Inklusionsprojekt an den Kammerspielen:Begegnungen auf Augenhöhe

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Julia Häusermann, Schauspielerin mit Trisomie 21, in einer Probe zu ihrem Projekt "Ich bin's Frank" an den Münchner Kammerspielen. (Foto: Gina Bolle)

Menschen mit und ohne Behinderung arbeiten gleichberechtigt im Theater zusammen

Von Dirk Wagner, München

Eigentlich setzt das Projekt "Zugängliches Theater" der Münchner Kammerspiele nur um, was die UN-Behindertenrechtskonvention schon 2008 als Menschenrecht behauptete: die gleichberechtigte, selbstverständliche Teilhabe für Menschen mit Behinderungen an der Gesellschaft. Trotzdem gelten die aktuellen Bemühungen des Theaters um Barrierefreiheit und Inklusion als Modellprojekt, eines von sechs, die durch das Förderprogramm "Kulturelle Vermittlung und Integration" von Kulturstaatsministerin Monika Grütters mit bis zu 300 000 Euro unterstützt werden.

Das Projekt der Kammerspiele habe das Münchner Kulturreferat angeschoben, sagt Oswald Utz, der Behindertenbeauftragte der Landeshauptstadt. "Wann immer es um Themen geht, die Menschen mit Behinderungen betreffen, bin ich es gewohnt, dass die anderen Referate die Zuständigkeit aufs Sozialreferat schieben", sagt Utz. "Da ist es schon beispielhaft, wie erst der frühere Kulturreferent Hans-Georg Küppers und jetzt sein Nachfolger Anton Biebl Inklusionsmaßnahmen und den Abbau von Barrieren auch zur Aufgabe des Kulturreferats erklärt haben."

Dass dieser Abbau allerdings auch so manchen Umbau benötigt, damit Rollstuhlfahrer nicht wie bisher von Treppen ausgegrenzt werden, zwingt den künstlerischen Direktor der Kammerspiele, Daniel Veldhoen, sogleich zur Auseinandersetzung mit dem Denkmalschutz, der notwendige Umbauten im Schauspielhaus nahezu unmöglich macht. Immerhin könne man im Zuschauerraum die Sitze ausbauen, und somit mehr Rollstuhlfahrerplätze je nach Bedarf einrichten, sagt Veldhoen. Er überlegt auch mit seinem Team, wie die Bedürfnisse anderer potenzieller Besucher berücksichtigt werden können, etwa durch eine Übertitelung des auf der Bühne gesprochenen Textes in verschiedenen Sprachen. "Wenn erst einmal eine deutschsprachige Übertitelung vorliegt, ist eine Übersetzung in andere Sprachen eigentlich kein all zu großer Aufwand mehr", sagt Veldhoen und versteht unter anderen Sprachen auch die Gebärdensprache für taube Menschen oder die sogenannte "leichte Sprache" für Menschen mit kognitiven Beeinträchtigungen. "Vorstellbar wäre hier eine App, die es den Besuchern ermöglicht, sich selbst auszusuchen, welche Unterstützung sie für den Theaterbesuch wünschen." Über Tablets, an den Rückenlehnen der Vordersitze fixiert, könnten sie die gewünschten Übersetzungen während der Aufführung nutzen, erläutert Veldhoen.

Wann jedoch diese Vermittlungsformate verwirklicht werden können, ist für Intendantin Barbara Mundel noch nicht absehbar. "Wichtig ist, dass wir uns auf den Weg gemacht haben. Ich habe keine Ahnung, ob wir je das Ziel erreichen werden", sagt Mundel, die Menschen mit Behinderungen aber nicht nur als Zuschauer eine kulturelle Teilhabe ermöglicht. In den Kammerspielen wirken Menschen mit körperlichen und kognitiven Beeinträchtigungen auch als Schauspieler, Regisseure und Autoren mit. Natürlich verändere das die Arbeitsbedingungen am Theater. "Aber nur durch Leben, durch Begegnung verlieren wir die Angst und die Vorurteile", sagt Mundel. "Wir haben ja das Glück, dass wir uns in künstlerischen Prozessen begegnen dürfen!"

Veränderungen können auch anderen Kollegen nutzen. Wenn beispielsweise die Arbeitszeiten den besonderen Bedürfnissen der Mitarbeiter mit Behinderungen angepasst würden, könne das möglicherweise auch anderen, etwa den allein erziehenden Müttern, die Arbeit erleichtern, sagt Regisseurin Nele Jahnke, die schon in Zürich am Theater Hora mit kognitiv beeinträchtigten Schauspielern gearbeitet hat.

Die Münchner Schauspielerin Luisa Wöllisch wünscht sich indes von ihren Arbeitskollegen an den Kammerspielen eine Begegnung auf Augenhöhe: "Ich habe zwar auch eine Behinderung, das stimmt. Aber ich will nicht, dass man mich deshalb in eine Schublade steckt. Das klingt dann immer so, als könnte ich nichts. Als wäre ich nur die Behinderung. Ich kann aber was! Ich habe im Film "Die Goldfische" mitgespielt, ich arbeite am Theater, lebe in meiner eigenen Wohnung", sagt Wöllisch, die mit dem Down-Syndrom lebt. Dass sie für ihre Arbeit als Schauspielerin regulär bezahlt wird, stärkt das Selbstbewusstsein der jungen Frau, die nach eigenem Bekunden schon als kleines Kind ein Entertainer war. "Schon sehr früh fand ich Gefallen daran, in andere Rollen zu tauchen", sagt sie.

Dass sie, die in ihrem Leben bislang wahrscheinlich mehr von der Gesellschaft als vom Down-Syndrom behindert wurde, sich selbst verwirklichen darf, sollte auch anderen ein Beispiel sein. Denn Inklusion ist, wie Jürgen Dusel, der Behindertenbeauftragte der Bundesregierung, es einmal ausgedrückt hat, eben keine Nettigkeit, sondern die Verwirklichung von Grundrechten.

© SZ vom 08.02.2021 - Rechte am Artikel können Sie hier erwerben.
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