München-Lieder:Rimini im Hasenbergl

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Urlaub vor der eigenen Haustüre im letzten Licht des Sommers: Peter Pichler mag Golf, die Weite - und Beton. (Foto: Alessandra Schellnegger)

Heimat ist überall, egal, ob in München oder am Meer - oder doch nicht? Diesem Dilemma hat Peter Pichler vor fast 40 Jahren den Song "Willkommen in Europa" gewidmet.

Von Egbert Tholl

Eigentlich war der Plan ein anderer gewesen. Die Idee war, sich zum Foto in Sendling zu treffen. Wegen des Schmieds von Kochel, der in Sendling ein Denkmal hat. Es steht nahe der alten Sendlinger Pfarrkirche, wo die habsburgischen Truppen den bayerischen Bauernaufstand niedermetzelten. Die Bauern wollten die habsburgische Fremdherrschaft beenden, der Schmied war vorne dabei. Also Kampf gegen Imperialismus, mithin also Punk, und mit Punk fängt's an.

Aber dann wollte Peter Pichler doch lieber ins Hasenbergl. Die CD, um die es gehen soll, ist die selbe geblieben. Im Jahr 2000 veröffentlichten die No Goods ihr vorerst letztes Album. Es heißt "Rimini Sendling Hasenbergl. Willkommen in Europa", und auf ihr gibt es einen Song, der heißt so wie die Platte selbst. Und deswegen also ein Foto auf der Panzerwiese, wo München im Norden zu Ende ist und wo es, wäre die Wiese ein Meer, ausschaut wie in Rimini. Auf der einen Seite Weite, auf der anderen Betonblocks. "Ich mag Beton", sagt Peter Pichler von den No Goods.

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Auf dem Cover der CD steht der Sonnenschirm, der damals noch frischer aussah, im Sand, neben ihm steht Tschinge Krenn am Bass, mithin hat man den Kern der No Goods beisammen - Pichler ist mit Krenn seit seinem achten Lebensjahr befreundet. Und wenn man genau hinschaut, erkennt man noch die kaputte Welt in einem kaputten Fernseher. Pichler läuft herum.

Im Studio von Peter Pichler hängt ein Gemälde des Covers. Es fehlt der Sonnenschirm, aber sonst ist das meiste drauf. Gemalt hat es Florian Süssmayr, und Pichler sagt, das sei das erste Bild, das dieser überhaupt verkauft hat. 1500 Mark für einen echten Süssmayr. Pichler hatte damals gerade Geld in der Tasche und wollte ein Bild. Man kannte sich eh. Pichlers Studio befindet sich in Milbertshofen, im Hof ist ein berühmtes italienisches Lokal, ums Eck war früher die wichtigste Live-Bühne Münchens für Punk. Süssmayr sei auch ein Alt-Punker, meint Pichler.

Später wurde er berühmt mit wunderschönen Gemälden von Biergläsern auf Wirtshaustischdecken. Der Laden, wo Pichler auftrat, war übrigens das Milb, das "Milbertshofener Milbenzentrum". Die Band damals hieß Condom und brachte es 1981 zu einiger Berühmtheit: Wegen einer Textzeile, in der Franz Josef Strauß ein wenig plump, aber effizient sehr rechten Gebarens gerühmt wurde, wurde die Single "Rechtlos" verboten, die Band bekam einen Prozess, war aber zu jung fürs Gefängnis, sollte statt dessen Hörkassetten für Blinde einlesen, wovon sie nach einem Tag wegen erwiesener Unfähigkeit dann befreit wurde.

Der Geist vom Milb und die Kunst

Ein paar Jahre später war Punk für Pichler erledigt, er studierte am Mozarteum klassische Gitarre und Renaissance-Laute. Als 1987 die No Goods ihre erste Platte "Jury go on", damals noch auf Englisch, herausbrachten, begann ein Dilemma. Dieses bestand darin, quasi den Geist vom Milb, dieser "Keimzelle des Dilettantismus'", zu verschränken mit Kunst. Im Song "Willkommen in Europa" gibt es Debussy-Akkorde. Da muss man aber schon genau hinhören. Das Album selbst ist ohnehin seiner Zeit voraus, wie es die No Goods immer waren, mit schweren Texten und einer komplizierten Idee von Pop. "Oder zu spät dran, wie man's sieht."

Eigentlich hätte Pichler Oberkellner werden sollen, in der Pension Pichler in Bad Tölz, Besitz väterlicherseits. Lieber servierte er bald Musik. Von Tölz in die Stadt, aufgewachsen im Olympiadorf, zu Fuß, quasi über die Straße nach Milbertshofen, später ein Probenraum für die No Goods im Hasenbergl. Einmal wurde dort auf ihn geschossen. Heute sagt er, "ich kam da her, wo man das Maul hält". Auf Pichler ist auf raue Art Verlass, er stört sich nicht an den Eitelkeiten der anderen, tourte mit Mario Adorf zu dessen 70., spielte zehn Jahre mit Hans Söllner, bis der ihn die ersten Platten von sich produzieren ließ, machte mit Harald Schmidt Theatermusik bei dessen Anfängen in Augsburg.

Die No Goods wurden zwar international sehr geachtet, nach der Wende in den Clubs im Osten als Sensation gefeiert, waren aber viel zu wenig einordbar für einen echten kommerziellen Erfolg. Pichler verdient Geld mit Musik lehren, Musik machen, Platten produzieren wie für Funny van Dannen, der ihn manchmal mit selbstgemalten Bildern bezahlt. So wie Karl Valentin, Pichlers Urgroßvater, bei dem er sich Schuhe machen ließ, versuchte, mit Theaterkarten zu bezahlen. "Aber wirklich bezahlt hat er nie. Eigentlich gehören die Schuhe im Valentin-Museum mir. "Die Karten gelangten aber irgendwie zu Oma und Opa Pichler, die gern ins Theater in der Dachauer Straße gingen, weil es auf der Galerie so schön dunkel war.

Die Wurzeln hat Pichler nie gekappt. Heute geht er mit seiner Tochter zum NSU-Prozess, "da weißt du, wie der Staat tickt". Oder versucht nun, nachdem er fünf Jahre mit dem Trautonium sensationelle Kunstmusik gemacht hat, dieses alte Zukunftsinstrument in den No-Goods-Kontext zu integrieren. Nächstes Jahr gibt es eine neue CD.

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Und doch sitzt er nun auf der Panzerwiese, als wäre er nie weg gewesen, als würde er immer noch vom ehemaligen Proberaum in der Weitlstraße herüber spazieren, vielleicht auch um Golf zu spielen. "Eine tolle Tätigkeit, kannst in Deutschland aber nicht machen, weil du dabei nur auf Arschlöcher triffst." Nun, auf der Panzerwiese trifft man nur Schafe. Davon aber sehr viele.

Zum Album "Willkommen in Europa" sollte eigentlich ein Film gehören. Den gibt es auch, fast, vielleicht wird er zu sehen sein, wenn Trikont, das wunderbare Label, ohne dass es die No Goods so nie gegeben hätte, weil allen anderen der Mut gefehlt hätte, 50 Jahre alt wird. In dem Film gehen zwei Italiener zu Fuß von Rimini ins Hasenbergl. Von einem Europa ins andere und doch ist es gleich.

Damals, im Jahr 2000, erspürten die No Goods die Entindividualisierung durch das Internet, das allen Eigenständigkeit vorgaukelt. Und nahmen "Sendling" auf, eine rumpelnde Hymne. "Kennst du Sendling, dann kennst du dich aus." Das ist herrlich doppelbödig, feiert einerseits einen Stadtteil als allumfassende Heimat, also Region, zeigt andererseits, dass es eh überall gleich ist. In Rimini, in Sendling oder im Hasenbergl. Was so dann auch nicht stimmt.

Vielleicht wird der Film zum Album doch noch veröffentlicht

Oder doch? Im Film zum Album sollten all die Figuren auftauchen, die man im Hasenbergl an der Pizzeria traf, die Penner und Spinner, von denen der eine sieben Uhren am Arm trug und der andere nie Schnürsenkel, sondern stets "Schürschenkel" sagte. Figuren, die garantiert nicht auf Facebook zu finden sind und nicht bei Amazon zu bestellen. "Im Hasenbergl heißt es Kopf oder Zahl", singt Pichler. Und doch "hat einer von uns den Mikrochip gemacht".

Dazu hört man eine Musik wie aus einer anderen Welt, als wäre das, was vor den Nazis an Musik existiert hat, direkt weitergeführt worden in den Pop, man hört eine Geige und Bläser, ein E-Piano und Tschinges Bass, und weiß nicht, was das für eine Musik ist. Aber man weiß, dass sie einen das Meer sehen lässt, wenn man auf der Panzerwiese sitzt.

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© SZ vom 06.09.2017 - Rechte am Artikel können Sie hier erwerben.
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