Kostprobe:Gediegener Standard

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In unmittelbarer Nähe des Bahnhofs präsentiert sich der Rechthaler Hof als Wirtshaus mit ausgeprägt bodenständigem Anspruch. Das Lokal empfängt seine Gäste mit einer wichtigen Tugend - mit Redlichkeit

Von Carolus Hecht

Am Bahnhof - das ist üblicherweise kein guter Leumund für ein Etablissement. In fast allen Großstädten Deutschlands gilt dieses Areal als schillernd, halbseiden, obskur. Schlüpfriges wird assoziiert, schummrige Ecken und Existenzen auf der Seite der Gesellschaft, die der Sittlichkeit abgewandt ist. Sozialwissenschaftler könnten ganze Dissertationen darüber verfassen, woher die verruchte Fama stammt, die nur noch selten hält, was sie verspricht.

Dennoch verblüfft es, wenn sich in unmittelbarer Nähe des Hauptbahnhofs ein Wirtshaus ausgeprägt bodenständigen Anspruchs findet. Der Rechthaler Hof gegenüber dem Starnberger Flügelbahnhof mit seinen König-Ludwig-Huldigungen und den deftigen Trinksprüchen an der Wand, mit dem Volkstums-Chichi und den lederbehosten beziehungsweise bedirndelten Bedienungen und dem leider unentwegten Bavaro-Dschingderassa aus den Lautsprechern, schwelgt zwar in den Klischees, die landläufig bayerische Gemütlichkeit vorstellen sollen. Dies aber keineswegs über das erträgliche Maß hinaus. Dafür ein erstaunliches Detail, das einem Hause, in dem sich, mit der Bahn angereist, schon mal Publikum von sehr weit her bis Übersee mit einem gediegenen Kern von Stammgästen mischt: Die Bedienungen sprechen zumeist mehrere Fremdsprachen immerhin in einer Fertigkeit, die nicht, wie sonst oft üblich, einen der derberen deutschen Dialekte wie Sächsisch oder Bayerisch als Firewall zwischen den Hungrigen und seine Labung legt. Das Haus, von der Ayinger Bier- und Wiesndynastie Inselkammer betrieben, ist sich also seiner exponierten Lage wohl bewusst.

Es wäre natürlich ganz wunderbar, würde dem Gast aus der Ferne als erste Atzung Allerbestes aus der Münchner Traditionsküche geboten. Wird es nicht. Aber auch nicht das Schlechteste. Dass man am Bahnhof nichts geschenkt bekommt ist klar. Aber hier hat man sich zu einem gediegenen Durchschnitt bestimmter Standards entschieden, die auch in der Zubereitung von gediegenem Standard sind. Dass bei der Breznsuppen altgewordenes Traditionsbackwerk als Leitmotiv fungiert, kann einem, aus China kommend, egal sein. Die Kürbissuppe würzig und sämig genug, die Gulaschsuppe so undefiniert wie überall in München. Die Rahmschwammerl mit gleich zwei Semmelknödeln sättigen in angemessener Cremigkeit, und der "Waldgeist", diese so seltsam benannte Salatvariation mit dreierlei Schwammerln, gerösteten Kernen und frischen Kräutern, wartet sogar mit einiger Originalität auf. Dass man allerdings das vorgeblich steirische Backhendl als "Salat" ausgibt? Den repräsentiert nur ein leicht zu saurer Kartoffelgurkensalat. Und dass ein echtes steirisches Backhendl, hier zu beherzt, fast schwarz gebacken, noch an den Knochen zu sein hat, sollte sich auch in die Münchner Küche herumgesprochen haben, der man Feinheiten wie mit oder ohne Haut gar nicht abverlangen mag.

Diesem Kartoffelsalat sind wir beim respektabel gebackenen Seelachs wiederbegegnet. Münchner Metzger und Köche werden wohl nie begreifen, was der Tafelspitz wirklich für ein Stück vom Rind ist. Gleichwohl mundete uns das als solcher ausgegebene Stück so mürbe, wie es sein muss. Die Meerrettichsoße dazu geriet, wiewohl schmackhaft, viel zu dick. Der Ochsenfetzen mit der "rassigen" Pfeffersoße fand erheblichen Anklang. Und der Schweinsbraten, gleichsam das Münchner Nationalgericht, konnte sich mit seiner knusprigen Schwarte sehr wohl damit messen, was guter Durchschnitt ist in dieser Stadt. Als bemerkenswerte Ausnahme vom Üblichen genossen wir den Münchner Sauerbraten, dem ein offenbar längeres Würzbad die Morbidezza und den säuerlichen Hauch verliehen hatte, die einen Sauerbraten auszeichnet. Hinterdrein eine erstaunlich leichte Schokomousse mit Beerensoße, wogegen die gebackenen Apfelkücherl viel zu dick geschnitten waren, als dass sie innerwärts hätten gar werden können. Preislich bewegt sich das alles im oberen Durchschnitt, Suppen bis 6,90, Salate bis 12,90, Hauptgerichte bis 18,90. Von 11.30 bis 14 Uhr gibt's preiswertere Mittagsmenüs.

Dass in einem Hause, dessen Häuptlinge die Ayinger Brauerei betreiben, auf die Pflege des Bieres (die Halbe immer mehr als 4 Euro) geachtet wird, darf man voraussetzen. Aber auch für ein Bierwirtshaus ist schlicht schandbar, was in der Rubrik "Wein auf Bier, das rat ich Dir" dem Gast zugemutet wird: Alle vier offenen Weine, zwei Weiße, zwei Rote, sind von derart grundschaurigem Zuschnitt, dass man den Wirtsleuten raten muss, sich endlich einmal umzutun, was in der Weinwelt so geschehen ist in den vergangenen 30 Jahren. Von Letzterem abgesehen empfängt München alles in allem seine Gäste am Bahnhof gleichwohl mit einer wichtigen Tugend: mit Redlichkeit. Man geht, man kommt - in München ist der Rechthaler Hof als erstes Willkommen oder letzter Gruß nicht der übelste Ort.

© SZ vom 21.12.2017 - Rechte am Artikel können Sie hier erwerben.
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