Kunst:Die Magie der Kopie

Lesezeit: 3 min

Maurin Dietrich gestaltet den Münchner Kunstverein um. Unter anderem mit einem Archivraum und einer Ausstellung der US-Künstlerin Pati Hill

Von Jürgen Moises

Es ist ein sehr heller, offener Raum, auf jeden Fall nicht das, was man sich dem Klischee nach unter einem staubigen Archiv vorstellt. Die Wände sind weiß, oder nahezu. Die Möbel sind weiß. Und genauso die Schnüre, die an der Wand geometrische Muster bilden. Julian Göthe hat sie dort angebracht, als Auseinandersetzung mit den Konventionen der Hängung von Kunstwerken. Auch den Rest des neuen, vergangene Woche eröffneten Archivraumes des Münchner Kunstvereins hat der Berliner Künstler im Auftrag von dessen Leiterin Maurin Dietrich gestaltet. Anlass ist der 200. Geburtstag der Institution, den es 2023 zu feiern gibt. Und wie es bei Jubiläen häufig ist: da blickt man gerne zurück.

Im neuen Archivraum des Kunstvereins, wo seit diesem Samstag parallel eine Ausstellung der US-Künstlerin Pati Hill läuft, kann man das nun in Form ausgesuchter Dokumente, Katalogen oder Briefen, tun. Bis ins Jahr 1969 reichen die in grauen Boxen oder auf den Tischen liegenden Archivalien zurück, alles aus der Zeit davor wird im Münchner Stadtarchiv verwahrt. Wer die Dokumente einsehen will, solle, so Maurin Dietrich, am besten vorher anfragen. Ansonsten sei der Ort, der unter dem vorherigen Leiter Chris Fitzpatrick ein Kino war, aber als offener Raum gedacht. Man soll darin arbeiten und recherchieren können. Außerdem sind dort Veranstaltungen, unter anderem für Kinder, geplant.

"Mir war es wichtig, dass aus einem abstrakten Archiv ein konkreter Ort wird", erzählt die Direktorin. So hofft sie auch auf die Mithilfe von Zeitzeugen, damit diese den Fakten ihr "persönliches Wissen" hinzufügen. Ebenfalls geplant ist ein Reader zur Vereinsgeschichte, der 2023 erscheinen soll. Dass das Archiv zum Thema wird, das gab es 2003 schon einmal, zum 180. Geburtstag. Da hatte Mabe Bethonico unter dem Titel "Telling Histories" eine Arbeit mit Archivmaterial gemacht. Zu sehen war das aber nur eineinhalb Monate. Dafür sei die Geschichte, so Dietrich, jedoch zu komplex. Deshalb habe sie den Archivraum schon jetzt, vor dem Jubiläum, eröffnet.

Die damalige Leiterin war übrigens Maria Lind, die erste Frau an der Spitze des Kunstvereins. Und Dietrich meint: Das war vielleicht kein Zufall. Dass es jedenfalls auch unrühmliche Kapitel in der Vereinsgeschichte gab, hat die im vergangene Juni angetretene Direktorin gelernt. Dazu gehört ganz klar die Zeit unter Hefrat Pixis in den 30er-Jahren, als die Kunstvereine gleichgeschaltet waren. Aber auch der "Provinzialismus" in den 60ern und 70ern, wo es Ausstellungen wie "Meine Lieblingssonntagsmaler" gab. Was sie persönlich aber am meisten interessiere, sei, was nicht im Kunstverein gezeigt wurde. Wo sind die Lücken, die "weiblichen Positionen"? Da gibt es noch Einiges aufzuarbeiten.

Das gilt auch für das Werk von Pati Hill, nur muss man dafür zur Arcadia University Art Gallery in Glenside, Pennsylvania, fahren. Dort im Archiv lagert der Nachlass der 1921 in Kentucky geborenen und 2014 im französischen Sens gestorbenen Künstlerin und Schriftstellerin, von der der Kunstverein mit "Something other and either" die erste institutionelle Einzelausstellung in Europa zeigt. Es ist eine Entdeckung und das war es auch für Dietrich, als sie sich im Archiv unter anderem 17 unveröffentlichten Romanmanuskripten und mehr als 20 000 Fotokopien gegenüber sah. Denn Hill war Fotokopierkünstlerin. Ihr Hauptinstrument war der IBM Copier II.

Mit diesem handelsüblichen Bürogerät kopierte Hill in den 1970ern erst Haushaltsgegenstände, am Schluss kopierte sie Versailles. Nicht das ganze, aber Gegenstände, die sie dort vorfand, oder Abriebe von Texturen. Ein Mammutwerk, an dem sie 15 Jahre arbeitete. Und das leider zu groß ist, um es im Kunstverein zu zeigen. Stattdessen gibt es kopierte Hosen, Handschuhe, Schnüre, Blumen, eine Bürste oder Gemüsereibe. Vieles ist zum ersten Mal zu sehen. Hinzu kommen Texte, Briefe, Beispiele für eine vor ihr entwickelte Symbolsprache, ein Cover der Elle mit Pati Hill, weil sie in jungen Jahren auch gemodelt hat. Romane liegen aus, mit denen sie in den 50ern reüssierte sowie spätere, selbst publizierte Bücher, in denen sie ihre Texte und Bilder zu kleinen Gesamtkunstwerken zusammenschnürte. In der Design- und Self-Publishing-Szene wird sie dafür heute noch verehrt.

Anders in der "traditionellen" Kunstszene. Hill hatte Galerieausstellungen in den USA und Frankreich. Das Centre Pompidou hat in den 80ern Werke in einer Gruppenausstellung gezeigt. Aber sonst machten die Museen einen Bogen um Pati Hill. Vielleicht, weil die Menschen es gewohnt sind, nur ein paar Cents für Fotokopien zu zahlen, wie die Künstlerin einmal humorvoll bemerkte. Maurin Dietrich hofft, dass sich das in den nächsten Jahren ändert.

Zum Kopieren gelangte Hill übrigens, als sie 1962 Mutter wurde. Nun ans Haus "gefesselt", begann sie Objekte und "Information Art", also Bildanleitungen, zu sammeln. Als das überhand nahm, begann sie mit Kopieren. Zunächst in Copyshops und einem IBM-Büro. 1977 lernte sie dann im Flugzeug den Designer Charles Eames kennen, der ihr für zweieinhalb Jahre einen eigenen IBM Copier II verschaffte. Ein Traum wurde war. Dass sie nicht die einzige Kopierkünstlerin war, merkte sie erst nach ein paar Jahren. Durch seine Konsequenz, Vielfalt und Originalität ragt ihr Werk aber dann doch ganz klar heraus.

Pati Hill. Something other than either , bis 3. Mai, Kunstverein München, Galeriestr. 4

© SZ vom 07.03.2020 - Rechte am Artikel können Sie hier erwerben.
Zur SZ-Startseite

Lesen Sie mehr zum Thema

Jetzt entdecken

Gutscheine: