Gespräch zur Europa-Wahl:"Europa muss demokratischer werden"

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Nadja Hirsch (FDP) und Gerald Häfner (Grüne) streiten über Privatisierung, Populismus und die Brüsseler Bürokratie.

J. Bielicki und B. Neff

Die FDP-Stadträtin Nadja Hirsch und der Grüne Gerald Häfner haben bei der Europa-Wahl am 7. Juni Chancen auf ein Mandat - wenn ihre Parteien zulegen.

Beinahe eine grün-gelbe Allianz für Brüssel: Bayerns FDP-Spitzenkandidatin Nadja Hirsch und der Grüne Gerald Häfner. (Foto: Foto: Rumpf)

Süddeutsche Zeitung: Wie erklären Sie beide den Münchnern, dass sie am 7. Juni unbedingt zur Europa-Wahl gehen müssen?

Nadja Hirsch: Immerhin geht es am 7.Juni darum, in welche Richtung die Europa-Politik geht. Darauf Einfluss zu nehmen, ist für München extrem wichtig, weil die meisten Entscheidungen, die wir alle in unserem Alltag merken, aus Brüssel kommen - zum Beispiel die Umweltplakette, die jeder auf seinem Auto kleben hat.

Gerald Häfner: Es wäre fatal, dass Wahlrecht gerade da, wo die wichtigsten Dinge entschieden werden, nicht zu nutzen. In den Jahren 1999 bis 2005 etwa hatten von den Rechtsakten, die für die Deutschen verbindlich sind, 4250 ihren Ursprung in der Bundesrepublik und 18917 in der Europäischen Union. Das ist ein guter Grund, wählen zu gehen.

SZ: Halten Sie es für gut oder schlecht, dass die meisten politischen Entscheidungen in Brüssel fallen?

Häfner: Kommt darauf an. Es ist heute zwingend notwendig, wichtige politische Entscheidungen oberhalb der Ebene des Nationalstaats zu treffen. Beim Problem Klima, bei der Überfischung der Meere. Die immer engere Zusammenarbeit in Europa hat uns jahrzehntelang den Frieden gesichert. Das ist ein beispielhaftes Modell für die ganze Welt. Ein Problem habe ich jedoch damit, dass sich die EU zu einer typischen Bürokratie entwickelt hat, die Kleinigkeiten detaillierst zu regeln versucht. Europa käme besser an bei den Bürgern, wenn es sich auf große Fragen beschränken würde.

Hirsch: Wenn man sieht, dass die EU 30000 Mitarbeiter beschäftigt und die Stadt München 26000, kann man sagen: Die Brüsseler Verwaltung ist verhältnismäßig schlank. Man muss aber aufpassen, dass sie nicht zu viel regelt und vor Ort Spielraum bleibt. Das ist mir als Kommunalpolitikerin wichtig.

Häfner: Europa leidet an einem Demokratie-Mangel. Wir haben den Zeitpunkt bisher versäumt, diesem Gebilde, in dem die Regierungen die Gesetze machen, umfassende Demokratie zu sichern.

SZ: Sollte es Volksentscheide geben?

Hirsch: Es ist sicher sinnvoll, den Europäern mehr Möglichkeiten zu geben mitzubestimmen. Unbestritten ist, dass das Europäische Parlament stärker werden muss. Es hat bereits jetzt viele Kompetenzen, doch sollten weitere Bereiche - ich denke da an Innere Sicherheit - in die Hände der Abgeordneten gelegt werden.

Häfner: Die Wahlbeteiligung wäre deutlich höher, wenn die Leute das Gefühl hätten, die letzte Entscheidung über europäische Regelungen läge tatsächlich immer beim Parlament. Europa muss demokratischer werden, und dazu gehören auch Volksabstimmungen. Dass die CSU auf einmal Volksentscheide befürwortet, befremdet mich aber. Wir von "Mehr Demokratie" haben immer gefordert, den EU-Vertrag von Lissabon dem Volk zur Abstimmung vorzulegen. Das hat die CSU bisher konsequent abgelehnt. Sie scheint nur dann dafür zu sein, wenn es ihr gerade in den Kram passt.

SZ: Es sind Wahlen in Zeiten der Krise, die auch München nicht ausspart. Wie kann Europa den Münchnern helfen, die Krise zu überstehen?

Häfner: Wir haben in Europa zu sehr auf Deregulierung und einen falschen Glauben an das Gute in den Märkten gesetzt. Wir brauchen ein anderes Modell von Wirtschaft, das viel mehr die langfristigen Folgen wirtschaftlicher Entscheidungen berücksichtigt und nicht den kurzfristigen Profit für wenige. Es ist zum Beispiel nicht sinnvoll, nicht sozial, nicht ökologisch und auch nicht demokratisch, die kommunale Daseinsvorsorge weiter zu privatisieren.

Hirsch: Beim Wasser sind auch wir gegen Privatisierung...

Häfner: Warum eigentlich? Sie wollen doch sonst alles in private Hände geben.

Hirsch: Zur Privatisierung gehört bei uns eine ordnungspolitische Vorstellung. Wir möchten nicht, dass der Staat in Konkurrenz zur freien Wirtschaft tritt. Oft kommen Unternehmen des Staates oder einer Kommune die Bürger deutlich teurer, weil sie nicht so effektiv sind wie Unternehmen der freien Wirtschaft. Das kostet den Steuerzahler viel Geld.

Häfner: Lassen Sie das doch den Steuerzahler entscheiden! Wo immer über die Privatisierung kommunaler Dienstleistungen abgestimmt wurde, haben die Bürger entschieden: Wir wollen das in demokratischer Obhut behalten und nicht reinem Profitdenken ausliefern.

Hirsch: Es werden da oft Ängste geschürt. Wenn der Steuerzahler solche Unternehmen finanzieren muss, hat die Kommune weniger Geld für andere Angebote. Aber das sagt man dem Bürger nicht. Achten muss man bei einer Privatisierung darauf, dass kein Monopol entsteht, egal von wem. Das heißt also: Privatisierung ja, wo sie sinnvoll ist, aber nicht Privatisierung um jeden Preis.

SZ: Was würden Sie privatisieren?

Hirsch: Zum Beispiel die Städtische Bestattung. Was sie tut, können viele private Bestattungsunternehmen auch.

Häfner: Mein Eindruck ist, dass Sie ganz illiberal Bürger bevormunden wollen. Die Erfahrung zeigt, dass die Bürger in den meisten Fällen Privatisierung ablehnen, weil sie wissen: In dem Moment, wo privatisiert ist, haben sie die weitere Entwicklung aus der Hand gegeben. Ich würde wirklich gerne wissen, warum Sie plötzlich gegen die Privatisierung von Wasser sind. Da hat sich doch gezeigt, welche fatalen Folgen dieser Schritt für Preis, Qualität und Umwelt hat.

Hirsch: Wir haben das schon immer abgelehnt. Wasser ist ein ganz besonderes Gut und hat daher eine Sonderstellung. Aber ich halte es für einen Mythos, dass die Bürger auf ein kommunales Unternehmen so viel Einfluss haben. Die Münchner Stadtwerke machen, was sie wollen, und mein Einfluss als Stadträtin hält sich da deutlich in Grenzen.

Häfner: Dann müssen Sie Ihren Einfluss erhöhen.

Hirsch: Das haben viele schon vergeblich versucht.

SZ: In der europäischen Debatte um Wettbewerb geht es doch um Strom, Gas, den öffentlichen Nahverkehr...

Häfner: ... und Sparkassen! Seit Jahren versucht die EU-Kommission das deutsche Modell der Sparkassen einem ausschließlich profitorientierten, privaten Banksektor zu öffnen. Wir haben es bisher geschafft, die Sparkassen und genossenschaftlichen Banken zu erhalten, die nah an den Bürgern sind. Ich werde in Brüssel jedenfalls dagegen kämpfen, dass auch die Sparkassen dem globalen Spekulationswahnsinn geöffnet werden.

Hirsch: Jeder möchte seine Bank vor der Haustür haben. Aber man kann doch nicht sagen, dass Wettbewerb stets zu Nachteilen führt. Beim Telefon hat uns der Markt, der ja von Brüssel aus geöffnet wurde, enorme Vorteile gebracht.

SZ: Soll der öffentliche Nahverkehr europäischem Wettbewerb unterliegen?

Häfner: Das wäre ein Beispiel europäischer Überregulierung. Darüber sollten allein die Kommunen entscheiden.

Hirsch: Wenn eine Kommune das selber betreiben möchte, habe ich nichts dagegen. Es muss aber auch klar gesagt werden, was etwa die Subventionierung des Nahverkehrs den Münchner Strom- und Gaskunden kostet. Nur dann kann der Bürger wirklich entscheiden.

Häfner: Wenn wir gemeinsam für mehr Freiheit, Transparenz und Entbürokratisierung streiten, hätten wir ausnahmsweise eine gelb-grüne Allianz.

SZ: Woran scheitert diese Allianz?

Häfner: Die FDP glaubt ja, dass Freiheit hauptsächlich die Freiheit im wirtschaftlichen Bereich ist, andere abzuzocken. Wir Grüne haben ein anderes Verständnis von der ökologischen und sozialen Verpflichtung der Wirtschaft. Denn eine einseitige Wirtschaftspolitik ist dabei, nicht nur das Weltklima, sondern auch das soziale Klima zu zerstören.

Hirsch: Da malen Sie aber ein sehr populistisches Bild! Die FDP ist die einzige Partei, die in allen Bereichen konsequent für Freiheit eintritt und dem Bürger die Verantwortung überlässt. Es ist für mich eine Einschränkung der Freiheit, wenn der Staat verlangt, dass ich mein Geld abgeben soll, und dann für mich entscheidet, was richtig oder falsch ist. Wo wir uns von den Grünen unterscheiden, ist die Sozialpolitik. Die Grünen wollen eine europäische Sozialpolitik. Das würde bedeuten, dass Deutschland sein hohes Niveau sozialer Sicherheit auf den europäischen Durchschnitt absenken müsste.

Häfner: Wir wollen nicht die Sozialversicherung europäisieren. Aber wir brauchen in einem offenen Markt natürlich gemeinsame Standards für die soziale Absicherung von Bürgern.

SZ: Viele Münchner sehen die europäische Politik in der Umweltzone. War es richtig, die Kommunen zu zwingen, den Feinstaub aufzukehren, den andere produzieren?

Hirsch: Die Umweltzone ist den versprochenen Effekt schuldig geblieben, genau wie wir prophezeit haben. Andere Städte sind kreativer, arbeiten etwa mit staubschluckenden Moosen.

Häfner: Wir waren für die Umweltzone, halten sie aber noch nicht für ausreichend. Viele deutsche Politiker haben ohnehin ein gespaltenes Bewusstsein beim Klimaschutz. Erst fahren sie nach Grönland und beweinen das Schicksal der Eisbären, dann kämpfen sie in Brüssel dafür, dass die großen Stinker auf Deutschlands Straßen weiterfahren dürfen.

Hirsch: Das sind die Arbeitsplätze in Deutschland!

Häfner: Die können Sie alle vergessen, wenn wir das Klima ruinieren und es auf diesem Planeten nicht mehr möglich ist, menschenwürdig zu arbeiten. Statt die gegenwärtige Wirtschaftskrise dazu zu nutzen, konsequent auf nachhaltiges Wirtschaften umzustellen, fördern wir per Abwrackprämie die alte Technik.

Hirsch: Sie können doch nicht Unternehmen einfach in die Pleite fahren lassen. Dann können diese Unternehmen keine sparsameren Autos entwickeln.

Häfner: Die Abwrackprämie sichert doch nicht dauerhaft Arbeitsplätze, sie schafft nur eine Sonderkonjunktur.

Hirsch: Und sie greift in den Markt ein. Die Abwrackprämie ist der völlig falsche Weg.

SZ: Die Grünen standen bei der Europa-Wahl vor fünf Jahren in München auf Platz zwei. Welchen Rang wollen Sie diesmal erreichen?

Häfner: Denselben.

Hirsch: Ich kann mir vorstellen, dass wir uns mit den Grünen ein Kopf-an-Kopf-Rennen liefern werden.

© SZ vom 28.05.2009/pfau - Rechte am Artikel können Sie hier erwerben.
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