Graffito und Denkmäler:Spätes Gedenken

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Ein neues Graffito von WON ABC in Giesing zeigt Kurt Eisner, Sonja Lerch, Erich Mühsam, Gustav Landauer und Ernst Toller (von links). (Foto: Robert Haas)

Die Erinnerung an die Räterepublik war lange von der Propaganda der Gegner geprägt. Erst in jüngerer Zeit wandelt sich das Bild - und die Revolution wird sichtbarer

Von Martin Anetzberger

Ein pinker Kurt Eisner, der sich per Fußtritt des bayerischen Königs entledigt. Dazu Sonja Lerch, eine Streiterin für das Frauenwahlrecht, sowie Erich Mühsam, Gustav Landauer und Ernst Toller als Protagonisten der Räterepublik. Seit diesem Frühjahr prangen sie am Umspannwerk gegenüber dem Giesinger Grünspitz, gesprayt hat sie der Künstler WON ABC, in leuchtenden, auffallenden Farben, 700 Quadratmeter groß. Der Kontrast zu den Denkmälern, die bisher an die Revolution von 1918 und die Zeit der Räteherrschaft in München erinnerten, könnte kaum größer sein. Etwa zu demjenigen für Eisner in der Kardinal-Faulhaber-Straße: Dort, wo der damalige Ministerpräsident Bayerns am 21. Februar 1919 erschossen worden ist, zeichnet ein Bodendenkmal die Umrisse eines Körpers nach. Sehen kann dieses Denkmal nur, wer unmittelbar darübersteht.

Eingeweiht wurde es erst 1989. Und überhaupt ist an die Rätezeit lange kaum erinnert worden. Der Historiker Bernhard Grau sieht den Grund dafür in den bürgerkriegsähnlichen Kämpfen um München Anfang Mai 1919: Die seien traumatisch für die Menschen gewesen - und als Schuldige hätten die Sieger die Räte benannt, sagt er. So sei auch die "eher friedliche Zeit davor in Misskredit" geraten. Die Kämpfe hätten selbst dem Andenken Eisners, der damals ja längst tot war, "weit über den Zweiten Weltkrieg hinaus geschadet", sagt Grau. Und die Denkmäler, die es gab, wurden zerstört: die Grabdenkmäler unter anderem für Eisner, dessen Urne sich seit 1922 in einem "den Toten der Revolution" gewidmeten Denkmal befand. Oder auch für Gustav Landauer. 1933 ließ der nationalsozialistische Stadtrat die Grabdenkmäler linker Revolutionäre zerstören. Die Urnen Eisners und Landauers kamen auf den Neuen Israelitischen Friedhof.

In den Jahrzehnten nach der Räterepublik blieb die Lesart grundsätzlich die gleiche, die sich schon in den Münchner Neuesten Nachrichten findet, der Vorgängerzeitung der SZ. Freikorps und Regierungssoldaten sind hier Befreier, die Räterepublik dagegen das "Machwerk verbrecherischer Literaten". Schuld am Blutvergießen seien die Kommunisten. Dabei waren es vor allem Freikorps, die Gräueltaten begingen.

In jüngerer Zeit freilich wandelt sich das Bild - und es sind oft Initiativen aus der Zivilgesellschaft, die ein neues Gedenken etablieren wollen. Seit 1991 steht etwa eine Erinnerungssäule am Tegernseer Platz in Giesing, die an die Opfer der Konterrevolution erinnert. Seit 1997 hängt nahe dem Hofbräukeller in Haidhausen eine Tafel für ermordete Perlacher Arbeiter. Seit 2011 erinnert auf dem Oberanger eine Glasskulptur an Kurt Eisner; dessen Denkmal für die Toten der Revolution am Ostfriedhof wurde bereits kurz nach dem Krieg rekonstruiert; 2017 wurde am Waldfriedhof auch ein Gedenkstein für Gustav Landauer neu errichtet. Das Kulturreferat hat zuletzt 350 Veranstaltungen zum Revolutionsgedenken organisiert. Und an diesem Montag um 15 Uhr wird am Prinz-Georg-Palais am Karolinenplatz, heute Geschäftsstelle des Sparkassenverbands Bayern, eine Gedenktafel enthüllt, die an 21 Handwerksgesellen erinnert, die am 6. Mai 1919 als angebliche Räterepublikaner ermordet worden sind.

Die bayerische Regierung tut sich hingegen noch immer schwer mit Eisners Erbe. Beim Staatsakt zum 100-jährigen Bestehen des Freistaats erwähnte Ministerpräsident Markus Söder (CSU) den Revolutionär kein einziges Mal. Doch die Debatte ist da. Der Künstler Wolfram Kastner etwa fordert, das Gedenken gehöre "ins Zentrum", der Marienhof solle in Kurt-Eisner-Platz umbenannt werden. Oberbürgermeister Dieter Reiter (SPD) erklärt, er verstehe den Wunsch, Kurt Eisner stärker zu würdigen. Über personenbezogene Ehrungen wolle der Ältestenrat des Stadtrats aber grundsätzlich nicht öffentlich diskutieren.

Sollte es ein neues Denkmal geben, Historiker Grau sähe es auf der Theresienwiese, wo 1918 die Revolution begann. Man könne dort an den Beginn der Demokratie erinnern statt an einen Mord, sagt er. Doch Grau warnt: Ein neues Monument könne auch kontraproduktiv wirken. Womöglich werde die Geschichte dann abgehakt. "Solange man sich nicht einig ist, solange es Reibungspunkte gibt, wird man darüber diskutieren."

© SZ vom 04.05.2019 - Rechte am Artikel können Sie hier erwerben.
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