Münchner Momente:Kaffee wie bei Odysseus

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Hat die Menschheit seit der Antike gar nichts dazugelernt? Über den langen Weg einer italienischen Espresso-Maschine nach München.

Glosse von Stefan Simon

Die Wege des Herrn sind unergründlich, heißt es. Leider hat er damit einen Trend gesetzt. Irrungen, Wirrungen, wohin man blickt. Die einen fahren hinter dem Rathaus mit dem Auto die Treppe zur U- und S-Bahn hinunter, andere verrennen sich eher im Geiste. Beides kann vorkommen, wenn man auf falsche Ratschläge hört. Aber um beides soll es hier nicht gehen. Auf dem Stundenplan stehen heute die klassischen Mythen: Wir horchen allein dem Gerücht und wissen durchaus nichts. Es mehrt unendliche Trauer das Elend. Denn im Unglück altern die armen Sterblichen frühe. Klingt nach Corona, ist aber Homer. Ilias und Odyssee, welch Weitblick.

Zehn Jahre brauchte der arme Odysseus nach Hause, als er nach dem Trojanischen Krieg endlich Feierabend machen durfte. Zehn Jahre für die gut 500 Kilometer nach Ithaka. Eine Strecke, die vergleichbar ist mit der schnellsten Verbindung von Venetien nach München, und man kann sagen, dass die Menschheit seit der Antike nicht viel dazugelernt hat.

Alles begann mit der Bestellung einer Espresso-Maschine. Der alte, ja wirklich alte Automat hatte den Geist aufgegeben, genau am Tag nach der Booster-Impfung, eine Nebenwirkung, vor der im Aufklärungsbogen nicht gewarnt worden war. Die Entscheidung für ein neues Gerät war schnell getroffen und nach kurzer Recherche stand fest: Den günstigsten Preis machte der Hersteller. Dann kam der spannende Teil, die Lieferung.

Was soll man sagen: Odysseus stammt mütterlicherseits von Hermes ab, und die Siebträgermaschine kam mit FedEx. Ein Zufall? Der Weg von Norditalien nach München dauerte zehn Tage, nicht zehn Jahre, immerhin. Aber bei jedem neuen Blick auf das Tracking wuchsen die Zweifel: Mignagola, Venedig, Mailand, Frankfurt, Paris, Köln, Freising, Garching, Haustür - und dort las man dann auf dem Karton, die italienische macchina sei in China hergestellt worden. Was für eine Irrfahrt!

Ehe nun aber der caffè allzu bitter schmeckt: Odysseus soll prophezeit worden sein, dass er vom herunterfallenden Kot eines Reihers am Kopf getroffen und danach sterben werde. Ob es so kam? Es gibt auch Quellen, nach denen er von Athene in ein Pferd verwandelt worden sein soll. Andere Schriftsteller widersprechen, Odysseus sei in Wahrheit nach Italien ausgewandert. Wahrscheinlich leitet er dort bis heute ein Logistik-Unternehmen.

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