine Grenze ziehen: "Ab hier ist es das Bild, das wir erzeugen, aber dort ist es Interpretation des Betrachters", sagt Huber, "so viel Freiraum wollen wir den Amerikanern lassen."

Vielleicht kommt am Ende ja der Trump? Abwarten

Aber wer kann schon wissen, was sich ergibt? So haben sie an Orten, wo ihr Querfeldein-Weg Highways kreuzt "Pressekonferenzen" angesetzt, "nur als Fake" und für den Film, sagt Aichner. Zum Start hat sich aber tatsächlich bereits eine Reporterin der Salt Lake City Tribune angemeldet. Eine Frau, die PR für einen Golf Club macht, hat angeboten, auch für die deutschen Künstler ein wenig zu trommeln.

"Vielleicht steigert sich das, die Amerikaner lieben ja so schräge Sachen", sagt Huber, der schon als Student aus der Klasse von Horst Sauerbruch 10 000 Kilometer durch die USA radelte und täglich ein Mini-Bild malte. "Mei, vielleicht erscheint am Ende wirklich der Trump, um sich mit unserer Aktion in Szene zu setzen", kommt Huber ins Fabulieren. Aichner holt ihn gleich wieder auf den Boden zurück: "Wir machen eine Linie und schauen, was dabei herauskommt."

© SZ vom 09.09.2017 - Rechte am Artikel können Sie hier erwerben.
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