Jazz:Auf der Suche nach dem Publikum

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Jazz-Konzerte haben in München Tradition, doch viele Kneipen weichen inzwischen auch auf andere Musikstile aus

Von Florian Haenes, München

Die Fenster sind mit samtgrünen Platten verrammelt. Das Lüftungsrohr an der Decke ist gegen die stickige Hitze machtlos. Ein Samstagabend im Vogler, einem gemütlichen Jazzladen an der Rumfordstraße. Der apulische Rotwein schmeckt bereits köstlich, da tritt Mundo Burgos in den Lichtkegel auf der Bühne und streift sich seine Gitarre über. Der Bassist greift zur Parfümflasche, verteilt das Wässerchen auf Hals, Nacken und Brust und schmiegt sich an das Griffbrett seines Kontrabasses. Fabio Block, einst Gitarrenheld in Rio de Janeiro, schleppt sich auf die Bühne und lässt sich auf einem Stuhl nieder. So wie jeden Samstag werden die drei Herren heute im Vogler lateinamerikanische Musik spielen. Fabio Block wird an diesem Abend wie immer die Saiten bearbeiten, der Bassist wird mehr als einmal mit dem Zeigefinger auf seine Armbanduhr tippen und eine Pause einfordern, sich erneut parfümieren und herabsteigen zu den jungen Damen im Publikum. Mundo Burgos wird nach jeder dieser Pausen wieder die Aufmerksamkeit des Publikums einfordern - "Yo necesito silencio" - und dann mit treibender Gitarre die Tanzfläche füllen.

Nun ist die lateinamerikanische Musik nicht gerade das, was man gemeinhin unter Jazz versteht. Und doch findet man das, was früher mal Weltmusik hieß, immer häufiger auch in Münchner Jazzkneipen, die Live-Musik mal kostenlos, mal gegen einen geringen Unkostenbeitrag anbieten. "Wenn man heute die Promotion von vielen Bands liest, dann steht da, dass die mexikanisch, asiatisch, Soul, Rock, und am Ende irgendwie auch Jazz spielen", sagt der langjährige Münchner Jazzproduzent und Veranstalter Peter Wortmann mit ironischem Unterton. Offenbar fürchten viele Clubbetreiber, allein mit Jazz ihren Laden nicht mehr voll zu bekommen, und weichen auf populärere Musikstile aus.

Als Wortmann 1955 nach München kam, war das noch anders. Über die Radiosender der Alliierten hatte der Jazz die Jugendkultur der Stadt erobert und bis in die Sechzigerjahre hinein wollte das Publikum nur eines hören: Dixieland, die eingängige Spielart des Jazz mit Wurzeln in New Orleans. Doch das Herz der jungen Jazzmusiker wie Wortmann schlug für den Modern Jazz, bei dem die Musiker mehr improvisieren - oft introvertiert und in manchen Fällen auch mit dem Rücken zum Publikum. Um dem Modern Jazz in München eine Bühne zu geben, eröffnete der Bassist Ernst Knauff 1965 das bis heute legendäre "Domicile" im früheren Künstlerviertel Schwabing. Reihenweise kamen die Stars aus den USA in den Club, bis er 1981 geschlossen wurde.

Wenn Peter Wortmann vom Live-Jazz damals in Schwabing schwärmt, dann könnte man meinen, die heutige Münchner Jazzszene hätte etwas an Lebhaftigkeit eingebüßt. Das Domicile habe neben vielen anderen Clubs die Hochzeit des Jazz in München markiert, sagt er. Übrig sei davon nur noch die "Unterfahrt" in Steinhausen, der seiner Meinung nach einzige "echte Eventschuppen der Münchner Jazzszene". Doch es gibt auch noch andere Kneipen, die sich um spannenden Jazz bemühen: Das kleine "Mr. B.'s" zum Beispiel oder die "Bar Gabányi" in der Ludwigsvorstadt.

Dennoch sei den Jazzmusikern in München in letzter Zeit das Publikum abhanden gekommen, klagt der Musikstudent und Posaunist Roman Sladek. Mit dem Modern Jazz könne man keine neuen Fans für die Jazz-Szene gewinnen. Wenn auf den Bühnen mangels Publikum immer mehr Latin, Funk oder Soul gespielt werde, dann helfe auch das dem Jazz nicht weiter, sagt er.

An jungen Jazzmusikern mangelt es in München nicht: Sladek und seine Kommilitonen von der Hochschule für Musik und Theater drängen auf die Bühnen der Stadt, außerdem Schüler der Neuen Jazzschool oder der vier musischen Gymnasien. Mit dem Nachwuchs kommen auch neue Ideen: Sladek hat 2012 die "Jazzrausch Bigband" gegründet. An einem Ort, den der gemeine Jazzer meidet, holen sich die Musiker nun ihr Publikum zurück: Im Club Harry Klein am Stachus mischen sonst einsame DJs kühlen Techno. Doch wenn die Jazzrausch Bigband auftritt, brettern die Posaunen und elektronische Clubmusik verschmilzt mit Live-Jazz. Sieben Jahrzehnte nachdem der Jazz nach München kam, ist die Szene also immer noch lebendig.

© SZ vom 19.08.2015 - Rechte am Artikel können Sie hier erwerben.
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