Influenza:Die Grippe hat München im Griff

Die Grippewelle ist in diesem Jahr deutlich stärker als in den vergangenen - die Auswirkungen sind überall zu spüren: Mülltonnen werden nicht abgeholt, in Kitas und Schulen häufen sich Krankmeldungen und im Theater hört man die Schauspieler vor lauter hustendem Publikum nicht.

Eindrücke von den SZ-Autoren.

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(Foto: dpa)

Gut, dass es das Robert-Koch-Institut in Berlin gibt: Das hat, damit das auch einmal geklärt ist, offiziell festgestellt, dass die aktuelle Grippewelle in der zweiten Kalenderwoche des Jahres begonnen hat, also um Heiligdreikönig rum. Das ist relativ spät, die Grippe-Saison geht von der 40. Kalenderwoche des einen bis zur 20. des nächsten Jahres. Allerdings holt die Erkrankung jetzt nach, was sie vor Neujahr versäumt hat - rund 2000 Influenza-Fälle wurden im Gesundheitsreferat der Stadt gemeldet. Das bedeutet aber nicht, dass es auch 2000 Grippe-Kranke gibt: Gemeldet werden Labor-Ergebnisse. Also werden die Patienten nicht erfasst, die gar nicht zum Arzt gehen, ebenso wenig jene, bei denen der Arzt auf den Laborbefund verzichtet und nach seiner Verdachtsdiagnose behandelt. Und zum dritten ist vorstellbar, dass etwa alle Mitglieder einer vierköpfigen Familie erkrankt sind, der Arzt aber nur bei einem das Labor befragt und daraus auf die anderen Patienten schließt. Höchstwahrscheinlich liegt also die reale Zahl der Grippe-Fälle in München deutlich höher. Höher als im vergangenen Jahr sowieso: Damals gab es zu gleichen Zeitpunkt gerade einmal 230 Meldungen. Deutschlandweit hat es in der vergangenen Woche mehr als 7000 neue Fälle gegeben.

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(Foto: Robert Haas)

Mief aus der Tonne Ein Gutes, könnte man meinen, hat so eine Grippe ja. Durch die verstopfte Nase dringen kaum ekelige Gerüche. Es sei denn, der Mief ist sehr intensiv. Wie der Münchner Abfallwirtschaftsbetrieb (AWM) am Mittwoch mitteilte, kommt es derzeit bei der Mülltonnen-Leerung zum Verzug, weil so viele der Mitarbeiter erkrankt seien. Ein Viertel aller Kraftfahrer und Mülllader, so das Unternehmen, lägen flach. Der Notfallplan sieht vor, dass zuerst die Restmülltonnen geleert, beziehungsweise nachgeleert werden sollen. Einige Münchner könnten so gleich doppelt von der Grippe beeinträchtigt sein. Sie müssen nicht nur zu Hause liegen, um sich auszukurieren, sie müssen auch den Geruch nicht geleerter Bio-Tonnen ertragen. Denn diese kommen voraussichtlich erst in der kommenden Woche an die Reihe. Priorität, so der AWM, genießen öffentliche Einrichtungen wie Schulen oder Altenheime. "Im Winter sind die Biotonnen ohnehin wenig gefüllt und zum Teil eingefroren", erklärte der Entsorger den improvisierten Abfuhrkalender. Aber für alle, die krank im Bett liegen und zusätzlich leiden unter der nicht geleerten Biotonne beim Schlafzimmerfenster: Aktuell gehe der Krankenstand bereits wieder zurück. Bis Ende der Woche sollen alle Restmüll- und Papiertonnen geleert sein und im Laufe der kommenden Woche holt der AWM auch die Biotonnen, verspricht der zweite Werksleiter Helmut Schmidt. Der Wetterbericht droht derzeit auch nicht mit gefährlich steigenden Temperaturen, die die Verwesungsprozesse in den nicht abgeholten Tonnen stark beschleunigen könnten.

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(Foto: Julian Stratenschulte/dpa)

Verschwundene Schüler Wenn um 8.15 Uhr das Telefon klingelt und auf dem Display der Name der Schule aufblinkt, die die 13-jährige Tochter besucht, ist das üblicherweise kein gutes Zeichen. Hatte sie einen Unfall, ist sie womöglich gar nicht aufgetaucht? Nicht so an diesem Mittwochmorgen, denn man weiß ja: Das Kind liegt mit Husten, Schnupfen und so weiter krank im Bett - und man hatte es ordnungsgemäß am Montag schon für zunächst einmal drei Tage in der Schule abgemeldet. Dennoch erkundigte sich die Sekretärin nach dem Verbleib der Tochter - mit der Entschuldigung, dass am Montag und Dienstag so viele Schüler krank gemeldet worden seien, dass sie mit dem Aufschreiben einfach nicht hinterhergekommen sei - und nun den fehlenden Schülern nachtelefonieren muss.

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(Foto: Florian Peljak)

Der Hypochonder Woran man den Hypochonder zur Grippewelle erkennt? Das sind diejenigen, die konsequent versuchen, nichts und niemanden zu berühren: An der Supermarktkasse lassen sie der Kassiererin das Geld aus zehn Zentimetern Höhe in die Handfläche fallen, auf öffentlichen Toiletten drücken sie die Türklinke mit dem Ellbogen hinab, und in der S-Bahn verrät sich der Influenza-Paniker für gewöhnlich dadurch, dass er den Türknopf mit dem Fingerknöchel oder dem Ellenbogen betätigt. An den schweren Hebeln der Münchner U-Bahn funktioniert diese Praktik allerdings bedauerlicherweise nicht. Da hilft dann oft nur eines: Sich im Windschatten eines Mutigeren aus dem Fahrzeug stehlen.

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(Foto: dpa)

Das richtige Mittelchen Es gibt sie in Blau, Pink oder einfach farblos, dünnflüssig oder in Gelform, in der Apotheke oder im Drogeriemarkt - die Auswahl an Händedesinfektionsmitteln ist groß. Und unübersichtlich. Die Produkte sind in Zeiten der Grippewelle gefragt wie selten. Aber sind sie überhaupt wirksam gegen Grippeviren? "Nicht alle", sagt der Münchner Apotheker Peter Sandmann. Man muss also genau lesen, was auf den Fläschchen steht. Produkte mit dem Aufdruck "entfernt 99 % der Bakterien" wirken eben nur gegen Bakterien, aber nicht gegen Viren. Wer die Grippeauslöser bekämpfen will, sollte ein "bedingt viruzides" Präparat kaufen, das ist ausreichend gegen sogenannte behüllte Viren, zu denen der Grippeerreger zählt. Gegen unbehüllte Viren wie das Noro-Virus helfen sogar nur Mittel mit der Bezeichnung "viruzid". Die Produkte von dm oder Rossmann seien ebenso wirksam wie die aus der Apotheke, sagt Sandmann, nur könne man sich im Drogeriemarkt nicht beraten lassen. Was er empfiehlt? "Desinfektion ist nur nötig, wenn im direkten Umfeld jemand erkrankt ist." Ansonsten reicht: "Hände waschen, in den Ärmel husten, nicht so oft mit der U-Bahn fahren. Und zu Hause bleiben, wenn man sich krank fühlt."

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(Foto: dpa)

Kranke Kinder Man muss schon ein wenig hartnäckig sein, um derzeit bei dem Münchner Verein "Zu Hause gesund werden" jemanden ans Telefon zu bekommen. Bei dem Verein, der von der Stadt gefördert wird, arbeiten etwa 50 ehrenamtliche Frauen. Gegen eine Aufwandsentschädigung von 5,20 Euro pro Stunde betreuen die geschulten Helferinnen kranke oder genesende Kinder - vorausgesetzt, die Eltern sind berufstätig. "Momentan sind fast alle unsere Frauen im Einsatz", sagt Karin Holly vom Telefondienst. Besonders viele Anfragen erreichten den Verein in den vergangenen Wochen immer montags. Außerdem kommen derzeit täglich Anrufe von Eltern herein, die zu krank sind, um sich um ihren Nachwuchs zu kümmern. Denen muss Holly leider absagen. Und ein Hilfsangebot, das speziell auf außer Gefecht gesetzte Eltern zugeschnitten ist, gebe es ihres Wissens in München nicht. "Das ist eine Lücke", sagt Holly.

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(Foto: Tobias Hase/dpa)

Schniefendes Theaterpublikum Ein schwerer Stoff, den es da auf der Bühne der Münchner Kammerspiele zu sehen gibt: "Jagdszenen aus Niederbayern", ein Stück über eine Dorfgemeinschaft, die Menschen verhöhnt und ausstößt, die anders sind. Leider aber hat das Publikum sich keinen schweren Stoff eingeworfen, bevor es die Vorstellung besuchte. Hätte es besser mal, denn der ganze Abend ist ein einziges Hustenröchelnschniefen, wie es selbst der routinierteste Theatergänger noch nie erlebt hat. Dass besonders bei ruhigen Stellen auf der Bühne gern mal herzhaft schleimgehustet wird, ist bekannt. Allerdings hat man an diesem Abend Schwierigkeiten, sich auf die Handlung des Stücks zu konzentrieren und die Schauspieler überhaupt akustisch zu verstehen, weil durchgehend die Parallel-Veranstaltung "Das Hustenrepertoire des Münchner Theaterpublikums mit Knisterbegleitung der Bonbon-Entrollung" vorgeführt wird. Natürlich: Diese Menschen befinden sich noch im nicht ganz so drastischen grippaler-Infekt-Stadium und die Karten waren schließlich nicht billig. Also warum verzichten und Zuhause bleiben, denken sie sich, wo man ebenfalls in einem dunklen Raum herumhusten würde? Ja, was mit dem armen, schwulen Abram auf der Bühne gemacht wird, ist zum Heulen. Sofern es Jemand mitbekommen hat.

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(Foto: dpa)

Nahverkehr Bei der S-Bahn ist die Grippewelle "durch", wie eine Sprecherin des Konzerns sagt. Um dann aber gleich wieder einzuschränken: "Zumindest im Moment." Tatsächlich hat es am Mittwoch keine Zugausfälle aus "betrieblichen Gründen" gegeben, wie es in den vergangenen Tagen immer wieder so schön hieß. Zwischenzeitlich waren mehr als zehn Prozent der S-Bahn-Lokführer ausgefallen - damit lag der Krankenstand doppelt so hoch wie normal. Auch die Münchner Verkehrsgesellschaft (MVG) hatte zuletzt mit der Grippewelle zu kämpfen gehabt. Den Disponenten sei es aber gelungen, die Löcher in den Dienstplänen bei U-Bahn und Tram mit Ersatzkräften zu stopfen. Lediglich im Busverkehr "konnten in wenigen Einzelfällen kurzfristige Krankmeldungen nicht sofort kompensiert werden", sagt ein Sprecher.

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(Foto: dpa)

Am Anschlag Die Mitarbeiter in den Kindertagesstätten in München arbeiten auch außerhalb der Grippe-Saison meist schon am Anschlag. Weil immer mehr Eltern einen Ganztagsplatz für ihre Kinder wollen, das Angebot aber erst in den vergangenen Jahren stark ausgebaut wurde, fehlt es an Personal. Jetzt, während der Grippewelle, steigt die Arbeitsbelastung für die verbliebenen Erzieher und Kinderpfleger noch ein wenig mehr an: So meldet das Bildungsreferat "teilweise starke krankheitsbedingte Personalausfälle" in den städtischen Einrichtungen. Alleine in den Tagesheimen fehlten bis zu 40 Mitarbeiter. Manche Kitas müssten deshalb früher schließen oder bei benachbarten Einrichtungen um Unterstützung bitten. Um die Einschränkungen so gering wie möglich zu halten, greift die Stadt auf Aushilfen zurück.

© SZ vom 26.02.2015 - Rechte am Artikel können Sie hier erwerben.
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