Historie:Stilles Gedenken

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Von den Nazis verfolgt und bis heute missachtet: Sinti und Roma leben seit Hunderten Jahren in München, doch nur wenige wissen über ihre Kultur und ihre Schicksale Bescheid

Von Thomas Anlauf

Adolf Bamberger, geboren am 13. Januar 1941 in München. Er wurde am 4. April 1943 in Auschwitz ermordet. Rosa Held, geboren am 18. Oktober 1942 in München. Sie wurde am 27. März 1943 in Auschwitz ermordet. Die Familie Höllenreiner, mehr als 20 Menschen aus München, deportiert und die meisten ermordet. Es sind nur wenige der Namen, die nicht vergessen werden dürfen. Namen von Menschen, die am 13. März 1943 an der Hackerbrücke mitten in München in Viehwaggons getrieben und ins Vernichtungslager Auschwitz gebracht wurden. Fünf Tage zuvor waren sie aus ihren Wohnungen gezerrt und in die Haftzellen des Polizeipräsidiums an der Ettstraße gebracht worden. Diese Menschen fielen dem nationalsozialistischen Rassenwahn zum Opfer. 130 Menschen waren es, die vor 77 Jahren unschuldig verhaftet und deportiert wurden und von denen fast alle ums Leben kamen. Doch das war erst der Beginn eines beispiellosen Völkermords. Eine halbe Million Menschen brachten die Nationalsozialisten um, die den Sinti und Roma angehörten. Und der Genozid begann in München.

Der 13. März ist mittlerweile ein Gedenktag in München, in Erinnerung an die Opfer dieses Völkermords. Erst seit 2018 findet eine Namenslesung der Menschen statt, die damals deportiert wurden. Auch an diesem Freitag sollten am Platz der Opfer des Nationalsozialismus die Namen jener Menschen verlesen werden, am Abend war eine Gedenkveranstaltung im NS-Dokumentationszentrum geplant. Doch die Corona-Krise hat alles geändert, die Veranstaltungen wurden kurzfristig abgesagt. "Wir haben uns diese Entscheidung nicht leicht gemacht", teilte Oberbürgermeister Dieter Reiter in einer Stellungnahme mit. Als Zeichen des Gedenkens an die erste Deportation der Münchner Sinti und Roma am 13. März 1943 legten Stadtrat Marian Offman als Vertreter der Stadt und Vertreter des Landesverbands Deutscher Sinti und Roma zumindest Kränze am Platz der Opfer des Nationalsozialismus nieder.

Eine der treibenden Kräfte, die die Erinnerung an das Leid der Sinti und Roma wachhalten, aber auch gegen den bis heute anhaltenden Rassismus gegenüber der ethnischen Minderheit ankämpfen, ist Alexander Diepold. Zwei Tage vor der geplanten Gedenkveranstaltung sitzt er in seinem Büro an der Landwehrstraße. Soeben hat er erfahren, dass auch eine Veranstaltung im Landtag zum Internationalen Tag der Roma am 8. April abgesagt worden ist, auf die er lange hingearbeitet hat. Diepold ist selbst Sinto, ihm sind solche Veranstaltungen besonders wichtig, um die Bevölkerungsgruppe sichtbarer zu machen. Schließlich leben Sinti seit etwa 600 Jahren in München, Roma seit ungefähr 200 Jahren, doch bis heute wissen nur wenige über ihre Kultur und ihre Schicksale Bescheid und noch immer leiden sie unter Rassismus und Diskriminierungen.

Am Platz der Opfer des Nationalsozialismus legten am Freitagnachmittag Marian Offman (re.) in Vertretung von Oberbürgermeister Dieter Reiter und Alexander Diepold Kränze nieder für die Opfer des Völkermords an Sinti und Roma. Die offizielle Gedenkfeier wurde wegen der Corona-Krise abgesagt. (Foto: Stephan Rumpf)

Alexander Diepold hat bereits eine Rede für den Gedenktag an diesem Freitag vorbereitet. "Wir schätzen uns sehr glücklich, dass der 13. März als Gedenktag verstetigt wurde und jedes Jahr auch der Minderheit der Sinti und Roma in München in der Weise erinnert wird, dass sie hier am Platz der Opfer des Nationalsozialismus geehrt und gewürdigt wird", wollte er unter anderem sagen. Er wollte daran erinnern, dass das ewige Licht auf dem Platz dafür stehe, "dass Menschlichkeit auch durch Unterdrückung nicht ausgelöscht werden kann".

Dabei ging die Unterdrückung und Diskriminierung von Sinti und Roma selbst nach den schrecklichen Massenmorden der Naziherrschaft nach 1945 weiter. Bis in die Siebzigerjahre betrieb die Polizei in München eine rechtswidrige Sondererfassung der Bevölkerungsgruppe. Doch dann, Anfang April 1980, traten zwölf Sinti, darunter KZ-Überlebende, in der Versöhnungskirche der KZ-Gedenkstätte in Dachau in einen dramatischen Hungerstreik, den erst der ehemalige Münchner Oberbürgermeister und damalige Bundesjustizminister Hans-Jochen Vogel beenden konnte. Zwei Jahre später wurde endlich der Völkermord aus rassistischen Grünen an Sinti und Roma vom damaligen Bundeskanzler Helmut Schmidt anerkannt. Der Grundstein für den Zentralrat und der Landesverbände deutscher Sinti und Roma war damit gelegt.

Doch der Kampf um Anerkennung und gegen Stigmatisierung ging weiter. 1993 demonstrierten Roma wochenlang ebenfalls in der Versöhnungskirche gegen Pogrome und Gewalt im ehemaligen Jugoslawien und ihrer drohenden Abschiebung dorthin. Es sollte schließlich bis 1. Juli 2018 dauern, dass Bayern einen Staatsvertrag mit dem Landesverband deutscher Sinti und Roma schloss. Es war ein wichtiger Schritt für die Bevölkerungsgruppe mit dem Ziel, "der Diskriminierung von Angehörigen der Minderheit auf allen Gebieten des öffentlichen und gesellschaftlichen Lebens effizient und effektiv entgegenzuwirken", wie es im Staatsvertrag heißt. "Das war ein Erfolg", sagt Alexander Diepold, der mittlerweile bundesweit in einer Stiftung aktiv ist, um das kulturelle Leben und die Tradition von Sinti und Roma sichtbarer zu machen. "Aber es ist die Frage, wie weit der Staatsvertrag auch auf München durchschlägt", sagt er.

Alexander Diepold. (Foto: Stephan Rumpf)

Bislang kämpft er vergeblich darum, dass Sinti und Roma ein Kultur- und Begegnungszentrum erhalten. In den vergangenen zehn Jahren ist nicht viel passiert bis auf viele "frustrierende Gespräche" mit Stadtpolitikern. Auf das Konzept, das er schon früh vorstellte, sei man nicht eingegangen. Dabei geht es ihm lediglich um ein Haus, in dem neben Beratungsgesprächen auch Ausstellungen, Konzerte und Lesungen und auch politische Diskussionen stattfinden. Etwa darüber, warum beim Anschlag am Olympia-Einkaufszentrum OEZ im Jahr 2016 so lange von staatlicher Seite von einem Amoklauf gesprochen wurde, obwohl schnell klar gewesen sei, dass es sich um ein rassistisch motiviertes Attentat gehandelt habe, bei dem auch zwei Sinti unter den Todesopfern waren. Nun sollen die Hintergründe auf dem Denkmal und auch die Schicksale der Opfer nachträglich am Denkmal vermerkt werden. Auch dafür setzt sich Diepold ein.

Ihm ist aber vor allem wichtig, das Versöhnende und Verbindende sichtbar zu machen. Im Oktober organisiert er mit Madhouse ein bislang einzigartiges Festival. Von 11. bis 17. Oktober werden unter anderem im Prinzregententheater die bekanntesten Musiker im Bereich der kulturellen Tradition von Sinti und Roma aus fünf europäischen Länder mit jungen Künstlern auftreten, "um verschiedene musikalische Strömungen zusammenzuführen". Diepold will damit zeigen, dass Sinti und Roma eine kulturelle Vielfalt hervorgebracht haben, die ihresgleichen sucht. Ein Kulturzentrum könnte diesem Reichtum in München dauerhaft Raum geben.

© SZ vom 14.03.2020 - Rechte am Artikel können Sie hier erwerben.
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