GOP-Show:Rhythmische Poesie

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Der junge Spanier Rodrigo Gil begeistert mit einer Balljonglage, die er perfekt auf die live gezupfte Gitarrenmusik von Wolfgang Stute abstimmt. (Foto: Gop)

Die neue Gop-Show "Sombra" spielt mit dem Thema Dualität. Inspiriert von Licht und Schatten, Elektronik und Live-Musik, zeigen zehn Künstler ihre Darbietungen

Von Barbara Hordych

Rhythmusgewaltig war bereits Nikos Hipplers Gop-Show "Impulse", in der er alle Artisten in eine Trommelwand verräumte, in der sie nach Herzenskräften Percussion-Kräfte entwickelten, während und zwischen ihren Darbietungen. Auch die Produktion "Sombra", die jetzt Premiere im Münchner Gop-Theater feierte, ist rhythmusgesteuert: Dieses Mal geben allerdings nicht Trommeln den Takt vor, sondern wippende Tanzbewegungen einen vergleichsweise leisen Ton an. "Als wir den Cast zusammenstellten, war eine der Voraussetzungen, dass alle Artisten nicht nur exzellente Könner ihrer jeweiligen Disziplin sind, sondern auch über eine tänzerische Ausbildung verfügen oder die Fähigkeit mitbringen, Tanzeinlagen in ihre Nummern zu integrieren", erklärt Kreativdirektor Werner Buss bei der Medienpremiere. Bei der ist auch Regisseur Nikos Hippler zugegen, und der ist zunächst einmal froh, dass seine Produktion überhaupt gespielt werden kann. Das ist alles andere als selbstverständlich, denn die Besetzung ist international, die Künstler kommen aus Japan, Frankreich, Mexiko, Spanien und Russland. "Wir haben andere Ensembles, die derzeit gar keine Einreisegenehmigung bekommen", erklärt Buss. Bei der Show "Sombra", die im vergangenen Jahr in Essen uraufgeführt wurde und danach ihre Tour durch die sieben Gop-Theater begann, erwies es sich als Glücksfall, dass die Künstler im März einfach dageblieben waren nach dem Lockdown.

So können sie also ihr "Spiel aus Licht und Schatten", so der Untertitel der Show, nun in München fortsetzen. Vor einer aus zahlreichen weißen Würfeln zusammengesetzten Wand als Bühnenhintergrund, auf der ein ausgeklügeltes Video- und Lichtdesign ständig wechselnde Stimmungen und Schattenspiele erzeugt. Musikalisch begleitet wird die gefühlvolle Reise in die Welt der Gegensätze von dem Hannoveraner Saiten-Virtuosen Wolfgang Stute, mal mit feurigen, mal mit düsteren Gitarrensoli. Er wache über das Ensemble wie ein guter Großvater-Geist, hatte Buss vor der Show geschwärmt. Wie perfekt das Zusammenspiel von Artistik und Gitarrenklängen funktioniert, zeigt etwa der Auftritt des Spaniers Rodrigo Gil, der seine Jonglierkünste perfekt auf Stutes live gezupfte Saiten abstimmt - und umgekehrt. Tatsächlich könnten die neun jungen Künstler des Programms vom Alter her die Enkel des 69-jährigen Musikers mit dem weißen Wallehaar sein. Darunter auch zwei Preisträger des Pariser "Festival Mondial du Cirque de Demain", der Brasilianer Diego Salles am Vertikaltuch und der Japaner Akira Fukagawa mit seinen Diabolos. Der 23-Jährige Salles wurde von Werner Buss direkt nach seinem Auftritt in Paris vom Fleck weg engagiert. Wer den langbeinigen Akrobaten, der seine Identität anfangs maskiert, indem er seinen Kopf in Luftseide versteckt, mit tänzerischer Leichtigkeit und anmutig androgynem Charme scheinbar schwerelos im Vertikaltuch über die Bühne schweben sieht, versteht sofort warum. Mit Lippenstift und schwarzer Pagenkopf-Perücke als Zwilling der Mexikanerin Majo Cazares getarnt, kehrt er später auf die Bühne zurück, präsentiert mit seiner Partnerin eine hinreißende Tanzakrobatik, in der die Gliedmaßen der beiden kaum auseinander zu sortieren sind.

Bei Mikail Karahan indes wippen nicht nur die Beine, sondern auch der hoch gebundene Haarschopf im Takt der Musik, wenn er zwischen den Darbietungen sein komödiantisches Talent beweist. Seine eigentliche Kunst demonstriert der Hamburger mit türkischen Wurzeln allerdings im Cyr, dem "halbierten" Rhönrad: Den mannshohen schweren Ring bringt er nicht nur kraftvoll ins Rollen, sondern regelrecht zum Tango-Tanzen.

Auch das Duo Spirit aus Russland bringt mit seiner Partnerakrobatik das Kunststück fertig, das Schwere leicht erscheinen zu lassen, wenn sie einander in die Lüfte stemmen und in der Horizontale in der Schwebe halten. Ursprünglich war Luiza Luftartistin und Dmitrii Bodenakrobat - mit der Verschmelzung ihrer Disziplinen zu einer gemeinsamen Darbietung verkörpern sie nahezu perfekt das Thema Dualität der Show. Allein die immer wieder aus dem Off eingespielte Stimme mit ihren etwas bemüht bedeutungsvoll geraunten Aphorismen wäre verzichtbar: Die Poesie der Gegensätze teilt sich auch durch die durchweg faszinierenden Darbietungen mit, ganz ohne Worte.

Sombra , bis 1. November, Gop-Varieté-Theater, Maximilianstraße 47

© SZ vom 10.09.2020 - Rechte am Artikel können Sie hier erwerben.
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