Hörtipp 1:Hitze und Ruhe

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Dirigent Sergiu Celibidache 1988 in München. (Foto: SZ Photo/Regina Schmeken)

Zwei Aufnahmen der Münchner Philharmoniker beeindrucken immer noch: 1968 unter Rudolf Kempe und 1994 unter Sergiu Celibidache

Von Harald Eggebrecht

Mit der Wahl Rudolf Kempes begann für die Münchner Philharmoniker die Rückkehr unter die bedeutendsten Orchester der Welt. Er war schlagtechnisch virtuos, probte stets ensembledienlich im Sinne der Musik: etwa noble Akkuratesse bei Musik der Wiener Klassiker, Raumsinn für Bruckners weite Welten und die Lust auf Mahlers Instrumentationsraffinesse.

Unvergessen bleibt die Aufführung der großen C-Dur-Symphonie von Schubert, 1968 eingespielt. Hier zeigte sich erstmals nach seinem Amtsantritt 1967, zu welcher Präsenz in allen Gruppen die Philharmoniker durch ihn fähig waren. Auffallend, wie sehr Kempe Schubert als Dramatiker versteht: Nach der großformatigen Einleitung geht es in ein fast fiebrig pulsierendes Allegro hinüber. Das Andante wird zum zügigen Trauerkondukt, der mit zunehmend beklemmender Nervosität im Katastrophischen abreißt. Nach der abgrundtiefen Generalpause bleiben Bruchstücke. Das Scherzo hat federnde Kraft und entfaltet gesangliches Feuer im Trio. Das Finale gelingt als atemlos vorwärtsstürmender Rausch.

Als Sergiu Celibidache 1983 erstmals mit den Philharmonikern die Große C-Dur-Symphonie probte, zeigte er im Herkulessaal eine Posaune der Schubertzeit. So viel kleiner, zarter sei sie gegenüber modernen Posaunen. Dasselbe gelte auch für das andere Blech. Bei Schubert dürfe man also kein übliches Forte dröhnen, sondern müsse sich an den Maßen seiner Zeit orientieren, mahnte er. So entfaltete sich die Einleitung nicht simpel triumphal, sondern "Celi" öffnete einen weiten Raum, aus dem das Allegro organisch hervorging: ma non troppo - nicht zu schnell. Es überraschte alle, das scheinbar so bekannte Stück als ineinander vernetzte Kammermusik zu erleben. Was da an nie wahrgenommenen Mittelstimmen auftauchte, an innerorchestralen Zwiegesprächen geschah! Das Andante reicherte sich bedrohlich an, bis es sich festfraß im tödlichen Erstarrungsschock der Generalpause - danach zarte Fragmente in weiter Ferne. Das Scherzo tobte nicht rustikal einfältig, sondern blieb melodiös durchsichtig, um sich im Trio hymnisch auszuleben. Das Finale erfüllte feurigste Beweglichkeit des symphonischen Miteinanders. 1994 entstand ein Live-Mitschnitt aus dem Gasteig. Er wirkt in seiner grandios gespannten, dabei willkürfreien Souveränität und orchestralen Auffächerung bis in Details wie die symphonische Vollendung aus kammermusikalischem Geist.

© SZ vom 12.12.2020 - Rechte am Artikel können Sie hier erwerben.
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