Hartz IV in München:Knapp bei Kasse

Lesezeit: 3 min

Die Politik diskutiert, wie viel Hartz-IV-Leistungen Kinder brauchen - eine Münchner Familie hat eine Woche lang ihre Ausgaben protokolliert.

Sven Loerzer

"Gegen Ende des Monats geht das Geld aus", sagt Martin N., der mit seiner sechsköpfigen Familie von Hartz IV lebt. Mit dem Existenzminimum auszukommen, das nun nach dem Urteil des Bundesverfassungsgerichts neu berechnet werden muss, darauf waren die Eltern von Maximilian, 3, Svenja, 6, Petra, 10, und Julia, 12, nicht vorbereitet. "Ich bin immer am Hoffen, dass ich nächsten Monat wieder arbeiten kann", sagt der frühere Zeitsoldat und Netzwerkingenieur.

Aus besseren Zeiten ist nichts geblieben. Eigentlich wollte der 32-Jährige nicht um staatliche Unterstützung bitten, doch mit Aushilfsjobs kam er nicht über die Runden. Erst als schon der Zwangsräumungstermin für die Wohnung feststand, weil er die Miete nicht mehr bezahlen konnte, ging er ins Sozialbürgerhaus. Die Arbeitsgemeinschaft für Beschäftigung (Arge) übernahm die Mietschulden auf Darlehensbasis und rettete damit die Familie vor dem Wohnungsverlust.

Nun bekommt sie monatlich 1481,82 Euro von der Arge und 773 Euro Kindergeld. Davon gehen 830 Euro für Miete und Heizung und 100 Euro für die Rückzahlung des Arge-Darlehens weg, etwa 200 Euro Kosten fallen für Strom, Telefon und Handy an. Mit 125 Euro bezahlt die Familie einen Kredit von früher ab. Der sechsköpfigen Familie (Namen geändert) verbleiben somit 1000 Euro monatlich zum Leben.

Montag: Auf Fleisch wollen Martin und Susi N. nicht verzichten, deshalb achten sie bei ihren Einkäufen auf Sonderangebote. Wenn es gerade günstig ist, kaufen sie gleich größere Mengen zum Einfrieren. Beim Tengelmann in ihrer Nähe entdecken sie Schweinefilet, das wegen des nahenden Ablaufs der Mindesthaltbarkeit günstig angeboten wird: Das Kilo zu 7,70 Euro. Zwei Packungen, ein gutes Kilo Fleisch kommen in den Einkaufswagen - Martin N. freut sich auf ein Filet mit Pilzen in Rahmsoße, für ihn ein seltenes Festessen. Er kauft dazu noch Schlagsahne, Champignons, Maggifix und Karreespeck. Für alles zusammen bezahlt er knapp 20 Euro.

Dienstag: Schon lange hat sich Svenja einen Kinobesuch gewünscht. Einige ihrer Freundinnen haben den Zeichentrickfilm "Küss den Frosch", eine neue Version des alten Märchens vom Froschkönig, bereits gesehen. Susi N. wählt als Termin den Kino-Dienstag aus: Da gibt es im Mathäser Filmpalast den Familienpreis. Eltern in Begleitung von Kindern bezahlen nur den Kinderpreis: Statt 7,90 oder 8,90 Euro sind das fünf Euro pro Person. Drei weitere Kinder sind dabei, denen die Eltern Popcorn, Getränke und Eis mitgegeben. Susi N. will ihre Tochter nicht zurückstehen lassen, "ihr einmal etwas gönnen". Auch "wenn das ins Geld geht": fast zehn Euro extra.

Mittwoch: Einmal pro Woche ist Lebensmittel-Großeinkauf angesagt. Familie N. erledigt den zumeist in der Kaufland-Filiale, die zu Fuß zu erreichen ist. Butter, Schinken, Frischkäse, Nudeln, Pizza, Kalamariringe, Gurken, Oliven, Thunfisch, Tee, Cola sowie ein paar Süßigkeiten, Milchreis und Obst für die Kinder landen im Einkaufswagen, 80,47 Euro. Gerade Gemüse und Obst sei sehr teuer, sagt Susi N., die deshalb auch zur kostenlosen Ausgabe bei der Münchner Tafel geht. "500 Gramm Trauben sind bei meinen Kindern gleich weg." Martin N. gönnt sich drei Flaschen Bier (2,01 Euro) zum abendlichen Champions League Spiel.

Donnerstag: Während die drei älteren Kinder in Schule und Kindergarten sind - trotz Hartz-IV-Bezug muss die Familie dafür 120 Euro Essensgeld im Monat aufbringen -, besucht Susi N. ihre Mutter. Martin N. fährt zur Bank. Vier Einzelfahrscheine vom MVV - das sind 9,60 Euro. Die ehrenamtliche hauswirtschaftliche Beraterin, die der Familie Tipps zur Kostensenkung gibt, rät zur Streifenkarte, die aber ist im Bus nicht erhältlich und würde auch nur zehn Cent pro Fahrt sparen. Oder aber zur Isarcard S für 23,90 Euro monatlich, doch die gilt von Montag bis Freitag erst von neun Uhr an. Außerdem, sagt Martin N., sei fraglich, ob sie soviel fahren, dass sich der Kauf der Karten rentiere.

Freitag: Die Kinder lieben ihre Kaninchen, insgesamt sind es sieben. Martin N. kommt Fragen zuvor und stellt klar: Nachwuchs sei nicht geplant gewesen. "Unsere Untersuchung, ob wir Männchen und Weibchen haben, hatte sich als falsch erwiesen." Aber die Überzähligen im Winter einfach aussetzen oder gar töten? Inzwischen sind sie nach Geschlechtern getrennt. Im Sommer, so ist es mit den Kindern besprochen, sollen sie in einen Wildpark kommen, denn auch Kleinvieh kostet Geld. Gerade erst hat Martin N. wieder eine Ration zu knapp zehn Euro eingekauft: Heu, Kaninchenfutter, Karotten und Salat.

Samstag: Waschmittel hat die Familie aus einem Sonderangebot bevorratet. Als Ersatz für die defekte Waschmaschine, den sie sich sonst aus dem Hartz-IV-Regelsatz hätten zusammensparen müssen, haben sie von Verwandten ein gebrauchtes Gerät geschenkt bekommen. 14 Euro gibt die Familie für Drogerieartikel wie Toilettenpapier, Zahnpasta und Deo aus, 38 Euro für Lebensmittel und 23,50 für fünf Schachteln Zigaretten, die schon stark eingeschränkte Wochenration von Martin und Susi N. Die Verwandtschaft versorgt die Familie mit gebrauchter Kleidung.

Sonntag: Ausflug ins Deutsche Museum: Die Familie packt Getränke und belegte Semmeln ein. Der Eintritt kostet mit der Familienkarte 17 Euro für alle. Die Kinder lassen sich am verlockenden Museumsshop vorbeibugsieren, sie wissen um die knappe Kasse. Manchmal, wenn sie spüren, wie eng es ist, bieten sie den Eltern ihr Taschengeld von den Großeltern an. Im Sommer ermöglicht der Ferienpass den Kindern den kostenlosen Schwimmbadbesuch - aber die Erwachsenen müssen bezahlen, wenn sie die Kleinen begleiten. Geld für Ausflüge verlangen auch Hort und Kindergarten - neben zehn Euro Bastel- und Materialgeld monatlich.

© SZ vom 03.03.2010 - Rechte am Artikel können Sie hier erwerben.
Zur SZ-Startseite

Lesen Sie mehr zum Thema

Jetzt entdecken

Gutscheine: