Hörenswert:Nüsseknacker

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Cellist Jakob Spahn. (Foto: oh)

Jakob Spahn mit Benjamin Brittens "Cello Suites"

Von Michael Stallknecht

Die Frage, welche Stücke man auch ganz allein musizieren kann, dürfte sich in den vergangenen Monaten vielen Musikern mit neuer Schärfe gestellt haben. Jakob Spahn, Solocellist beim Bayerischen Staatsorchester und damit in normalen Zeiten auch als Solist oft in ein Kollektiv eingebunden, hat sie bereits im vergangenen Frühjahr für sich beantwortet. Er nutzte die unerwartet freie Zeit im damals noch strengeren Lockdown, um die drei Suiten für Cello solo von Benjamin Britten einzuspielen. Schließlich hatte es einst schon Johann Sebastian Bach zur Grundlage seiner sechs berühmten Cellosuiten gemacht, dass auch ein einzelnes Cello bei Bedarf mehrstimmig spielen und damit mit sich selbst in den Dialog treten kann. Mit seinen eigenen drei Suiten schuf Benjamin Britten zwischen 1964 und 1971 ein modernes Äquivalent dazu für den russischen Cellisten Mstislaw Rostropowitsch, den er wiederum über den Komponistenkollegen Dmitri Schostakowitsch kennengelernt hatte.

Wer die nun bei Hänssler Classic erschienene CD hört, wohnt also zunächst einem Dreiergespräch auf einem einzigen Instrument bei: dem zwischen Bach, Britten und Schostakowitsch. Als Huldigung an den barocken Kontrapunktiker findet sich unter anderem in jeder Suite eine Fuge, von Schostakowitsch ist - neben einem direkten Zitat aus dessen Fünfter Symphonie - vor allem der Charakter der langsamen Sätze inspiriert, in denen das Cello der Einsamkeit allen Menschseins nachzusinnen scheint. Britten steigert die Vielstimmigkeit freilich noch durch eine postmoderne Multiperspektivität, indem er nicht nur Material aus weiteren Epochen einbindet, sondern das Komplexeste - bis hin zur Überlagerung mehrerer Rhythmen - auch dem Einfachsten wie dem Kinder- oder Volkslied begegnen lässt.

Leichte Kost ergibt das in der Summe keineswegs, weder für den Hörer noch für den Spieler, der hier intellektuell vor ebenso gewaltige Herausforderungen gestellt wird wie technisch. Jakob Spahn vergleicht seine Arbeit an den Suiten im Booklet selbst mit dem "Knacken einer sehr, sehr harten Nuss" - was ihm fraglos gelungen ist: An der Aufnahme überzeugen nicht nur die Präzision in der Intonation oder der Auffächerung der Dynamik, sondern vor allem der Sinn für den verborgenen Rhythmus, den inneren Atem der Musik. Dem vorderhand Abstrakten gewinnt Spahn damit eine gestische Plausibilität ab, die in der harschen Attacke ebenso präsent wirkt wie im sonor Kontemplativen. Der Hörer wiederum wird für den steilen Aufstieg spätestens mit der dritten Suite belohnt, die die eingängigste, vielleicht auch humanste der drei ist. Britten hat sie nicht nur auf russischen Volksliedern aufgebaut, die das Gespräch mit Rostropowitsch über den Eisernen Vorhang des Kalten Krieges hinwegbeschwören, er lässt sie auch in einer russisch-orthodoxen Totenhymne ausklingen.

Spätestens hier wird die Summe der unterschiedlichsten Elemente zum Gespräch mit dem All-Einen, die Vielstimmigkeit zum Dialog mit den Lebenden und den Toten aller Zeiten. Dass das auch auf einem einzigen Instrument möglich ist, gehört sicher zu den tröstlichen Botschaften in diesen nicht nur musikalisch dialogarmen Zeiten.

Benjamin Britten: Cello Suites , gespielt von Jakob Spahn, erschienen bei Hänssler Classic, HC20063

© SZ vom 10.03.2021 - Rechte am Artikel können Sie hier erwerben.
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