Kocherlball 2009:Tanz im Morgengrauen

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Musik und Tanz am frühen Morgen: Der Kocherlball bringt zu nachtschlafender Zeit Gegensätzlichkeiten zusammen.

Angelika Irgens-Defregger

Der Münchner geht in der Regel nicht spazieren, er geht nur zielstrebig ins Wirtshaus, so der Grundtenor einer historischen Quelle des 19. Jahrhunderts, die das gängige Klischee vom Bier seligen Bayern bedient.

Traditionelles Tanzvergnügen unter freiem Himmel: der Kocherlball. (Foto: Foto: SZ (Archiv))

Einmal im Jahr wird dazu auch richtig bayerisch getanzt und die Musik spielt auf: "Oans, zwoa, g'tanzt", heißt es auch heuer wieder, wenn in der frühen Dämmerung des Morgens auf dem Münchner Kocherlball im noch taufrischen Englischen Garten zu bayerischer Volksmusik getanzt, gesungen und natürlich auch viele Maß Bier konsumiert werden, die bereits um vier Uhr früh ausgeschenkt wird.

Von 6 bis 10 Uhr schwingt man dann das Tanzbein zu den Klängen einer Livemusikkapelle. Mehr oder weniger gekonnt wiegt man sich, hüpft oder galoppiert im Rhythmus zu Landler, Dreher, Walzer, Polka, Zwiefacher, Boarischen und Münchner Francaise. Gastgeber sind die Wirtsleute Anneliese und Hermann Haberl sowie das Kulturreferat der Stadt München.

Das sommerliche Mega-Outdoor-Ereignis, bei dem sich ganz nach bayerischer Lebensart kongenial Leibesgenuss mit Geselligkeit, Heimatgeist und Brauchtum verquicken, ist längst kein Geheimtipp mehr. Das alljährlich traditionell am dritten Sonntag im Juli stattfindende Tanzvergnügen am Chinesischen Turm zieht nicht nur eingefleischte Münchner Volkstanzbegeisterte in Scharen an. Selbst aus der näheren Umgebung und aus dem Ausland reisen die Besucher an, um einem Ereignis beizuwohnen, das hohe Wertschätzung erfährt und so erfolgreich ist, dass es sogar schon Nachahmung gefunden hat. Zum Beispiel im niederbayerischen Dellnhausen sowie in der Waldwirtschaft Großhesselohe, wo der Eventkultur im Heimatkolorit bayerischen Brauchtums eine Woche vor dem Kocherlball gefrönt wird.

Entstanden ist der Kocherlball bereits um 1880. Bei schönem Wetter kamen in den letzten Jahrzehnten des vorvorigen Jahrhunderts zwischen 5 und 8 Uhr morgens an die 5.000 Leute zusammen. Der Ball begann so früh, weil seine Teilnehmer anschließend ihren Dienst bei den Herrschaften antreten mussten. Es waren vornehmlich Dienstboten, Hausdiener, beurlaubte Soldaten, Laufburschen, Köche und Köchinnen, Zimmermädchen, Zofen und Kindermädchen, denen die Blasmusik zum Tanz aufspielte. Daher kommt der Name Kocherlball, etwas uncharmant auch "Dotschenball" apostrophiert. Am Sonntagnachmittag tanzte dann die etwas elegantere bürgerliche Gesellschaft Münchens.

Aus "Mangel an Sittlichkeit" und aufgrund zunehmender "Ausschweifungen" wurde der Open-Air-Ball Anfang des 20. Jahrhunderts verboten. Seine Renaissance erfuhr der Kocherlball am 16. Juli 1989. Im Rahmen der Feierlichkeiten zum zweihundersten Geburtstag des Englischen Gartens hat das Kulturreferat der Landeshauptstadt diese Münchner Rarität, die am Ende des 19. Jahrhunderts ihresgleichen suchte, wieder aufleben lassen. Seitdem findet das Tanzereignis einmal jährlich am dritten Sonntag im Juli statt, bei starkem Regen eine Woche später.

In der zweiten Dekade seiner modernen Ausgabe lockt das Event bis zu 15.000 Besucher an. Und die Tendenz ist steigend. Als Hommage an die früheren Zeiten tragen viele der Anwesenden historische Trachten - vorwiegend das ältere Publikum. Die Jungen ziehen dagegen ihre feschen Dirndl und zünftigen Lederhosen an, mit denen sie zwei Monate später auf dem Oktoberfest Staat machen werden.

Monate im Voraus werden die bewirteten Tische reserviert. Die guten Plätze im Biergartenbereich werden bereits um vier Uhr belegt; manche kommen auch schon am Vorabend und feiern die Nacht durch.

Wer auf dem Tanzboden eine gute Figur machen will, besucht die im Vorfeld stattfindenden Tanzkurse. "Auseinander und wieder zam", ruft da Tanzleiter Magnus Kaindl in die Runde der Volkstanzbegeisterten, die im stilvollen Ambiente des Erkerzimmers im zweiten Stock des Bayerischen Hofbräuhauses eingefunden haben. Wie bereits im vergangenen Jahr hat das Kulturreferat kostenlose Vorbereitungskurse zur Einstimmung auf den Kocherlball veranstaltet.

"Bitte aufstellen zur Münchner Frasä", dirigiert anschließend Katharina Mayer die zahlreichen Teilnehmer ihres Fortgeschrittenenkurs. Die Tanzvorbereitung wie der Kocherlball selbst erfreuen sich immer größerer Beliebtheit auch unter den jüngeren Teilnehmern. Und immer mehr zeigen beim altmodischen Volkstanz souverän ihre Trittsicherheit.

"50 Prozent der Besucher sind unter 30 Jahre", meint Eva Becher vom Münchner Kulturreferat und zuständig für Volkskultur. Keine andere Fete bringt am heiligen Sonntag zu nachtschlafender Zeit mehr Gegensätzlichkeiten zusammen: Eine Freiluft-Massenveranstaltung, die teils karnevaleske Züge hat und vom modischen Szenevolk bis zum Münchner Original alle vereint. In diesem Jahr spielt die Wiener Gruppe "Die Tanzgeiger" unter der Leitung von Tanzmeisterin Katharina Mayer und Heini Zapf.

Die sieben Profi-Musiker aus Österreich, gelten als großes Vorbild für die traditionelle Volkmusik. Mit ihrem Humor und Wortwitz gelingt es ihnen vor allem auch die jüngere Generation für die Volksmusik zu begeistern.

Zu Ende ist der Ball, der heuer auf den 19. Juli fällt und bei schlechtem Wetter auf den 26. Juli verschoben wird, offiziell um 10 Uhr. Erfahrungsgemäß löst sich dann nur ganz allmählich die Fan- und Ballgemeinde auf und spaziert auf den geschwungenen Pfaden des Landschaftsgarten nach Haus mit dem festen Vorsatz auch im nächsten Jahr wieder dabei zu sein.

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