Hartz-IV-Orchester in München:Zurück auf der Bühne

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Ehemalige Architekten, Lehrer und Gärtner haben sich zu Deutschlands erstem Hartz-IV-Orchester zusammengeschlossen. Am Wochenende steht der erste große Auftritt an.

Otto Fritscher

Es ist eine urpersönliche Erfahrung, die Manfred Hampel machen musste, die Erfahrung eines Absturzes - und sie ließ ihn nicht mehr los. Der 53-Jährige war vor Jahren in einer Holzproduktionsfirma beschäftigt, die pleite ging. "Gestern hatten uns die Banker noch hofiert, einen Tag später haben dieselben Leute nicht mal mehr mit uns geredet, sondern nur gesagt: Wenden Sie sich an den Abwicklungsservice."

Hampel ist "durchgestartet", wie er sagt, heute ist er Fassadengestalter und Berater bei Bauten, bei denen es um die historische Gestaltung von Fassaden, Türen und Fenster geht. Seine Firma "Bauwerk Hampel" residiert standesgemäß in Schloss Seefeld bei Starnberg.

Und dennoch, auch wenn er es geschafft hat, nach dem Absturz wieder eine neue Karriere zu zimmern, die Erinnerung blieb wach - und er wollte anderen helfen. Irgendwann kam Hampel, der ein vielseitiger Musiker und Sänger ist, die Idee, arbeitslosen Künstlern durch ein Projekt wieder zu Selbstvertrauen und damit zu besseren Chancen auf dem Arbeitsmarkt zu verhelfen.

"Die Fäden liefen wie von selbst in diese Richtung", erinnert er sich. Mehr als 15.000 Euro und mehr als ein Jahr professionelle Vorbereitungszeit hat er - unterstützt von einem wachsenden, aber auch stets wechselndem Team - investiert, um dem "Hartz-IV-Orchester" zum Erfolg zu verhelfen.

"Wir wollen Kult werden"

Der Durchbruch soll an diesem Wochenende kommen, bei drei großen Auftritten in der "Tonhalle" in der Kunstfabrik beim Ostbahnhof. Hampel hofft, dass jeweils mindestens 1000 Besucher kommen, zuhören und womöglich tanzen. "Dann haben wir zumindest die Unkosten gedeckt." Denn zu den Musikern, Sängern und Schauspielern des Münchner Ensembles gesellen sich professionelle Licht- und Soundspezialisten. Das Ziel gibt Hampel vor: "Wir wollen Kult werden."

Angefangen hat es vor gut einem Jahr, mit einer Handvoll Musikern. Durch Mund-zu-Mund-Propaganda machte das Hartz-IV-Orchester schnell die Runde in Künstlerkreisen. "Doch wir brauchen auch Helfer hinter der Bühne", erklärt Hampel. Es kamen arbeitslose Profi-Künstler, aber auch deren Kollegen mit Engagements. Selbst eine richtige Ordensschwester macht mit - sie ist natürlich nicht arbeitslos, bearbeitet aber gerne das Schlagzeug. Schwester Bernadette sitzt bei den aktuellen Auftritten in der Tonhalle nicht am Schlagzeug. "Sie muss Predigten vorbereiten", erzählt Hampel. Das hat natürlich Vorrang vor irdischen Genüssen.

"Uns fehlen noch einige Bläser", sagt Hampel. Zum Ensemble zählen Musiker, die früher Architekten, Lehrer oder Gärtner waren. Unterstützt wird das Orchester vom städtischen Sozialreferat mit Zuschüssen, aber auch vom Musikhaus Hieber-Lindberg mit Instrumenten. 90 Mitglieder zählt das Orchester-Team bereits, die Hälfte davon sind Hartz-IV-Empfänger.

Inzwischen bekommt Hampel Anfragen von Radio- und Fernsehsender aus ganz Deutschland. "Können Sie so etwas nicht auch bei uns auf die Beine stellen?", fragte ihn eine Kölner Zeitung. Hampel ist aber noch mit seinem Münchner Projekt voll beschäftigt. Er denkt an die Gründung einer eigenen Veranstaltungs-GmbH, und er kann sich Auftritte auch in der Schrannenhalle vorstellen.

Vor einem Jahr tingelten die ersten Musiker noch durch die Münchner Sozialbürgerhäuser und spielten bei Weihnachtsfeiern. Auch die Münchner Arge ist inzwischen auf das Hartz-IV-Orchester aufmerksam geworden. Sie prüft, ob das Orchester ein Zukunftskonzept sein könnte, um die schwierige Situation von Künstlern bei der Arbeitsvermittlung zu verbessern.

"Wenn wir das Orchester professionell organisieren, könnte man mit einem Schlag mindestens 20 sozialversicherungspflichtige Arbeitsplätze schaffen", ist Manfred Hampel überzeugt.

© SZ vom 18.09.2009 - Rechte am Artikel können Sie hier erwerben.
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