Kunst:Ins Schattenreich

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In der Pasinger Fabrik versuchen 30 Künstlerinnen dem Tod und seinen Geheimnissen auf die Spur zu kommen

Von Jutta Czeguhn

Über den Tod ist alles gesagt, und doch ist ihm noch niemand draufgekommen. Weder Religionsstifter noch Philosophen, weder Schriftsteller noch Künstler. Aber sie können nicht von ihm lassen. Auch die Gedok-Jahresschau in der Pasinger Fabrik, die den Auftakt einer Reihe von Veranstaltungen im 90. Gründungsjahr der Künstlerinnen-Vereinigung bildet, will dem Tod seine Geheimnisse entlocken. Im vollen Bewusstsein des aufrechten, ehrlichen Scheiterns. Und im Ergebnis mit faszinierenden Bildern, die lange nachwirken.

Julischka ist nicht mehr da. Auf ihrem alten Herd hatte sie immer Gemüse und Obst eingekocht, auf ihrem alten Kühlschrank stand ein roter Wecker, die Decke auf ihrem Bett war gehäkelt. Von all dem erzählen zwölf Fotografien der Künstlerin Heidemarie Hauser. Sie hat sie in Ungarn aufgenommen, im Haus von Julischka, die gerade gestorben war. Kurz nachdem die Aufnahmen entstanden waren, ließen die neuen Besitzer die gesamte Habe der alten Frau entsorgen. Ihr Heim wurde zu einem Standard-Ferienhaus umgebaut. Nichts erinnert mehr an Julischka - nur noch Hausers Fotografien.

Wie Julischka lebt auch Georges Wolinski nicht mehr, auch wenn von diesem großen, alten Mann der französischen Karikatur gewiss mehr geblieben ist als zwei Hände voll Fotos. Der 80-Jährige war unter den Opfern, als fanatische Islamisten im Januar 2015 in der Redaktion des Satiremagazins "Charlie Hebdo" mordeten. Heidrun Eskens hat ihm ein nahezu monochrom weißes Ölgemälde gewidmet, auf dem sie den Satz "je ne veux pas mourir idiot" hervortreten lässt, ein Sprechblasentext einer von Wolinskis Figuren. Für Heidrun Eskens muten die erhobenen Buchstaben an wie eine Narbe, ein "chirurgischer Schnitt in Bauchhöhe". In ihrem Leben sei es ihr immer darum gegangen, die Angst zu überwinden, die "große Angst vor dem Tod".

Um die Angst vor, aber auch die Sehnsucht nach Auflösung geht es Judith Egger. Sie zeigt ein seltsames Waldwesen, das aussieht wie ein Baumstamm. Moos hat seinen Körper in Besitz genommen. Nur noch ein Gesicht erinnert an seine Vergangenheit als Mensch. Drollig sieht das aus. Doch löst Eggers Fotografie auch ein eigenartiges Unbehagen aus. Wie fühlt es sich an, wenn die eigene Materie wieder Teil der Natur wird? Als während der Arbeit an der Fotografie im Wald Ameisen über ihren Körper krabbelten, bekam die Künstlerin eine vage Ahnung davon.

In den Fotografien, Gemälden und Installationen der 30 Gedok-Künstlerinnen finden sich viele Bezüge zu Vanitas-Darstellungen des Barock, subtile Zitate der Kunstgeschichte und Mythologie. Man kann sie erkennen, muss aber nicht. Sabine Schlunk etwa bettet rote Papageienfedern auf einen Haufen Erde. Sie hat in Amerika gelebt und dort viele indianische Begräbnishügel gesehen. Dorothea Reese-Heim ist beeindruckt von der uralten Friedhofskultur der Parsen, die heute überwiegendend in Indien leben. In ihrer Lichtinstallation "Türme des Schweigens" aus Chromnickelstahl und fluoriserenden Schläuchen rekonstruiert die Künstlerin Reese-Heim deren Sitte, die Toten nicht zu begraben, sondern auf Steinplatten zu legen, damit ihr Fleisch von den Geiern gefressen - oder kosmologisch gesehen - in den Himmel getragen wird. Vögel als Begleiter ins Jenseits, auch Augusta Laar arbeitet mit diesem Motiv in einer sehr ungewöhnlichen Wand-Skulptur mit dem noch ungewöhnlicheren Titel "Den toten Vögeln Gedichte vorlesen". Jedem der ausgestopften, schon etwas zerfledderten Tiere ist ein kleiner Monitor zugeordnet. Bewegung und Stillstand werden nebeneinander gestellt.

Den Weg vom Diesseits ins Jenseits nicht allein gehen müssen, diese Vorstellung scheint für viele Kulturen etwas Tröstliches zu haben. Charon, der Fährmann aus der griechischen Antike, der die Toten in den Hades bringt, sitzt in Birthe Blauths Video "The Ferryman" am Steuer eines Wagens. Er ist ein schweigsame Chauffeur, der seinen Fahrgast da sicher vom Licht ins Dunkel geleitet. Brigitta Maria Lankowitz zeigt einen Charon, dem nicht mehr zu trauen ist. In einer Art Röntgen-Bild öffnet sie das Innere eines Schleuser-Lkw. Silhouetten von Menschen kauern wartend in einem Transit ohne Hoffnung. Der Fährmann, dem diese Schatten anvertraut wurden, hat sich längst davongemacht. Für sie bleibt, so Lankowitz, nur die "Endstation Sehnsucht, Endstation Tod".

Die Gedok-Ausstellung "Der Tod und seine Geheimnisse" in der Pasinger Fabrik, August-Exter-Straße 1, läuft bis zum 3. April. Geöffnet täglich außer Montag von 16 bis 20 Uhr.

© SZ vom 27.02.2016 - Rechte am Artikel können Sie hier erwerben.
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