Kunst:Kerzen, Kugeln, Krieg

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Die Künstlerin Monika Huber lässt in ihrem Video "At Home" Weihnachtserinnerungen auf Flüchtlingsschicksale treffen

Von Evelyn Vogel, München

Ein gesellschaftspolitisch wichtiges Thema hat in diesem Pandemiejahr merklich an Aufmerksamkeit verloren: das der Flüchtlinge. Obwohl Armut, Krieg und Gewalt nach wie vor Tausende Menschen zwingen, ihre Heimat zu verlassen. Für uns, die wir in sicheren Regionen leben, wurde Heimat zu dem Ort, an den wir uns vor der Seuche zurückgezogen haben. Heimat wurde zum Home, in dem wir uns mit Home-Office und Homeschooling herumschlagen, während die Pandemie draußen tobt. Die beobachten wir weltweit und in Echtzeit durch unsere virtuellen Fenster.

Auch deshalb hat die Münchner Künstlerin Monika Huber ihre Videoarbeit "At Home" in der Heilig-Geist-Kirche - passend auch zur Fluchtthematik im Weihnachtsgeschehen - in die Form eines Smartphones gepackt. Doch hier gibt es kein "wisch und weg". Vor einem gift-grünen Hintergrund wirkt der schwarze Bildschirmrahmen irritierend und vertraut zugleich. Der Home-Button verbindet uns zu jeder Tages- und Nachtzeit mit der Welt, egal wie sehr wir uns aus Angst vor Corona einigeln. So sehr wir versuchen, es uns schön zu machen, dieses Cocooning allenthalben ist nicht freiwillig und deshalb geradezu schizophren.

Monika Hubers Videoinstallation sieht nach heiler Welt aus, zielt aber auf eine ernste Thematik. (Foto: Monika Huber)

Zur Komposition "Lume" der schwedischen Komponistin Andrea Tarrodi ist das sechseinhalbminütige Video "At Home" im rechten Seitenschiff der Kirche zu sehen. Eine brennende Kerze, deren Flamme im Luftzug flackert, mitunter auszugehen droht, sich aber immer wieder fängt und behauptet, unterteilt die Bildfolgen in visuell erzählte Kapitel, deren Ränder durch Überblendungen inhaltlich nicht scharf abgegrenzt sind. So macht Huber deutlich, dass die Gesellschaften, so unterschiedlich sie auch sein mögen, eben nicht voneinander zu trennen sind, dass ihre Schicksale sich oft überlappen.

Der Weihnachtsmann, die Kerzen, Kugeln und Engelsfigürchen, das Glöckchengebimmel und güldene Lametta und der ganze restliche weihnachtliche Tand schaffen das Gefühl der Vertrautheit. Dazwischen sind Familienbilder aus zurückliegenden Jahrzehnten zu sehen, in Schwarz-Weiß und Orange-verschossenen Farbtönen, wie man sie von alten Aufnahmen aus den Siebzigerjahren kennt. In schneller Abfolge durchläuft der Betrachter eine weihnachtlich-vertraute Heile-Welt-Kindheit.

Filmstill aus Monika Hubers Arbeit "At Home". (Foto: Monika Huber)

Dann der Bruch: Die Welt draußen, die voller Krieg und Gewalt ist, dringt ein ins Zuhause. Bilder von zerstörten Häusern und Städten, von Menschen auf der Flucht, von prekären, ja menschenunwürdigen Verhältnissen in Flüchtlingszelten schieben sich zwischen das glänzende Gold des weihnachtlichen Flitters und die Kindheitserinnerungen. Das gilt es auszuhalten.

Huber hat den sechzehnstimmigen, verziert fließenden "Licht"-Gesang mit Zustimmung Tarrodis zerteilt und dem Rhythmus der Bilder angepasst. Das funktioniert sehr gut. Der Gegensatz zwischen der heilen Weihnachtswelt und der Realität voller Armut, Zerstörung und Gewalt ist in einer kurzen Sequenz sehr subtil inszeniert. Diesen Aspekt stärker zu betonen, hätte beim Betrachter vermutlich mehr Emotionalität hervorgerufen. Gerade in der zweiten Hälfte des Videos verlässt sich Huber, die 2011 begonnen hat, ein Archiv mit digitalen Nachrichtenbildern anzulegen und der also entsprechend viel Material zur Verfügung gestanden hätte, zu sehr auf die ironische Wirkung der Weihnachtskitsch-Bilder und -Details.

Denn dieser Schneekugelkitsch ist irgendwann ausgereizt. Noch ein Weihnachtsmann, noch ein Tannenbaum bringt keine weitere Facette in die an sich interessante Arbeit "At Home" von Monika Huber.

Monika Huber: At Home , 9-19 Uhr in der Kirche "Heilig Geist" am Viktualienmarkt, rechtes Seitenschiff, außerdem rund um die Uhr im Freien im Hausdurchgang zwischen Schäfflerstraße und Frauenplatz bei der Dombuchhandlung sowie online unter www.kunst-netz-werk.online

© SZ vom 30.12.2020 - Rechte am Artikel können Sie hier erwerben.
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