Hertzkammer:Feinste Stöpselei

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Martin Gretschmanns neue Platte als Acid Pauli

Von Martin Pfnür

Als Martin Gretschmann vor acht Jahren erstmals ein Album unter seinem bisherigen Tanzboden-Alias "Acid Pauli" veröffentlichte, war das so etwas wie ein leiser Neustart in der Karriere des Weilheimer Electro-Visionärs. Zumindest retrospektiv betrachtet, denn wer hätte damals schon gedacht, dass Gretschmann damit sein charmant verfrickeltes und zwischenzeitlich schwer gehyptes Solo-Projekt "Console" stilllegen würde, um zwei Jahre später auch noch als kultisch verehrter Chef-Elektroniker bei The Notwist auszusteigen.

Aber es ging wohl einfach nicht mehr alles zugleich zusammen. Zu groß die Lust des Mitbegründers des Münchner Techno-Clubs "Rote Sonne", selbst die Dancefloors dieser Welt zu beschallen und sich als Studio-Tüftler musikalisch neu auszurichten. Und zu eng getaktet der Terminplan des langmähnigen Hornbrillenträgers, um dabei auch noch jene unverkennbare Sound-und Live-Komponente einzubringen, über die sich die Weilheimer Gitarrenband The Notwist einst in eine digital-analog arbeitende Indietronic-Band von internationaler Strahlkraft verwandelte.

Seit 2012 ist der mittlerweile nach Berlin umgezogene Gretschmann als Künstler nun also in erster Linie Acid Pauli, und wer sich einen Begriff davon machen möchte, ob sich das für ihn gelohnt hat, braucht sich im Grunde nur einmal quer durch die Acid-Pauli-Diskografie hören. Die ist sehr vieles zugleich, vor allem aber künstlerisch niemals stehen geblieben. Das Debüt "MST": ein elegant und erfrischend vielfältig zusammengesampeltes Allerlei zwischen weltmusikalischen Versatzstücken und bittersüßen Piano-Loops. Das rhythmisierte Zirpen, Blubbern, Sirren und Klackern auf dem Nachfolger "BLD" von 2017: eine genialische Demonstration der Tatsache, dass Acid House einen im Zweifelsfall auch einfach ohne jeden Beat in Bewegung versetzen kann.

Reduktion, das ist denn auch das Stichwort, mit dem man der kürzlich erschienenen neuen Acid-Pauli-Platte "MOD" wohl am nächsten kommt. Konzipiert als Hommage an den Sound des guten alten Modularsynthesizers, stöpselt Gretschmann darauf mit derart zenhafter Seelenruhe mal ambiente, mal dubbige, mal abstrakte, immer aber gänzlich beatlose Klanglandschaften zusammen, dass man förmlich dabei zuhören kann, wie sich feinste synthetische Klangpartikel zu subtilen Grooves und Harmonien zusammenfügen. Mit dem verspielt-poppigen Computerspiel-Drive des frühen Console-Hits "14 Zero Zero" oder dem brillanten Remix von Tocotronics "Freiburg" hat all das freilich rein gar nichts mehr zu tun. Mit Transzendenz dafür umso mehr.

Acid Pauli : "MOD" (Ouïe)

© SZ vom 12.11.2020 - Rechte am Artikel können Sie hier erwerben.
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