Traurig ist es schon, aber Tränen will hier keiner vergießen. Zu einem Viertel, das gerade deshalb so charmant ist, weil es so spröde ist, passt Pragmatismus nun einmal besser als Larmoyanz oder Sentimentalität. Mit den Hausbesitzern sei von Anfang an abgemacht gewesen, dass es sich "um ein temporäres Projekt handelt", sagt also Tuncay Acar, einer der Betreiber des Import-Export in der Goethestraße. Dass der befristete Mietvertrag über einen Zeitraum von fast drei Jahren immer wieder verlängert worden sei, habe man fast "seltsam" gefunden, aber man habe aus Freude an dem Projekt und der Besucher wegen weitergemacht.
Auch für Norbert Abels, den Wirt des benachbarten Gap, kommt es wenig überraschend, dass sein Lokal wohl bald schließen muss. Er sagt dennoch: "Ich hänge an diesem Ort." Ein bisschen Wehmut ist ja auch angemessen wenn die schönste hässliche Ecke dieses Viertels zu bröckeln, ein traditionsreiches Provisorium zu verschwinden droht. Zumal das Gap laut seinen Schöpfern eine "Hafenkneipe" ist, wohl Münchens einzige - und was passte besser zusammen als Hafen und Wehmut?
Seit Jahren droht den Häusern der Goethestraße 30 bis 34 der Abriss. Jetzt scheint es so weit zu sein. Die Investoren, die die drei Grundstücke vor einigen Jahren von den Alteigentümern übernommen haben, planen ein neues Geschäftshaus mit Büros, Supermarkt, weiteren Läden, Gastronomie und Tiefgarage. 8000 Quadratmeter auf fünf Geschossen. Immerhin wird es nicht das 37. Hotel in Bahnhofsnähe werden, wie es eine Zeitlang im Raum stand.
Maroder Anachronismus
Die Gebäude 30 und 32, ursprünglich Wohnhäuser mit Geschäften im Erdgeschoss, wo derzeit nur noch das Import-Export als Kneipe/Bühne/Club untergebracht ist, sind marode und sollen abgerissen werden. Dasselbe gilt für den Flachbau aus Nachkriegsschutt auf dem Grundstück Goethestraße 34, der die Lücke in der Häuserzeile nur notdürftig füllt, aber dem darin untergebrachten Gap seinen Namen gibt - und auf dem teuren innerstädtischen Boden längst ein Anachronismus ist.
Der Hafenkneipe Gap, die eigentlich in Hamburg, wenigstens aber in Berlin stehen müsste, war in den gut 15 Jahren ihres Bestehens das Ende stets mit eingeschrieben. Noch offen ist, was aus dem Rückgebäude auf dem Grundstück wird. Dort hatten jahrelang Künstler ihre Ateliers, einige Vereine und Firmen ihre Büros. Das Gebäude gilt wegen seiner Stahlbeton-Skelettbauweise als Industriedenkmal und soll den Investoren zufolge erhalten werden.
Proteste gegen die Luxussanierung
Projektentwickler ist die Redag Real Estate Development AG, die im Auftrag der Kanzlei Braun/Leberfinger/Ludwig/Weidinger Pläne für das Areal erarbeitet hat. Der Eigentümerwechsel war bereits vor drei Jahren, wegen der Marktlage wollte man abwarten. Personell und wirtschaftlich verflochten sind Redag und Kanzlei mit weiteren Immobilienfirmen und auch der Sternenstaub Fund GmbH, die in Zusammenhang mit einem Neubauprojekt in der Türkenstraße 52-54 vor einigen Jahren für Negativ-Schlagzeilen gesorgt hatte. Eine Luxussanierung und der drohende Abriss eines ursprünglich denkmalgeschützten Hauses hatten damals Proteste unter den Anwohnern ausgelöst.
Redag-Vorstand Bert Hippmann betont, dass der Denkmalschutz in der Goethestraße 34 erhalten werden solle, dass beim Ostflügel aber wegen struktureller Schäden noch nicht klar sei, ob das möglich sei. Hier stehe auch der Denkmalschutz zur Disposition. Der Westflügel des "schönen Gebäudes" soll auf jeden Fall bleiben. Mehr will Hippmann, solange der Bauantrag nicht durch ist, dazu nicht sagen. Er sagt aber, dass man als Mitglied im Verein Südliches Bahnhofsviertel bemüht sei, dass der Neubau "eine sehr ordentliche Sache" wird.
Fritz Wickenhäuser, Vorstand des Vereins, der sich für die Entwicklung des Quartiers einsetzt, begrüßt, dass der Bauherr Interesse am Standort habe und eine langfristige Nutzung plane. Hier seien keine gesichtslosen Investoren am Werk. Man müsse das Ergebnis abwarten, aber immerhin hätten die Investoren hätten Wünsche nicht gleich abgeblockt.
Die bestehenden Gebäude seien teils "komplett abgewirtschaftet. Ich bin froh, wenn dort wieder nutzbare Gewerbe- oder Wohnflächen entstehen", sagt Wickenhäuser. Ideal fände er es, den kulturellen Nutzungen eine Perspektive zu bieten. Auch Hippmann ist nach eigener Aussage daran gelegen. Man habe einige Mietinteressenten, die das Viertel bereichern könnten. Auch eine Fortführung des Import-Export und des Gap könnte sich Hippmann grundsätzlich vorstellen.
Zusehen, wie ein Projekt ausgeblutet wird
Gap-Wirt Abels, der auch Architekt ist, weiß aber nicht recht, ob er sich das auch vorstellen kann. Es müsse schon eine "interessante Konstellation" geben, "die auch inhaltlich stimmen muss". Und diese müsse auf demselben Grundstück ergeben, mit Bezug zum Rückgebäude, das mit den dort ansässigen Künstlern stets "Impulsgeber" für das Gap als Treffpunkt und Ausstellungsfläche war.
Er ist stolz auf den "kulturellen Brennpunkt", den er und andere Kreative hier über die Jahre haben entstehen lassen. "Es ist bitter, wenn man zusehen muss, wie ein Projekt ausgeblutet wird." Immerhin hätte die Stadt vor einigen Jahren die Gelegenheit gehabt, das Areal gemeinsam mit der Initiative zu erwerben. Seine Kneipe und sein Konzept an einen anderen Ort zu verlegen, ist für ihn grundsätzlich auch denkbar. "Aber es ist schwierig, in der Stadt etwas Vergleichbares zu finden." Er warnt vor einem "Geschichts- und Gesichtsverlust" für die Stadt.
Auch Ursula Ammermann vom Quartiersmanagement plädiert dafür, dass das "Milieu, das das Bahnhofsviertel prägt, erhalten bleibt". Ihr wären Wohnflächen wichtig, eine Fortführung des kulturellen Angebots und eine kleinteilige Struktur der Nutzung, wie in der Umgebung auch.
Auch das Import-Export hat inzwischen im Viertel Wurzel geschlagen, das Team möchte weitermachen - und zwar mit einem neuen Gebäude in der Umgebung, das gemeinschaftlich für eine kulturelle Nutzung erworben werden soll. "Uns war immer schon klar, dass es nicht nur um diesen Raum an sich geht, sondern um das große Ganze. Um einen Platz in der Stadt, an dem der Mensch und die Kultur im Vordergrund steht und nicht nur als Nebenprodukt der wirtschaftlichen Wertschöpfung existiert", sagt Mit-Betreiber Acar. Dem alten Standort trauert er aber nicht allzu sehr nach.
Es geistern also Ideen und Pläne genug durch das Viertel, auch wenn sie noch recht vage sind. Für die Goethestraße 30 bis 34 gilt: Wann es wie weitergeht, ist offen. Das Gap hat einen neuen Mietvertrag, der monatlich kündbar ist. Hippmann weiß nicht, ob er von dieser Möglichkeit in drei, sechs, oder zwölf Monaten Gebrauch machen wird. Abels bedauert das drohende Ende, bezeichnet sich selbst aber als "nicht so sozialromantisch", um sich an Gewesenem festzuklammern. "Wenn etwas Besseres nachkommt, bin ich um Gottes willen nicht dagegen, aber das ist immer die Frage."