Kommentar:Pietät auf beiden Seiten

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Der Streit um die Nutzung des Alten Nordfriedhofs offenbart das Dilemma zwischen den Bedürfnissen der Lebenden und den Rechten der Toten

Von Thomas Kronewiter

Ein Blick auf den Stadtplan offenbart das Dilemma: Da gibt es weitab vom Englischen Garten zwischen dem kleinen Leopoldpark und dem wenig größeren Maßmannpark eben nur den Alten Nördlichen Friedhof als wichtige Grün- und Naherholungszone - in einem Innenstadt-Quartier, das Tausende Bewohner zählt. Ja, dieser grüne Flecken mit seiner ganz besonderen Atmosphäre unter alten Bäumen und bemoosten Grabsteinen wird dringend gebraucht, um dort zu sitzen, Sonne zu tanken, auch um zu spielen. Nicht nur Senioren dürfen sich dort wohlfühlen, auch für junge Leute und Kinder muss Platz sein auf dem Alten Nordfriedhof. Wenn deshalb die Allerjüngsten sich in Zeichnungen Luft machen, Angst äußern und sich ausgeschlossen fühlen ("Meno!"), ist erkennbar etwas schiefgelaufen.

Das Dilemma bei der Nutzung des Alten Nordfriedhofs besteht indes auch auf einer anderen Ebene. Denn an der Arcis- und Adalbertstraße befindet sich kein x-beliebiger Park mit Schaukel und Sandkasten, Ruhebank und Mülltonne. Dort liegen Menschen begraben, wenn auch aus lange vergangener Zeit. Dort stehen alte Grabsteine, auf denen schon aus Sicherheitsgründen nicht herumgeturnt werden sollte, dorthin kommen Besucher, für die der Ort eine besondere (Trauer-)Bedeutung hat. Dort ist die Pietät zu wahren. Dies kann man ungeachtet aller spielerischen Aktivitäten auch kleinen Kindern beibringen. Nicht indem man sie ausschließt, sondern indem man sie behutsam mit der Besonderheit des Platzes vertraut macht.

Pietät, man könnte es auch übersetzen mit "taktvoller Rücksichtnahme", wäre angesichts der erkennbar sensiblen Örtlichkeit auch beim Umgang von patrouillierenden Sicherheitsstreifen mit den Besuchern von Anfang an angezeigt gewesen. Wenn denn schon die Betreffenden diese Sensibilität nicht von selbst aufgebracht haben, hätte man diese von den Mitarbeitern der städtischen Friedhöfe als den Auftraggebern schon erwarten dürfen. Dass diese nun, ohne erst Ausflüchte zu machen, den Fehler erkannt haben und umgehend Besserung geloben, macht Hoffnung, dass man in der nördlichen Maxvorstadt wieder zu einem gedeihlichen Miteinander zurückfinden kann.

© SZ vom 09.05.2019 - Rechte am Artikel können Sie hier erwerben.
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