Kickboxen:Um Kopf und Kragen

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Ist die Geschichte nun heroisch oder einfach nur wahnsinnig? Das Publikum bei Steko’s Fight Night im Circus Krone tendiert klar zu Ersterem, jede Attacke des Deutschen wird frenetisch bejubelt. (Foto: Halil Tosun/OH)

Pascal Schroth findet nach einem Genickbruch erst seine Mitte und dann den Weg zurück in seinen Sport. Jetzt ist "The German" Weltmeister in seiner Gewichtsklasse.

Von Thomas Hürner, München

Wer sich selbst als lebensmüde bezeichnet, der zelebriert seine Rückkehr schon mal in einem demonstrativen Akt der Unvernunft. Ein drahtiger Kämpfer betritt den Ring im Circus Krone, er trägt eine weiße Maske im Gesicht und über seinen Schultern eine Deutschlandflagge, mit seiner rechten Hand streckt er ein medizinisches Genickgestell wie eine Trophäe empor. Es ist der Tag der deutschen Einheit, der Kickboxer trägt den Beinamen "The German" und heißt im echten Leben Pascal Schroth. Wobei: Was ist eigentlich das echte Leben für einen, der sich vor einem Jahr bei einem Kampf das Genick brach, nur knapp dem Tod oder einer Lähmung entging und jetzt einfach weitermacht, obwohl er demnächst mit seiner Freundin ein Kind erwartet?

Schroth, 26, jedenfalls schmettert die Genickstütze auf den Ringboden, nimmt die Maske ab. Als der Gong ertönt, stürzt er sich auf seinen Gegner wie ein Piranha auf seine Beute, dem der Hungertod droht. Es geht aber nur um den Weltmeistertitel in der Klasse bis 72,5 Kilogramm, der aktuelle Champion Mariyan Asenov aus Spanien ist sofort einem Hagel aus Schlägen und Tritten ausgesetzt, die Faust, das Knie, von unten und von oben. Schroth kämpft mit Wut im Bauch, das ist offensichtlich, und er hat ja auch allen Grund wütend zu sein. Der Bremerhavener kaufte sich 2015 ein One-Way-Ticket nach Thailand, im Gepäck hatte er nicht mehr als 300 Euro und die Gewissheit, dass er sein Sportökonomie-Studium nicht zu Ende machen will. Er wollte lieber seinen Stil und seine Technik verfeinern, durch die harte Schule der asiatischen Kampfkunst gehen. Das klappte auch ziemlich gut, "The German" machte sich einen Namen, er gewann Kampf um Kampf, auch gegen den dort prominenten Chinesen Qinghao Meng.

"Klar, das kann man schon lebensmüde nennen." Demnächst wird Schroth Vater

Der Lokalmatador forderte Schroth zum Rückmatch auf, nach ein paar Sekunden landete der Deutsche brachial mit dem Kopf auf dem Boden, Meng hatte offenbar einen im Kickboxen unerlaubten Griff angewandt. Nur der Lidschlag seiner Augen funktionierte in den Minuten, in denen er in seinem Krankenhausbett an die Decke starrte und auf eine Erklärung der Ärzte wartete. Der fünfte Halswirbel war doppelt gebrochen, sein Glück war lediglich, dass keine Nervenbahnen verletzt wurden. Ein Versehen seines Kontrahenten? Daran wollte Schroth nicht so recht glauben, sein Hals jedenfalls steckte fest in einem Stützkorsett und sein Kopf war gefangen in einem negativen Gedankenkarussell, aus dem erst mal kein Entrinnen war. Einen Identitätsverlust habe er erlitten, sagt Schroth heute, und ohne Kämpfe hat ein Kickboxer eben auch keine Einnahmen. Vom Promoter gab's etwas Schmerzensgeld, aber das reichte nicht. Die finanziellen Probleme wurden bald so groß, dass er auf Spenden von Kämpferkollegen aus der Heimat angewiesen war. Schroth ging ins Kloster, wo er zum buddhistischen Mönch wurde, er fand seinen inneren Frieden und dadurch zu neuer Stärke. So erzählt er es.

Ist diese Geschichte nun heroisch oder einfach nur wahnsinnig? Das Publikum bei Steko's Fight Night tendiert klar zu Ersterem, jede Attacke des Deutschen wird frenetisch bejubelt, egal ob von den jungen Männern mit Lederjacke und Kantenschnitt oder den etwas betagteren in Sakko und Schlangenlederstiefeln. Ähnlich laut wird es höchstens bei der modelnden Kickbox-Weltmeisterin Marie Lang, die später ihren Titel in der Klasse bis 62,5 Kilo gegen eine ziemlich überforderte Libanesin verteidigen wird. Schroth schlägt also ein auf seinen Kontrahenten und diesen mit einem Fußtritt schon in der ersten Runde zu Boden. Der Ringrichter beginnt zu zählen, der Spanier Asenov taumelt zurück in den Kampf und wirkt durchaus froh, als er den Gong hört und sich in seiner roten Ecke erholen darf. Vor dem Beginn der zweiten Runde gibt es eine kurze Umarmung, Schroth lächelt, er treibt den Gegner vor sich her, es gibt einen doppelten Fußtritt, diesmal steht Asenov nicht mehr auf. Kampf vorbei, Knock-Out. Schroth tauscht also Genickgestell gegen Weltmeistergürtel, mit Tränen in den Augen spricht er ins Ringmikro, es geht um Dankbarkeit, sein gelungenes Comeback auf deutschem Boden und die Hoffnung, andere Menschen mit seiner Geschichte inspirieren zu können.

Eine Viertelstunde später sitzt der neue Champion in der Umkleidekabine, umringt von Gönnern und Freunden in schwarz-orangener Einheitskleidung. Einen Zweifel an diesem Sieg habe er nicht gehabt, sagt Schroth. Aber wie ist diese Rückkehr jetzt eigentlich abseits des Sports zu bewerten? Klar, das kann man schon lebensmüde nennen, sagt Schroth. Aber: "Die Leute, die das sagen, die haben ihr Element und ihre innere Mitte vielleicht noch nicht gefunden."

© SZ vom 05.10.2019 - Rechte am Artikel können Sie hier erwerben.
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