Der vielfach befeuerte Aufschwung des Jugendstils hat München dann eine solche Blüte an geschwungenen Formen und gekräuselten Mustern beschert, dass Mollenhauer keine Mühe hat, den zweiten und besonders schönen Teil seines Buchs zu bestücken: eine Art Rundgang durch die Stadt auf den Spuren der Kunstrichtung, die sich die organischen Gebilde der Natur zum Vorbild nahm.
Da ist in der Maximilianstraße das von Max Littmann gebaute Gesamtkunstwerk Kammerspiele als "Jugendstil-Juwel allererster Güte" - bei dessen hellrotem Zuschauerraum auch die ganz pragmatische Überlegung hineinspielte, die Farbe lasse den Saal selbst "bei schwachem Besuche nie leer erscheinen".
Vor allem die Schwabinger Friedrichstraße und das umliegende Gebiet empfiehlt der Autor als "Jugendstil in Opulenz" mit einer kaum zu überblickenden Fülle an Details. Kunstvolle Erker, geschmiedete Toreinfahrten, die üppigen Goldornamente an einer der bekanntesten Jugendstiladressen Münchens in der Ainmillerstraße: Am besten, man macht sich mit Mollenhauers Buch in der Hand auf den Weg.
Dann lassen sich auch die Sünden nach dem Zweiten Weltkrieg am eindrucksvollsten nachvollziehen, die nicht wiederhergestellten Gebäude aus der Zeit um die Jahrhundertwende, an deren Stelle schmucklose Fassaden traten. Über seine Tour-Vorschläge hinaus animiert Mollenhauer die Leser indirekt dazu, auch selbst auf Art-Nouveau-Entdeckung zu gehen - durch seinen Zusatz "alle Angaben ohne Anspruch auf Vollständigkeit".
Das Skandal-Haus
Den grellfarbigen Drachen an der Frontseite des Fotostudios "Hof-Atelier Elvira" kann man heute nicht mehr bestaunen. Das Elvira war in jeder Hinsicht ein Münchner Skandal, Betreiberinnen waren die Frauenrechtlerin Anita Augspurg und ihre Gefährtin Sophia Goudstikker. Mit ihren kurz geschorenen Titus-Frisuren wagten sie es nicht nur, ohne begleitenden Kavalier im Englischen Garten auszureiten, sondern neben der Geschäftspartnerschaft verband die beiden auch eine Lebenspartnerschaft.
Da konnte es ihrem Ruf in der katholischen Residenzstadt kaum noch schaden, dass sie sich 1896 mit dem Entwurf des Berliner Baumeisters August Endell ein Stück Extrem-Architektur für ihr Atelier leisteten - samt dem geschuppten Fabeltier außen und medusenhaftem Schlangendekor im Inneren. "Polypenrokoko", jaulten die Kritiker, andere konnten sich gar nicht genug berauschen an dem Haus in der Von-der-Tann-Straße.
Von der Fassade des Gebäudes existiert nur eine Schwarz-Weiß-Fotografie, aber es gibt historische Schilderungen der verwendeten Farben, nach denen der Verlag für Bernd Mollenhauers Buch eine Kolorierung vornehmen ließ. Heute befindet sich auf dem einstigen Elvira-Gelände das amerikanische Generalkonsulat. 1944 hatten Bomben das Gebäude zerstört, aber da war die Magie längst dahin. Die Nazis ließen schon Jahre zuvor Handwerker mit Meißeln anrücken. Adolf Hitler verfügte, heißt es in einer zeitgenössischen Quelle, dass der "von ihm verhasste Jugendstildrache herausgehauen" wurde.
Bernd Mollenhauer, Jugendstil in München. Hirschkäfer Verlag. 160 Seiten, 16,90 Euro.