Ingvild Goetz im Interview:Die Entdeckerin

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Ingvild Goetz gehört zu den bedeutendsten Privatsammlern Deutschlands - jetzt kooperiert sie mit dem Haus der Kunst.

Evelyn Vogel

Die Kunstsammlerin Ingvild Goetz empfängt, elegant in Schwarz gekleidet, den Gast in ihrem Wohnzimmer mit Blick auf den parkähnlichen Garten. Regen prasselt dort auf die schlichten Möbel aus Holz. Die Hausherrin seufzt bei dem Anblick. Das sommerlich warme Wochenende hat sie fast nur im Garten verbracht, erzählt sie. Sie liebt die Natur.

Ingvild Goetz zu Hause vor einem Werk von Gabriel Orozco. (Foto: Thomas Schmidt)

SZ: Sie haben oft Reisen unternommen in unbekannte Länder. Betreten Sie gerne Neuland?

Ingvild Goetz: Ich betrete sehr gerne Neuland. Das Betreten ist sogar das schönste, das Fortführen verlangt dann Disziplin.

SZ: Sie waren Galeristin, dann Sammlerin und nun sind Sie immer häufiger Kuratorin. Mit welchem dieser Schritte haben Sie größeres Neuland betreten?

Goetz: Das Kuratieren macht mir wahnsinnig viel Spaß. Schon bei Kunstkäufen zu überlegen, wie könnte eine Ausstellung aussehen, mit welchen Künstlern oder mit welchem Konzept könnte ich sie kombinieren? Ein oder mehrere kuratorische Konzepte sind immer im Hinterkopf. Diese werden immer wieder neu kombiniert.

SZ: Heißt das, der Schritt hin zur Kuratorin war für Sie der größte?

Goetz: Eher der hin zum Sammeln. Obwohl, (schmunzelt) wenn ich es recht überlege, war der gar nicht so groß. Schon in der Galerie konnte ich mich sehr schwer von Kunstwerken trennen. Es gab immer diesen Traum des Sammelns. Deshalb war der Schritt von der Galeristin zur Sammlerin nicht sehr groß für mich, aber sehr bedeutend.

SZ: Sie haben schon oft Teile Ihrer Sammlung in anderen Häusern präsentiert, nun gehen Sie eine langfristige Partnerschaft ein. Probieren Sie aus, wie es ist, fremdes Terrain zu kolonialisieren?

Goetz: Es ist ein neuer Schritt, aber die Idee schlummert schon lange in mir. Ich hatte schon überlegt, in München Räume anzumieten, hatte auch Angebote in Berlin - und dann hat sich das hier so wunderbar ergeben. Da waren drei Institutionen, die irgendwas brauchten oder suchten und sich dann gefunden haben.

SZ: Drei Institutionen?

Goetz: Das Kulturreferat, das die Sammlung in München haben wollte und das den Westflügel im Haus der Kunst umbaut und wegen des Unterhalts einen Partner suchte, der sich finanziell beteiligt. Dann Chris Dercon, der Ähnliches im Sinn hatte und sagte, dass die Sammlung Goetz ein geeigneter Partner wäre. Und ich wiederum fand das wunderbar, in diesen großen Räumen die Ausstellung kuratieren zu können, und war bereit, mich an den laufenden Kosten zu beteiligen.

SZ: Der Luftschutzkeller kam also als eine Art Zwischennutzung ins Spiel?

Goetz: Der Westflügel, das war die ursprüngliche Idee. Aber dann kam die Wirtschaftskrise und mit ihr die Frage, wann überhaupt umgebaut werden kann. So entstand die Überlegung, erst einmal in den Räumen des ehemaligen Luftschutzkellers die ein- und zweikanaligen Videoarbeiten aus meiner Sammlung zeigen. Wir waren von der Idee auch deshalb begeistert, weil dadurch ein neues Konzept für das Haus der Kunst hinzu kam. In der Sammlung befinden sich so viele Arbeiten, die aus Einzelprojektionen bestehen, dafür bietet sich der Luftschutzkeller an.

SZ: 2005 hat das Haus der Kunst unter Dercon eine Süssmayr-Ausstellung mit einem Hinweis auf Ihre Sammlung verbunden, obwohl Sie nichts damit zu tun hatten. Es hieß, sie waren nicht begeistert davon. Sie sind aber nicht nachtragend?

Goetz: Nein, wir sind beide nicht nachtragend. Chris Dercon und ich sind da ähnlich gestrickt. Wir verstehen, dass man manchmal einen Schritt zu weit geht - das kann auch mir passieren - und dass der andere dann seine Wut auch mal raus lässt. Aber dann ist die Sache erledigt.

SZ: Sind Sie sehr emotional?

Goetz: Ja, tief im Innern schon - auch wenn ich manchmal so zurückhaltend wirke.

SZ: Wenn man Ihren Namen und Ihre Popularität missbraucht?

Goetz: Ich lege sehr großen Wert darauf, dass das nicht geschieht. Dass man den Namen Goetz nicht benutzt, um Künstler zu manipulieren. Für mich sind alle Künstler, die ich sammle, gleichwertig und ich möchte lieber im Hintergrund stehen.

SZ: Sind Sie auch ein Kontrollfreak?

Goetz: Das bin ich schon. Gerade, weil ich so emotional bin, muss ich immer wieder sofort die Kontrolle erlangen. Aber das habe ich erst gelernt. Und darauf bin ich sehr stolz, weil ich das noch gar nicht so lange beherrsche.

SZ: Bedauern Sie, dass Dercon nun, da die gemeinsamen Pläne Realität werden, nicht mehr in München ist?

Goetz: Ich finde es sehr schade, weil ich weiß, dass wir ein sehr gutes Team gewesen wären. Aber ich freue mich auch, dass Okwui Enwezor der neue Leiter im Haus der Kunst ist, denn ich schätze ihn sehr. Ich bin ziemlich sicher, dass das auch eine gute Zusammenarbeit wird.

SZ: Haben Sie sich schon konkret darüber ausgetauscht?

Goetz: Nein, ich bin erst vor wenigen Tagen aus meinem Winter-Refugium in Spanien zurückgekommen. Ich hatte noch keine Gelegenheit, mit ihm zu sprechen.

SZ: Wie verteilen sich Kosten, Rechte und Pflichten bei dieser Kooperation?

Goetz: Wir teilen uns die laufenden Kosten, die Einnahmen erhält das Haus der Kunst. Ich werde die ersten beiden Ausstellungen kuratieren, dann wird ein Kurator vom Haus der Kunst zeigen, wie er Teile meiner Sammlungsbestände präsentieren würde.

SZ: Sie haben nicht die Bedingung gestellt, die einzige zuständige Kuratorin zu sein?

Goetz: Nein, ich finde es auch spannend zu sehen, was andere mit meiner Sammlung machen.

SZ: Was hat es mit dem Titel der Ausstellung "Aschemünder" auf sich?

Goetz: Der Titel bezieht sich auf einen Film des Kolumbianers Juan Manuel Echavarría, "Bocas de Ceniza", zu Deutsch "Aschemünder". Es ist der Name einer Flussmündung in seinem Heimatland, in dem immer wieder Leichen von Opfern des Drogenkriegs treiben. Im Film geht es um Zeugen und Hinterbliebene, die durch ihre Erlebnisse zum Teil sprachlos geworden sind. Die Möglichkeit, sich zu artikulieren, finden sie im Gesang.

SZ: Beim Haus der Kunst kommt man ums Politische kaum herum. Ist die Auswahl der Videos darauf abgestimmt?

Goetz: Noch mal auf die Nazi-Vergangenheit einzugehen, wäre überflüssig gewesen. Ich wollte Bezug nehmen auf den Krieg, gerade in diesem Gebäude, aber ich wollte auch darauf hinweisen, dass überall auf der Welt Menschen leiden oder vernichtet werden und dass man nichts aus der Geschichte gelernt hat. Es hört einfach nicht auf. Künstler gehen sehr unterschiedlich mit diesem Thema um und ich war überrascht, als ich mein Repertoire durchforscht habe, wie viele sich schon damit beschäftigt haben.

SZ: In München stehen zeitgenössische Formen der Bildenden Kunst nicht ganz oben auf der Agenda. Wenngleich sich gerade ein bisschen was getan hat. Doch müssten Stadt und Staat nicht mehr tun?

Goetz: Ich denke schon. Aber zum Beispiel Toni Schmid, der Ministerialdirigent im Kunstministerium, ist ganz ambitioniert. Er möchte München in allen Bereichen, nicht nur in der Bildenden Kunst, erneuern. Er hat ja auch Bachler geholt und Kušej (Staatsopernintendant Nikolaus Bachler und Residenztheaterintendant Martin Kušej, Anm. d. Red.), er versucht, die Jugend mehr einzubinden. Deshalb kam man auf die Idee mit dem Westflügel. Man hätte da auch was ganz anderes machen können. Der Wunsch, noch mehr Kunst und Kultur nach München zu bringen, ist also da, aber die finanziellen Möglichkeiten fehlen noch.

SZ: Wenn private Sammler die Rolle der Kulturermöglicher übernehmen, besteht da nicht auch die Gefahr, dass Staat und Stadt ihre Pflichten vernachlässigen?

Goetz: Klar, man weiß ja, wie viele Sachen da auch schon schief gegangen sind. Kein Museum sollte sich fest an einen Sammler binden, sondern immer die Möglichkeit haben, unabhängig zu sein. Das Museum muss das letzte Wort haben und der Sammler muss sich dem Museum fügen, nicht umgekehrt.

SZ: Wie entstand Ihr großes Interesse für Videokunst?

Goetz: Als ich die erste Installation gesehen habe. Das war, glaube ich, auf einer Documenta, eine Arbeit von Rodney Graham Anfang der Neunziger. Früher fand ich Videokunst furchtbar langweilig. Heute kann man ganze Räume inszenieren, mit großen Mehrfachprojektionen einen Menschen einbinden, so dass er Teil der Arbeit wird. Das ist viel intensiver, als vor einem Gemälde zu stehen. Und das fand ich so faszinierend, dass ich anfing, Videoinstallationen zu kaufen. Es sind aber auch interessante 1- oder 2-Kanal-Projektionen entstanden, die ich gekauft habe. Zum Glück, denn sonst könnte ich den Luftschutzkeller nicht bespielen. Dort kann man keine großen Installation zeigen, dafür sind die Räume mit nur etwa 15 Quadratmetern zu klein.

SZ: Wie entscheiden Sie, was Sie kaufen?

Goetz: Wenn ich etwas Interessantes entdecke, fahre ich meistens hin, schaue es mir genauer an und wenn es mir gefällt, kaufe ich es. Natürlich muss ich mir überlegen, wie ich einen Neukauf finanziere, unter Umständen muss ich mich dafür auch von einem anderen Werk trennen. Und das kuratorische Konzept, das ich erwähnte, spielt noch eine Rolle.

SZ: Welche Rolle spielt der Marktwert eines Künstlers dabei?

Goetz: Gar keine. Ich habe Künstler, die haben überhaupt keinen Marktwert und ich kaufe sie seit jahrelang trotzdem weiter, denn ich finde sie einfach gut.

SZ: Können Sie sich vorstellen, dass eine Karriere wie die Ihre heute, wo die Kunst in so hohem Maße vom Kunstmarkt bestimmt wird, noch möglich wäre?

Goetz: Es gibt ein großes Problem. Früher war es so, wenn Kunst gut war, ging es um die gute Kunst. Heute wird viel manipuliert - leider auch sehr viel Drittklassiges, weil es in den richtigen Galeristenhänden ist. Und man kann auch über Auktionen Kunst manipulieren. Ob man heute noch so flexibel sein kann..., das erfordert doch sehr viel Mut. Ich habe das Gefühl, die heutige Jugend ist nicht mehr so flexibel wie wir das früher waren. Heute bewegt man sich durch die Welt mit Hilfe des Internets. Früher hat man einen alten VW-Bus genommen und ist losgefahren, um zu schauen, wie es da aussieht.

SZ: Hat das vielleicht auch etwas mit Erfolgsdruck, mit Karriereplanung zu tun?

Goetz: Das auch. Es fehlt die Lässigkeit, die wir hatten. Der Druck auf die Kinder kommt schon so früh. Und dann geht man seinen Weg und sitzt plötzlich in einer vorgestellten Welt. Bei uns war das eine Zeit des Aufbruchs, die Zeit der Hippies. Man wollte etwas verändern.

SZ: Sind Sie ein typisches Kind Ihrer Zeit?

Goetz: Ja, ich bin hundertprozentig ein Kind meiner Zeit.

SZ: Reisen Sie immer noch viel, um junge Künstler zu entdecken?

Goetz: Ich unternehme immer zwei Arten von Reisen: Eine ist die in die Dritte Welt, um Neues zu entdecken. Das habe ich schon früher gemacht, von Neu Guinea bis in den Amazonas, und das machen mein Mann und ich nach wie vor, zuletzt sehr viel nach Indien und Nepal. Das andere sind die Künstlerreisen, die habe ich inzwischen etwas reduziert. Außerdem gönne ich mir seit drei Jahren eine Auszeit, drei Monate im Jahr, in denen ich mich zurückziehe und nur in der Natur aufhalte, die ich sehr liebe.

SZ: Welche Künstler interessieren Sie derzeit am meisten?

Goetz: Immer die, die ich zuletzt gekauft habe, da beobachte ich die Entwicklung. Im Moment sind es sehr junge Künstler: eine Videoarbeit der Israelin Yael Bartana, eine Installation des Türken Ahmet Ögüt und eine mehrteilige Arbeit des Schweizers Tobias Madison.

SZ: Gibt es auch Künstler, an denen Sie das Interesse verloren haben?

Goetz: Oh ja, die gibt es auch.

SZ: Welche?

Goetz: Nun ja, da möchte ich eigentlich...

SZ: . ..an Damien Hirst haben Sie das Interesse verloren?

Goetz: Zum Beispiel.

SZ: Warum?

Ich fand ihn zu Beginn interessant. Dann aber stellte ich fest, dass er sich immer mehr dem Publikumsgeschmack anpasste. Das fand ich nicht stringent genug. Jeff Koons hat das auch getan, aber konzeptuell. Ich finde sein Konzept sehr gut, würde aber seine Arbeiten dennoch nicht kaufen, weil er damit gleichzeitig die Sammler zum Narren hält. So sehe ich es zumindest.

© SZ vom 08.04.2011 - Rechte am Artikel können Sie hier erwerben.
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