Künstliche Intelligenz:Wenn der Algorithmus über Bewerber entscheidet

Retorio, Landwehrstraße 63, junges Unternehmen bietet eine Software für Kommunikationstraining an.

Christoph Hohenberger, Patrick Oehler und Johannes Klose (von links) von Retorio.

(Foto: Florian Peljak)

Das Unternehmen Retorio arbeitet an einer Software, die Firmen die Auswahl der richtigen Mitarbeiter erleichtern soll

Von Sabine Buchwald

Für den Jobsuchenden ist ein Bewerbungsgespräch selten angenehm. Man möchte fachkompetent wirken und dem Anforderungsprofil entsprechen. Überzeugend, redegewandt, offen und sympathisch, kurz: bestmöglichst geeignet für die ausgeschriebene Stelle. Und der Arbeitgeber? Der sucht den Richtigen oder die Richtige für sein Unternehmen. Der klassische Weg führt in der Regel über eine schriftliche Bewerbung des Arbeitssuchenden zu einem persönlichen Gespräch mit Vertretern des Unternehmens. Das kostet Zeit und ist für Personalchefs womöglich nicht immer zielführend auf der Suche nach der fähigsten Person, die gut in die Firma passt. "Der Mensch ist nicht objektiv", sagt Christoph Hohenberger. Das Aussehen, Alter, Geschlecht, die Kleidung - das alles spielt bei einem Bewerbungsgespräch eine Rolle, wenn auch unbewusst. Man könne auch nicht alles aus einem Lebenslauf herauslesen, sagt er und ist überzeugt, dass Künstliche Intelligenz (KI) helfen kann, die Persönlichkeit und die Eignung eines Bewerbers besser einzuschätzen.

Hohenberger ist promovierter Psychologe und einer der Mitgründer von Retorio. Zusammen mit dem Betriebswirt Patrick Oehler, dem Informatiker Abdurrahman Namli und Johannes Klose arbeitet er an einer Software für den deutschsprachigen Markt, die den Bewerbungsprozess abkürzen soll und das Verfahren womöglich objektiver macht. Die Idee ist folgende: Der Bewerber schickt über einen Onlinelink, den er zusammen mit der Stellenausschreibung bekommt, ein Video von sich. In dem kurzen Film erklärt er, was er kann, warum er sich bewirbt, und andere Punkte, die er auch in einem Anschreiben formulieren würde. Er hat die technische Möglichkeit, dieses Video ein bis zwei Mal vor der Kamera seines PCs probehalber aufzunehmen, bevor er die finale Version an die Firma übermittelt.

Dann folgt dort die Auswertung. Dazu kann der potenzielle Arbeitgeber eine Liste mit Kriterien anlegen, die die Software entsprechend für das Jobprofil auswertet. Theoretisch wäre sie für alle Berufe anzuwenden. Retorio aber ist am Anfang und bietet im Augenblick hauptsächlich Unterstützung bei der Rekrutierung von Vertriebsleuten. "Wir fokussieren uns auf die Softskills", sagt Hohenberger. Eigenschaften also, die wichtig für die Beratung von Kunden und den Verkauf von Ware oder Dienstleistungen sind. Gefragt sind Kommunikationsfähigkeit, Selbstbewusstsein und Teamgeist . Man könne die Persönlichkeit eines Menschen klassifizieren, sagt der Psychologe Hohenberger. Stimmlage, Deutlichkeit der Aussprache, Schnelligkeit, die Wortwahl, all das erzählt etwas über den Menschen. Wichtig sei beispielsweise, welche Pronomen der Bewerber verwendet und wie oft. Die Wahl von ich oder wir kann womöglich entscheiden, ob man den Bewerber als egozentrisch oder als Teamplayer einschätzt. Die gesprochenen Wörter werden transkribiert und von der KI analysiert. Die Auswertung basiert auf Erkenntnissen der Psychologie. Die Daten werden mithilfe von Algorithmen nach Mustern und Zusammenhängen ausgewertet.

Eine absolute Sicherheit bei der Auswahl eines Bewerbers gibt es natürlich nicht. Hohenberger sieht das Programm vor allem als Unterstützung für die Unternehmen. Deshalb bietet Retorio auch speziell konzipierte Programme an. Komplett neu ist das alles nicht. Auf dem anglofonen Markt bieten Hirevue und Hire IQ Ähnliches an.

Gegründet wurde Retorio Mitte vergangenen Jahres im Rahmen eines sogenannten Exist-Stipendiums mit Unterstützung der TU München. Für Gehälter und Sachmittel fördert das Bundesministerium für Wirtschaft und Energie (BMWi) das Team mit 130 000 Euro. Die Idee zur Firmengründung hatten Hohenberger und seine Kollegen noch während des Studiums am Lehrstuhl für Strategie und Organisation an der TU bei Isabell Welpe. Sie sind eines von jährlich etwa 70 Unternehmen, die aus der TU heraus gegründet werden.

Die Retorio-Männer arbeiten schon an der nächsten Idee, die wahrscheinlich ein breiteres Publikum ansprechen wird. In fünf bis sechs Wochen wollen sie eine App für Smartphones auf den Markt bringen, mit der man seine Wirkung als Sprecher ausloten kann. Die Analysen einiger Übungsvideos sollen kostenfrei sein, bevor dann ein Beitrag erhoben wird.

"Wenn die Leute üben, sind sie wahrscheinlich bereiter, sich online zu bewerben", hofft Hohenberger. Die App könnte aber auch Schüler oder Studenten interessieren, um ihr Auftreten vor einem Vortrag zu testen. Bleibt die Frage, wo all diese Videos landen? Hohenberger schweigt kurz und sagt dann: "Erst mal auf unserem Server." Man garantiere aber, dass sie selbstverständlich nicht an Dritte verkauft oder eine Zuordnung der Kandidaten möglich sei.

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