Lange war offen, wer an diesem Wochenende überhaupt für den TSV Großhadern auf der Judomatte stehen könne. Es drohten (mal wieder) einige unbesetzte Positionen. Als der Bundestrainer dann ein paar Stunden vor dem Bundesligakampf zwischen Großhadern und dem hoch gehandelten JSV Speyer grünes Licht für die Kaderathleten der Nationalmannschaft gab, war die Erleichterung groß. Die Münchnerinnen konnten mit ihren Besten antreten - und das machte sich bezahlt. Großhadern besiegte den Favoriten aus Speyer in einer intensiven Begegnung mit 9:5 Punkten. Die vier Nationalmannschaftskämpferinnen - namentlich Theresa und Amelie Stoll, Laura Vargas Koch und Lisa Dollinger - waren dafür hauptverantwortlich, denn sie holten acht von neun Siegen an diesem Samstag.
Generell stellt sich in der Bundesliga regelmäßig die Frage nach den Top-Kämpfern: Dürfen sie antreten? Sind sie fit? Ist die Belastung zu hoch? Stehen andere Termine, Trainingslager oder internationale Kämpfe an? Diesmal kamen die vier Genannten direkt von einem Lehrgang mit der Nationalmannschaft, also einer harten siebentägigen Trainingswoche. Zunächst war der Frauen-Bundestrainer Claudiu Pusa skeptisch, ob er seinen Athletinnen nach dieser Belastung auch noch einen Bundesligakampf zumuten sollte. Nach deren Drängen gab er aber nach und überließ die Entscheidung den Kämpferinnen selbst. Gut für Großhadern.
Die EM-Zweite Theresa Stoll (-57 kg) siegte souverän, musste beim zweiten Kampf nicht mehr antreten, weil ihre Gegnerin verletzt aufgab. Ihre ältere Zwillingsschwester Amelie, die über ihrem Normalgewicht bis 63 Kilogramm kämpfte, hatte dagegen zweimal schwer zu ackern und erklärte danach mit Schweißperlen auf der Stirn: "Ich habe meine letzte Kraft zusammengenommen und irgendwie gewonnen." Ihre zähe, kräftige Gegnerin Geke Van den Berg hatte sie gerade erst im Trainingslager kennengelernt. "Eine sehr unangenehme Kämpferin" - die sie trotzdem zweimal bezwang, was von allen Seiten gelobt wurde. Eine Pause bleibt ihr nicht. Für Amelie Stoll geht es direkt nach Kanada, wo weitere Trainingseinheiten anstehen.
Ein echter Hingucker war auch der Schwergewichtskampf zwischen Lisa Dollinger und ihrer gut 40 Kilogramm schwereren Gegnerin Samira Bouizgarne. Ein solcher Unterschied ist überhaupt nur möglich, weil auch Dollinger außerhalb ihres Standardgewichts antreten musste. So bekam der Kampftag auch seine David-gegen-Goliath-Geschichte. Dollinger machte sich ihren Schnelligkeitsvorteil zu Nutze, bewegte ihre Gegnerin viel und schaffte es tatsächlich, sie zweimal über die Schultern zu Boden zu werfen. "Ich habe irgendwann gemerkt, dass sie in der Vorwärtsbewegung anfällig ist - und sie, wenn ich im richtigen Moment untendurch tauche, über mich drüber purzelt, ohne dass ich riesig Kraft anwenden muss", erklärte Dollinger ihre Strategie. Wenn es eines Beweises bedurfte, dass Schwung und Köpfchen beim Judo genauso wichtig sind wie Kraft, war er hiermit also erbracht.
Schließlich punktete auch die Olympia-Dritte Laura Vargas Koch doppelt, die nach einer langen Verletzungspause allerdings noch sehr vorsichtig kämpfte und ihre Partien ebenfalls mehr durch taktische Raffinesse als bloße Kraft gewann. Dollinger und die Stolls jubelten lautstark vom Mattenrand. Der Einsatz hatte sich gelohnt. Ein wenig Risiko sei mit der Entscheidung zu kämpfen aber schon verbunden gewesen, gab Dollinger hinterher zu. "Wenn etwas passiert wäre, hätten wir richtig Ärger mit dem Bundestrainer bekommen." Aber: "Wir sind eben echte Teamfighter!"
So haben die Großhaderner Frauen weiterhin eine gute Chance auf die Finalrunde im Herbst. In Backnang (30. Juni, 18 Uhr) genügt ihnen nun ein Unentschieden zur Qualifikation. Im Fernduell mit Speyer und Wiesbaden kämpfen diese vier Top-Teams der Gruppe Süd die drei Finalplätze aus. Wer dabei sein kann? "Ich muss leider passen", sagte Dollinger, ihr Cousin heiratet. Neben dem allgegenwärtigen Sport soll es ja manchmal auch ein Privatleben geben.