Gericht:Haft statt Heimflug

Lesezeit: 2 min

Angeklagter überfiel Geschäft, um nach Hause reisen zu können

Von Susi Wimmer

Ein außergewöhnlicher Stimmklang schwebt durch den Gerichtssaal. Kehlige Vokale, viele dunkle A's und etliche I's. Für das europäische Ohr ist es sicherlich ungewohnt, was der gebürtige Este Rando V. am Montag vor dem Landgericht so von sich gibt. Allerdings sind auch die Inhalte, die eine Dolmetscherin ins Deutsche überträgt, ebenso eindrucksvoll wie erstaunlich. Fast so, als entsprängen sie einem traurig-komischen Film des finnischen Regisseurs Aki Kaurismäki. Rando V. erzählt, wie er wegen einer Frau nach Deutschland kam, sein ganzes Geld verlor und nicht mal mehr ein Flugticket zurück nach Estland bezahlen konnte. Und so überfiel er einen Schreibwarenladen am Goetheplatz, flüchtete mit einer Registrierkasse, die er nicht öffnen konnte, und wurde schließlich von der Polizei erwischt, als er völlig unauffällig mit der Kasse unter dem Arm auf dem Gehweg spazierte.

Vor Gericht allerdings ist Schluss mit lustig. Denn der 39-jährige Rando V. hat bei seinem Überfall zwei Frauen in dem Laden verletzt, und allein schon auf schweren Raub steht eine Freiheitsstrafe von mindestens fünf Jahren. "Es war ein undurchdachter Plan", sagt der Angeklagte. Er räumt die Tat ein, kann aber auf die Fragen von Richterin Nicole Selzam ob seines unlogischen Verhaltens keine Antworten liefern.

An jenem 23. Januar steuerte er gegen 16.30 Uhr das Schreibwarengeschäft an der Lindwurmstraße an, in dem er zuvor gelegentlich Zigaretten gekauft hatte. Ob er den Laden vorher ausgekundschaftet habe? "Es hätte jedes beliebige Geschäft sein können", behauptet der Este. Er habe nur einfach schnell Geld für ein Flugticket benötigt. Im Laden traf er auf Annelise R. "Sie sollen herumgeschrien haben", sagt Richterin Nicole Selzam. Nein, erwidert der Angeklagte, "ich habe gar nichts gesagt". Er habe nach der Geldkassette der Kasse gegriffen, sie von den Kabeln und aus der Verankerung gerissen. "Ich musste mehrfach ziehen." Dann habe die 63-jährige Frau um Hilfe geschrien. "Warum sind sie nicht einfach gegangen, die Tür war zwei Meter entfernt", fragt Selzam. Rando V. weiß keine Antwort. Er schlug der Frau die Kassenlade auf den Arm. Und als die 29-jährige Ladeninhaberin herbeieilte, holte er aus und traf sie mit der Geldkassette am Kopf. "Die Kassette war ziemlich schwer, ich musste sie mit beiden Händen greifen", erzählt der 39-Jährige. Die Frauen erlitten Hämatome, beziehungsweise eine Platzwunde.

Anschließend machte sich der Täter aus dem Staub, versteckte sich in einem Hinterhof an der Kapuzinerstraße. Dort habe er versucht, die Kassette zu öffnen, "aber es ging nicht". Also ging er wieder hinaus auf den Gehsteig, marschierte mit der Beute unter dem Arm herum - und wurde im Rahmen der Sofortfahndung von der Polizei erwischt. 680 Euro befanden sich in der Kasse, "ich wollte so 300 für das Ticket".

Mit dem Heimflug wird es erst einmal nichts. Rando V. sagt, er habe in München einen vierwöchigen Urlaub verbringen und eine gewisse Cara treffen wollen, die er in Holland kennengelernt habe. Cara allerdings war gar nicht da. Sie soll ihm von Kanada aus immer wieder neue Notlagen vorgegaukelt und ihm sein ganzes Geld abgeknöpft haben. Das Urteil wird am Mittwoch erwartet.

© SZ vom 20.06.2017 - Rechte am Artikel können Sie hier erwerben.
Zur SZ-Startseite

Lesen Sie mehr zum Thema

Jetzt entdecken

Gutscheine: