Münchner Kammerspiele:Ein Lichtlein im Dunkel

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Katharina Bach liest im leeren Conviva und singt auch von Seelennöten. (Foto: Francesco Giordano)

Die Kammerspiele versuchen, Theater im Schaufenster zu machen - und Wiebke Puls stellt in einem Podcast das Ensemble vor

Von Egbert Tholl

Vor dem Auftritt. Muss man sich so vorstellen: Svetlana Belesova guckt von der Seite in den Zuschauerraum. Viel kann sie nicht sehen, die ersten Reihen vielleicht. Menschen suchen ihren Platz, setzen sich. Dann ertönt das Klingeln. Drei Mal. Draußen wird es dunkel, drinnen hell. Also auf der Bühne. "Mein Herz beginnt zu hämmern und zu hämmern. Wenn ich nicht aufgeregt wäre, wäre es angenehmer, aber nicht unbedingt besser. Es wäre angenehmer für mich selbst, aber dann hätte ich nicht die nötige Konzentration und die Energie, die es braucht."

Es gibt keinen Auftritt. Es gibt nur diesen Podcast, in dem Svetlana Belesova sehr schön erzählt, wie es wäre, wenn sie auftreten dürfte. Der Podcast heißt "AmA ohne Maske", man findet ihn auf der Homepage der Münchner Kammerspiele, Wiebke Puls hat ihn erfunden und produziert ihn selbst, sitzt jeden Tag in einem Studio und bastelt, mal wenige, mal viele Stunden, je nach Material. Jeden Tag kommt gerade immer eine neue Folge dazu, in der eine Kollegin oder ein Kollege von Puls ihre Fragen beantwortet. Die Fragen hört man nicht, man hört einen Monolog, manchmal fast eine Geschichte, über Träume, Anfänge, über diesen Beruf, den die Ensemblemitglieder der Kammerspiele gerade nicht öffentlich ausüben dürfen. Wiebke Puls macht hier das, was die neue Leitung der Kammerspiele bislang nicht geschafft hat: Sie stellt das Ensemble vor. Oder besser: Sie lässt dieses sich selbst vorstellen. "AmA" bedeutet "Alle mit Allem", es ist normalerweise nach Wochen des Probierens der erste Durchlauf, an dem alle Mitwirkenden einer Produktion beteiligt sind, auch alle Gewerke. Hier bedeutet es, dass alle von, wenn auch nicht allem, aber doch ziemlich vielem erzählen. Ohne Maske. Offen. Man lernt, was es heißt, diesen Schauspielerberuf auszuüben.

Ensemblemitglied Wiebke Puls, hier bei der Verabschiedung von Hans-Georg Küppers. (Foto: Florian Peljak)

Da man diesen eben gerade nur rudimentär ausüben kann, kamen die Kammerspiele auf die Idee des "Theaters to go". An drei Tagen, Mittwoch bis Freitag, von 18 bis 19 Uhr, machen Ensemblemitglieder irgendwas hinter den dicken Scheiben des Blauen Hauses und des Foyers der Therese-Giehse-Halle. Ein trotziges Häuflein Theaterjunkies steht da herum - größere, durch Corona-Auflagen verbotene Menschenansammlungen lassen sich, zumindest am Mittwoch, mit dem für dieses offerierten Angebot mühelos vermeiden.

Im Foyer der Therese-Giehse-Halle tanzt eine schöne Frau mit einem Mann und einem Baby Tango, aus dem geschlossenen Conviva-Lokal hört man die Stimme von Katharina Bach, sie liest vor und singt auch, begleitet sich an der akustischen Gitarre: "Ich lege dir meinen Sack voll Tränen um deinen zarten Hals." Ums Eck, dort wo es zum Werkraum hinaufginge, sitzen eine Wahrsagerin und ein Wahrsager, aber was die wahrsagen, hört man nicht, da gegenüber in einer Toreinfahrt Christian Löber Gitarre spielt und singt, und wenn ein Löber "Little Wing" vom Jimi Hendrix interpretiert inklusive aller dafür notwendigen Gitarrenverzerrungen, dann kann gegenüber wahrsagen wer will. Keine hellseherischen Fähigkeiten braucht man indessen, um zu konstatieren, dass man schon extrem auf Theaterunterzucker sein muss, um hier länger auszuharren.

Also schnell wieder nach Hause und den Ensemble-Podcast weiterhören. André Benndorff, so neu am Haus wie Belesova, erzählt von Nächten in Düsseldorf. Jede Nacht läuft er durch die Altstadt, mit seinem Freund Theo. Sie trinken Altbier, viel Altbier und lang, bis sechs in der Früh. Ist er nur mit Theo unterwegs, ist alles gut, richtig. Sind noch andere Leute dabei, verstummt er. Er spürt, dass irgendetwas in ihm wächst, raus muss. Doch er geht weiter durch die Nacht, bis er eines Morgens senkrecht im Bett sitzt und weiß: "Ich werde Theaterschauspieler!"

Nur: Wie wird man das? Dass sie sich genau diese Frage stellten, berichten im Podcast einige. Doch erst einmal ein Traum. Benndorf auf Mallorca. Er läuft einer Frau hinterher. Erreicht sie nicht. Sie läuft ihm davon. Vielleicht dann ein anderer Traum: Er möchte langweilig sein. Nur da sein. Benndorff spielt am Ende, wie alle im Podcast, seinen Lieblingssong vor. Und stellt sich selbst dazu allein auf der Bühne vor. "Where is My Mind?" von den Pixies.

Die Prophezeiungen der Wahrsager gehen leider zwischen Rückkopplungen verloren. (Foto: Francesco Giordano)

Die Podcasts offenbaren Eitelkeiten, Selbstdarstellungen, Pubertäres, enorm Kluges, poetisch Schönes, sie sind entlarvend und auch berührend. Oft reden sie von der Scham, die man auf der Bühne empfindet. Und von deren Überwindung. Erwin Aljukić erzählt, dass man als Schauspieler "sich in Referenzen begibt, in denen man Dinge erlebt, die man sonst nie erleben würde". Bernardo Arias Porras will einmal den Pumuckl spielen. Wurde ihm noch nie angeboten. "Das Leben ist wie von Zadek inszeniert, in dessen Glanzzeit. So richtig schlimm gut."

Wiebke Puls' Podcast läuft so lange, bis das Ensemble vollständig ist. Am Samstag, 28. 11., streamen die Kammerspiele um 20 Uhr die Online-Premiere von "The History of the Federal Republic of Germany as told by Fehler Kuti und Die Polizei".

© SZ vom 27.11.2020 - Rechte am Artikel können Sie hier erwerben.
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